¡Vivan Las Antipodas!

Dokumentarfilm | Deutschland/Niederlande/Argentinien/Chile 2011 | 108 Minuten

Regie: Victor Kossakovsky

Dokumentarfilm, der vier geografische "Antipoden"-Paare gegenüberstellt und Orte miteinander in Beziehung setzt, die auf der Erdkugel genau gegenüberliegen. Dabei zielt der bildgewaltige, meditativ-ruhige Film weniger auf einen informationsorientierten Vergleich der Lebensbedingungen rund um den Globus; vielmehr feiert er auf beeindruckende Weise die Schönheit und Erhabenheit der Welt, der Naturlandschaften, der Flora und Fauna. Während der Blick auf das Leben der Menschen eher vage bleibt, hinterlassen die sehr schönen, ohne Kommentierung auskommenden kleinen Porträts einen lebhaften Eindruck. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
¡VIVAN LAS ANTIPODAS!
Produktionsland
Deutschland/Niederlande/Argentinien/Chile
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
ma.ja.de. filmprod./Lemming Film/Gema Films/Prod. Aplapac/NHK/ZDF-ARTE/WDR/VPRO
Regie
Victor Kossakovsky
Buch
Victor Kossakovsky
Kamera
Victor Kossakovsky
Musik
Alexander Popov
Schnitt
Victor Kossakovsky
Länge
108 Minuten
Kinostart
23.02.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 div.)
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Diskussion
Gegensätze aufeinander prallen zu lassen, hat im Kino Tradition: Für Sergej M. Eisenstein gehörte es zum Prinzip der „Montage der Attraktionen“, Bildmotive unerwartet durch den Schnitt miteinander in Beziehung zu setzen. Der Dokumentarfilmer Victor Kossakovsky hat dieses Prinzip, entfernte Dinge durch die Montage zusammen zu bringen, in „¡Vivan Las Antipodas!“ geografisch wortwörtlich genommen und sich von Menschen bewohnte Orte rund um den Globus gesucht, zu denen es auf der gegenüber liegenden Stelle der Erdkugel ein ebenfalls bewohntes Pendant gibt – gar keine leichte Aufgabe, haben doch aufgrund der Tatsache, dass der Großteil der Erde mit Wasser bedeckt ist, gar nicht so viele Orte einen geografischen Antipoden. Kossakovky stellt vier solcher Gegensatzpaare vor: Entre Ríos (Argentinien) und Shanghai (China), Patagonien (Chile) und den Baikalsee (Russland), Kubu (Botswana) und Big Island (Hawaii), Miraflores (Spanien) und Castle Point (Neuseeland). Während es Eisenstein mit seinem Montageprinzip darum ging, durch den „Clash“ der Bilder Assoziationsketten in Gang zu setzen, eine Erkenntnis zu produzieren, zum Denken anzuregen, zielt Kossakovsys Antipoden-Film weniger auf die Reflexion über globale Ungleichheiten oder auch Gemeinsamkeiten ab als vielmehr auf den ästhetischen Genuss: Hier geht es vor allem um ein Staunen über die Schönheit der Erde. Dass Kossakovsky ein Zitat aus Lewis Carolls „Alice im Wunderland“ voran stellt, ist dafür programmatisch. Immer wieder stellt der Film dem Zuschauer die Landschaften, die er an den Antipoden vorfindet, als ruhige, von Musik verklärte, erhabene Panoramen vor Augen. Dann wieder kippt er sie, dreht sie auf den Kopf oder verbindet sie in Im-Bild-Montagen oder durch geschickte Überblendungen mit ihrem geografischen Gegenstück: In der spiegelnden Oberfläche eines Gewässers wird nicht die Landschaft von „oben“ reflektiert, sondern wird der geografische Gegenpol sichtbar; aus der dunkelgrau verkrusteten Oberfläche von Lavagestein in Hawaii wird die runzlige Haut eines Elefanten in Botswana: die Zusammenschau der Gegensätze als Spiel der Formen, Farben und Oberflächen. Neben der Bewunderung, die der Film der unbelebten Natur sowie der Flora und Fauna zollt – dem Flug der Kondore in chilenischen Gebirgslandschaften, dem wechselnden Farbenspiel am Himmel über der argentinischen Flusslandschaft, den trägen Lavaströmen am Hang eines Vulkans in Hawaii, den in der Abendsonne golden schimmernden Hügelketten am Baikalsee –, geht es in dem Film aber auch um Menschen, die diese Orte bewohnen. Dabei zeigen sich auch die Schwächen von Kossakovskys schlichtem Konzept. Mitunter entstehen aus der Beobachtung der Protagonisten reizvolle kleine Porträts – etwa im Fall der zwei argentinischen Brüder, mit denen der Film beginnt und die ihr Geld damit verdienen, eine Brücke über einen Fluss zu warten und dafür Geld von den passierenden Autos zu kassieren: Hier gelingt es dem Film, seine Charaktere Kontur gewinnen zu lassen, einem ein Gefühl für ihren Alltag und ihre Lebenswelt zu vermitteln. Das funktioniert ähnlich schön bei den Protagonisten in Chile und am Baikalsee, einem Schafhirten und einem Mutter-Tochter-Gespann. Während Kossakovksy diesen Menschen, die in karg-grandiosen Naturräumen ein relativ einsames, einfaches Leben führen, mit spürbarer Empathie begegnet, findet er zu anderen seiner Orte keinen „menschlichen“ Zugang. So bleibt etwa Shanghai, wie er es zeigt, nicht viel mehr als die Chimäre einer dunstverhangenen, wimmelnden Metropole; für die Suche eines Hawaiianers, dem sein Hund abhanden gekommen ist, zeigt er ebenso mäßiges Interesse wie an den Küstenbewohnern in Neuseeland, die einen gestrandeten Wal begraben wollen – was dazu führt, dass sich bei den entsprechenden Sequenzen der Eindruck einstellt, sie seien eher eine Ablenkung von den gelungeneren Passagen des Films als eine spannungsvolle antipodische Konterkarierung. Trotz dieser „menschlichen“ Schwächen fällt es nicht schwer, sich angesichts der schieren Schönheit der Bildsprache dieser Reise durch Kossakovksys „Wunderland Erde“ hinzugeben: Als meditative Huldigung an die Vielfältigkeit unseres Planeten ist „¡Vivan Las Antipodas!“ ein durchaus sehenswertes Kinoereignis.
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