Es war einmal ein Fischer, der war sehr, sehr arm. Nichts wollte ihm ins Netz gehen außer wertlosem Plunder. Eines Tages fischte er zu seiner Überraschung ein großes Schwein aus dem Meer. So beginnen Märchen, Gleichnisse, Parabeln, und genau darum handelt es sich bei „Das Schwein von Gaza“. Die politische Komödie um das aus jüdischer und muslimischer Sicht unreinste aller Tiere ist das Regiedebüt des französischen Journalisten Sylvain Estibal. Der Fischer: Inbegriff des einfachen Mannes, gerne Spielball der großen Politik im Streit um Küstengewässer, biblische Figur. Das Schwein: Die religiöse Ablehnung des „unreinen“ Tiers verbindet Juden und Muslime auch in der Praxis – weder hier noch dort wird, wenigstens offiziell, Schweinefleisch verzehrt.
Estibal bedient sich freimütig aus der Bibel und der Filmgeschichte (so gibt es ein „Taxi Driver“-Zitat mit Kalaschnikow beim Friseur), er dekliniert alle möglichen Spielarten des israelisch-palästinensischen Konflikts durch – und er scheut sich nicht, politisch unkorrekt Witze zu machen: über jüdische Siedler, die Hamas, das israelische Militär.
Estibals Fischer heißt Jafaar und lebt im Gaza-Streifen. Seine Frau und er wohnen in einer Kriegsruine direkt neben einer israelischen Siedlung. Auf dem Dach des Hauses überwachen zwei israelische Soldaten Tag und Nacht die Umgebung. Statt Fenster geben große Löcher in der Wand den Blick auf das karge Land frei. Das fällt erst auf, als Jafaar den Vorhang am Morgen mit Schwung beiseite zieht. Die Selbstverständlichkeit der Geste kollidiert mit der – tragischen – Abweichung von der Normalität.
Der Effekt ist absurd; Szenen wie diese erinnern an Stummfilm-Komik, an Charlie Chaplins Erfindungsreichtum als Tramp, in „Goldrausch“ zum Beispiel. Auch der Hauptdarsteller (Sasson Gabay aus „Die Band von nebenan“, fd 38 562) scheint sich an Vorbildern aus der Ära des Stummfilms orientiert zu haben: Seine Mimik ist oft zum Mitlesen detailgenau, seine Gestik von pantomimischer Ausführlichkeit. Ausladend verscheucht er gleich zu Beginn die gierigen Möwen über seinem Fischerboot, tragikomisch ungeschickt fährt er auf seinem rostigen, wackeligen Fahrrad. Jafaar, der sich von Allah hart geprüft sieht, behält das Schwein – ein vietnamesisches Hängebauchschwein – auf seinem Boot. Anfassen darf er es nicht; es zu töten bringt er nicht übers Herz. Also bemüht er sich, mit seinem Schwein das dringend benötigte Geld zu verdienen. Der Versuch, sein „Big“ nach einer bizarren Konversation über Wurst und europäische Essgewohnheiten an den örtlichen UN-Beamten zu veräußern, scheitert. Dann erfährt Jafaar, dass in Israel Schweine gezüchtet werden – vor allem für den Bedarf russischer, säkularer Juden. Damit der Boden des Heiligen Landes nicht verunreinigt wurde, hielten die Siedler ihre Schweine auf hölzernen Plattformen. Jafaar kontaktiert eine Siedlerin auf der anderen Seite des Zauns, die sein männliches Schwein tatsächlich gebrauchen kann – als Sperma-Lieferant.
Der Film zitiert mit den Schweine-Plattformen einen hartnäckigen Mythos, der auf ein 1962 von der Knesset verabschiedetes Gesetz zurückgeht, das die Haltung von Schweinen auf staatlichem Boden (der größte Anteil des Landes ist in staatlichem Besitz) verbietet. In zwei Kibbuzim werden dennoch Schweine gezüchtet und geschlachtet: Der Kibbuz Mizra im Norden Israels beherbergt zwar noch die Fleischverarbeitung, hat aber die Tierzucht auf das Land christlicher Araber verlagert; im Kibbuz Lahav in der Negev-Wüste an der Grenze zum Westjordanland berühren Schweine tatsächlich israelischen Boden – offiziell zu Forschungszwecken. Der reichliche Überschuss geht allerdings auch in die Fleischverarbeitung. Obwohl inzwischen sogar eine israelische Supermarkt-Kette Schweinefleisch vertreibt, sorgt diese Praxis immer wieder für Dispute. Estibal hat als Journalist und Fotograf in der Region gearbeitet, sich intensiv mit beiden Seiten auseinander gesetzt – und offenbar auch mit den Mythen und Vorurteilen, die über Nachbarn kursieren, die man nur als Feind kennt. Er stellt sich weder auf die eine noch auf die andere Seite und vermeidet weitgehend eindimensionale, klischierte Darstellungen. „Das Hängebauchschwein ist meine Friedenstaube!“, sagt Estibal (im Presseheft). In gleich mehreren Enden wird diese Botschaft sehr gleichnishaft moralisch auszelebriert. Treffender und hintersinniger artikuliert sie sich zuvor im leichtfüßigen Spiel mit Symbolen, Klischees und Doppeldeutigkeiten.