Thriller | USA 1991 | 128 Minuten

Regie: Martin Scorsese

Ein aus 14jähriger Haft entlassener Sittlichkeitsverbrecher rächt sich an seinem damaligen Verteidiger, der Entlastungsmaterial unterdrückt hat, indem er ihn und seine Familie terrorisiert. Basierend auf dem Film "Ein Köder für die Bestie" (1962), unterläuft das Remake die kinoübliche Konstellation durch den Entwurf eines deprimierenden Gesellschaftsporträts. In der Umgebung von Lüge, Angst und Schuld nimmt der Vergeltung suchende Ex-Häftling die Züge eines satanischen Rächers an. Ein virtuos inszenierter, komplexer Film, hinter dessen gewalttätigem Äußeren sich die Klage über den Verlust an Integrität und Menschlichkeit verbirgt.
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Filmdaten

Originaltitel
CAPE FEAR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Universal/Geffen
Regie
Martin Scorsese
Buch
Wesley Strick
Kamera
Freddie Francis
Musik
Bernard Herrmann · Elmer Bernstein
Schnitt
Thelma Schoonmaker
Darsteller
Robert De Niro (Max Cady) · Nick Nolte (Sam Bowden) · Jessica Lange (Leigh Bowden) · Juliette Lewis (Danielle) · Joe Don Baker (Claude Kersek)
Länge
128 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Thriller | Literaturverfilmung
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Heimkino

Die Extras der Doppel-DVD umfassen u.a. ein Feature mit nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Universal (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./ DS dt.)
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Diskussion
Karl Eugen Hagmann beendete seinen Artikel über Martin Scorsese in fd 22/1990 mit dem Satz: "Man sollte sich nicht täuschen lassen: Die fundamentalen Gegensätze in der Welt von Scorsese sind keineswegs überwunden, lediglich überdeckt durch den Zustand trügerischer Ruhe. Der nächste Ausbruch kommt bestimmt." Scorseses Publikum muß nicht lange warten. "Kap der Angst" ist dieser Ausbruch. Und es ist die explosive Kraft des Films, die selbst manche Kritiker (in den USA) erschaudern läßt. "Genug ist genug", entrüstet sich zum Beispiel der sonst recht liberale Kenneth Turan in der "Los Angeles Times" (13.11.1991) und bezichtigt "Kap der Angst" schlichtweg des Sadismus'. Leserbriefe in erstaunlicher Zahl stimmten zu. Ein Mißverständnis? Die Artikulation aufgestauter Entrüstung? Muß man sich fragen, warum sie sich nicht bei "Robocop 2" oder "Total Recall" entlädt, sondern angesichts eines Scorsese-Films. Die Antwort heißt vielleicht, daß all die gewalttätigen Action- und Science-Fiction-Filme dem inzwischen abgebrühten Publikum nicht unter die Haut gehen, Scorsese aber versteckte Wunden aufreißt, den Zuschauer in die Position des Leidensgenossen zwingt und ihm eine unerwartete Selbsterkenntnis abnötigt, aus deren depressiver Erfahrung das Publikum sich - zumindest spontan nur durch Protest befreien kann. Reaktionen der Zuschauer beim Verlassen des Theaters schwanken denn auch hilflos zwischen Faszination, Betroffenheit und Wut. Wann hat ein "Thriller" das letzte Mal solch elementare Gefühle mobilisiert?

Wie perfekt auch immer er gemacht war, tat das jedenfalls nicht der Film, dessen Remake Scorseses "Kap der Angst" ist, J. Lee Thompsons gleichnamiger Film (deutscher Titel: "Ein Köder für die Bestie", fd 11 345), 1962 mit Robert Mitchum und Gregory Peck gedreht, die übrigens in kleinen, profilierten Nebenrollen bei Scorsese wieder auftauchen. Es war die Story eines Psychopathen, der für eine Vergewaltigung durch die Zeugenaussage eines Anwalts acht Jahre hinter Gitter wanderte und der sich nun dadurch rächt, daß er die Familie des rechtschaffenen Anwalts terrorisiert. Das Projekt der Neuverfilmung des Stoffes, der sich von dem Roman "The Executioners" von John D. MacDonald herleitet, stammt ursprünglich gar nicht von Scorsese, sondern von Steven Spielberg. Scorsese berichtet, daß er das Drehbuch nicht ausstehen konnte. Er hatte es mehrere Male gelesen und fand es "verrückt", ein Remake des Thompson-Films zu machen. Spielberg jedoch war besessen von der Idee, daß gerade Scorsese der richtige Mann sei, um diese Wiederverfilmung zu inszenieren. Er konfrontierte Scorsese mit einer Lesung des Drehbuchs, erhielt aber dieselbe Reaktion: "Ich mag die Figuren nicht. Ich mag die Filme nicht. Ich mag es einfach nicht. Ich mag das ganze Drehbuch nicht." Was Scorsese nicht mochte, war letztlich das Konzept der lauteren amerikanischen Bilderbuchfamilie, die von einem eindimensionalen Fiesling angegriffen wird. Und Scorsese begann, das Drehbuch zu ändern, wie Autor Wesley Strick eingesteht, Seite für Seite. Am Schluß war nichts mehr, wie es vorher war. Aus dem integren Anwalt wurde eine zwiespältige Figur, der Verteidiger Sam Bowden, der bei dem (jetzt 14 Jahre zurückdatierten) Prozeß gegen den Vergewaltigter Max Cady Entlastungsmaterial unterdrückt hatte; die vorbildlich glückliche Familie wich dem Entwurf einer in Schuld und Verlogenheit zerstrittenen Ehe, deren tätlichen Streitereien sich die 16jährige Danny nur durch die Flucht in ihr Zimmer entziehen kann; die Justiz erscheint mehr als Farce denn als Zufluchtsstätte für Bedrohte; und selbst der Terrorist Cady hat die simple Struktur des miesen Bösewichts verloren und die irritierenden Eigenschaften eines satanischen Rächers angenommen. Scorsese hat die gesamte Story aus dem Zusammenhang eines "unschuldigen" Amerikas herausgelöst und sie zum Spiegelbild der lieblosen Welt gemacht, deren Beschreibung alle seine Filme durchzieht. Aufgewachsen zwischen Priestern und Gangstern, formt er seine Charaktere auch hier aus den Obsessionen von Gut und Böse, aus dem Bewußtsein der Mehrdimensionalität der menschlichen Natur, die er als Heranwachsender in den Straßen von Brooklyn Tag für Tag wahrzunehmen genötigt war.

Die irritierendste und zugleich aufschlußreichste Figur des Films ist der Verbrecher Max Cady. Das erste, was der Zuschauer von ihm zu sehen bekommt, ist sein mit Tätowierungen bedeckter Körper. Ein riesiges Kreuz, an dem die Waagschalen der "Wahrheit" und "Gerechtigkeit" hängen, erstreckt sich über seinen Rücken. Mit den in seinen Körper eingebrannten Sprüchen "Die Rache ist mein" und "Der Herr ist mein Rächer" wirkt er wie eine Inkarnation alttestamentarischer Furchtgebärden. In den 14 Jahren Haft hat Max Cady nicht nur seinen Leib für die Rache präpariert, sondern auch seinen Geist trainiert. Er, der einst weder lesen noch schreiben konnte, hat genügend juristische Literatur studiert, um schließlich seine Rechte sogar selbst vertreten zu können. Die Haftanstalt verläßt er mit dem aufrechten, sicheren Schritt eines Mannes, der geradewegs aufsein Ziel zugeht. Und dieses Ziel heißt, den Mann zu richten, der ihn einst gerichtet hat.

Die Welt, in die Scorsese ihn entläßt, ist nicht mehr die Welt von gestern. Der Film spielt im amerikanischen Süden, aber es ist nicht mehr der "alte Süden" von Thompsons "Cape Fear"; dieser Süden ist wie das ganze Amerika beherrscht von Egoismus und Gier, von kalter Geschäftigkeit, verlogenen Idealen und unterdrückter Schuld. Obwohl die Eingangsszenen, in denen Scorsese den Zuschauer mit Cadys Gegenpart, dem Anwalt Bowden, bekanntmacht, alltägliche Situationen beschreiben, sind sie angefüllt mit latenter Gewalt, die sich durch den Staccato-Stil der Inszenierung geradezu körperlich mitteilt. Ob die von knisternder Spannung erfüllte Atmosphäre in der Familie, ob die Hintergründe gewalttätiger Aktionen in sichtbar werdenden Fetzen alltäglicher Kino- und Fernsehkost oder das aggressive Squash-Spiel Bowdens und seiner Geliebten - die Welt, in die Max Cady entlassen wird, ist eher eine mit Geld und Schönheit drapierte Vorhölle als die verschlafene Öde, die er einst verlassen haben muß. Wenn Cady in solcher Umgebung beginnt, von Leiden, von Schuld und von der Suche nach Wahrheit zu sprechen, so nimmt sich das angesichts der Untreue Bowdens, des Zorns seiner Frau und der hilflosen Renitenz seiner Tochter nicht mehr als Anachronismus aus. Der scheinbare Anachronismus ist nur die Ambivalenz der Figur Max Cadys, der immer deutlicher zur bedrohlichen Inkarnation der Ungerechtigkeit und Ängste wird, die diese Gesellschaft mühsam zu kaschieren versucht. Scorsese: "Genau auf diesen Punkt wollten wir es bringen. Er repräsentiert einen universellen Terror, der nicht unterdrückt werden kann. Das wahre Böse. Wie Satan sich der Wahrheit bedient, so verdreht der Ex-Häftling die Wahrheit, aber er benutzt sie. Man kann eine große Lüge erzählen, wenn 80 Prozent die Wahrheit ist."

Diese "80 Prozent Wahrheit" sind es, die Max Cady, diesen späten Nachfahren des "Taxi Driver" (fd 19 983), nicht nur so furchterregend machen, sondern die das Publikum in Rage versetzen. "Kap der Angst", das ist nicht die Welt von übermorgen, Max Cady ist nicht der Rächer von einem fernen Planeten, sondern beide sind verdammt real. Und real sind auch die unterdrückten Gefühle, ist das Leiden an der Schuld und sind die Mahnzeichen, die Scorsese, der traditionsbewußte Katholik, wortwörtlich am Wegrand aufstellt: "Wo willst du das Ewige Leben verbringen?". Diese Vendetta mit religiösen Motivationen mag in ihrer alttestamentarischen Rigorosität den Zuschauer verwirren, aber gleichzeitig entsetzt sie ihn auch. Wenn dann im Kampf auf dem Hausboot, das unter den sich wie Urzeitmenschen schlagenden Kontrahenten im Unwetter zerfetzt und zersplittert, Max Cady ein satanisches Verfahren gegen sein schuldiges Opfer inszeniert, das alle Vorzeichen eines "Jüngsten Gerichts" besitzt, dann erscheint der herausgeschriene Satz "Jetzt sind wir gleich!" wie eine endliche Erlösung. Inmitten der Aggressivität der Charaktere und des filmischen Stils gestattet Scorsese an einer Stelle seines Films einen Ruhepunkt, eine lange Sequenz zwischen Cady, der sich als neuer Drama-Lehrer ausgibt, und der 16jährigen, langsam erwachsen werdenden Danny auf einer verlassenen Schulbühne in den unschuldigen Kulissen eines Schwarzwaldhauses, das Rotkäppchens Großmutter gehören könnte.

Hier nimmt Scorsese die Hektik der Inszenierung zurück in ruhig fließende Schuß-Gegenschuß-Einstellungen; hier exponiert er den Sittlichkeitsverbrecher nicht nur als den satanischen Verführer, sondern auch als jenen perfekten Manipulierer der Wahrheit, der seine Lüge hinter "80 Prozent Wahrheit" zu verbergen versteht. Diese leise, von den Schauspielern mit unerhörter Eindringlichkeit gespielte Szene steht nicht nur in der Mitte des Films, sondern sie ist so etwas wie das geistige Zentrum, in dem sich die Figur Max Cadys in ihrer schillernden Gegensätzlichkeit entschlüsselt.

"Kap der Angst" ist, und das macht ihn für ein Nervenkitzel erwartendes Publikum so unbequem, vielleicht der komplexeste Film in Scorseses bisheriger Laufbahn, ein nur scheinbar den Gesetzen des Genres gehorchender Film, dessen Struktur und Bilder zuerst dechiffriert werden müssen, bevor sie sich zu etwas ganz anderem als einem "Thriller" neu zusammensetzen. Das Erstaunliche dabei ist, daß dies keiner "intellektuellen" Anstrengung bedarf, sondern eigentlich nur der Bereitschaft, sich auf die "zweite Ebene" einzulassen, die von Scorsese so unübersehbar annonciert wird. Die Aufgewühltheit und Empörung eines Teils des (amerikanischen) Publikums oder auch nur das simple Gefühl "Mein Gott, ist das ein furchtbarer Film!" (authentischer Zuschauer-Kommentar) legen Zeugnis davon ab, daß etwas von dem "universellen Terror" überspringt. Ablehnung, wie sie sich in den eingangs erwähnten Stimmen äußert, kann ja auch ein Zeichen von Betroffenheit sein.

Die Virtuosität der Machart, die Scorsese hier erreicht hat (und dazu gehört auch der kalkulierte Einsatz der ursprünglich für Thompsons Film komponierten Bernard-Herrmann-Musik), ist ein Kapitel, das einer separaten Würdigung bedürfte, um ihr gerecht zu werden.

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