Ein berühmter Maler beendet seine mehrjährige Schaffenspause und porträtiert eine junge und schöne Frau, um endlich sein definitives Meisterwerk zu schaffen. Der Schöpfungsprozeß führt bei allen Beteiligten zu einer radikalen Auseinandersetzung mit ihren Lebensentwürfen. Eine auf mehreren Erzählebenen kunstvoll verschachtelte Auseinandersetzung mit den Themenkreisen Kunst und Leben, verdichtet zu einer ebenso spielerischen wie intensiven Suche nach Lebenssinn und der Emanzipation des Menschen. (O.m.d.U.)
- Sehenswert.
Die schöne Querulantin
Literaturverfilmung | Frankreich 1991 | 240 Minuten
Regie: Jacques Rivette
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- LA BELLE NOISEUSE
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 1991
- Produktionsfirma
- FR 3/George Reinhart Prod./Centre National/Canal +/Sofica Invest.
- Regie
- Jacques Rivette
- Buch
- Pascal Bonitzer · Christine Laurent · Jacques Rivette
- Kamera
- William Lubtchansky
- Musik
- Igor Strawinsky
- Schnitt
- Nicole Lubtchansky
- Darsteller
- Michel Piccoli (Edouard Frenhofer) · Jane Birkin (Liz) · Emmanuelle Béart (Marianne) · Marianne Denicourt (Julienne) · David Bursztein (Nicolas)
- Länge
- 240 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
In einem Artikel für die "Cahiers du Cinéma" schrieb Jacques Rivette vor 36 Jahren über "Les Mauvaises Rencontres" von Alexandre Astruc - einen Film, der unverständlich bleiben müsse für jene, "die nicht an die fast körperliche Realität von Ideen glauben, an ihre Auseinandersetzungen und geheimnisvollen Affinitäten". Im selben Zusammenhang reflektierte er über die Kunst generell: "Was verlangen wir von der Kunst? Daß sie uns Rechtfertigungen liefert, daß sie beweist, indem sie etwas fixiert, daß sie darlegt, indem sie etwas zeigt." Fast zwangsläufig bezog sich der Titel des Artikels auf den von Rivette hochgeschätzten Honoré de Balzac: "Die Suche nach dem Absoluten". Auch heute noch ist Rivette auf einer solchen Suche: sein Glaube an die fast physische Existenz von Ideen erscheint als ebenso abenteuerliches wie fabulierfreudiges Credo seiner Filme. Und ähnlich wie er in seinem Artikel mit den Worten kämpfte, um Astruc nahezukommen, so ringt man angesichts der "Schönen Querulantin" um eine sprachliche Form, um Rivettes Idee nachzubuchstabieren. Denn das, was durch die faszinierenden Filmbilder selbst physisch greifbar erscheint, droht sich bei der Rückübersetzung in Worte zu verflüchtigen oder zumindest zu relativieren: das "Geheimnis" der Geschichte verweigert sich einer Rationalisierung mittels Sprache, weil man durch sie nicht der "Seele hinter den Bildern" nahekommt. Aber vielleicht ist gerade diese Art von Unerreichbarkeit ein zentrales Stichwort: ähnlich wie Rivettes Hauptfigur, der Maler Edouard Frenhofer, muß (und darf) man ins Stottern geraten, wenn man denn schon dazu angehalten ist, "Die schöne Querulantin" in "einen Strich zu zwingen". Das Vorspiel: Im Innenhof eines idyllisch gelegenen Hotels wird ein junger Mann von einer schönen jungen Frau "belauert". Schließlich fotografiert sie ihn aus der Ferne, so, als raube sie ihm sein (Ab-)Bild. Der Mann protestiert, verlangt das Bild zurück. Es kommt zum Streit, der in Koketterie und in gegenseitige erotische Herausforderung mündet. Alles andere als diskret ziehen sich die beiden auf ein Zimmer zurück. Daß der Mann, der aufstrebende Maler Nicolas, und die Frau, seine Freundin Marianne, ein - offenbar eingeübtes - Spiel spielen, weiß bald danach der Zuschauer, zwei englische Touristinnen, die der Szene beiwohnen, sind indes entrüstet: "Was hast Du denn erwartet?", fragt die eine die andere. Ja, was erwartet denn der Zuschauer, und was erwartet ihn in diesem Film? Der Prolog hat hilfestellenden Charakter und verweist auf verschiedene Spiel- und Lesarten: da geht es um ein Rätsel und seine Auflösung, die wiederum ein neues Rätsel in sich birgt, es geht um Rollen-Spiele, um Liebe und Begehren, um den Reiz des Unbekannten, das Spannung und Entspannung verheißt. Und es geht um die Grenzen zwischen Spiel und Ernst sowie um die Spielregeln, die variiert oder erweitert werden können: die Herausforderung des Unbekannten im Bekannten. Nur kurze Zeit später werden Marianne und Nicolas den legendären Maler Frenhofer kennenlernen, und Marianne wird feststellen: "Da geht etwas Seltsames vor." Der Vorhang hebt sich, das Spiel beginnt.Das Haus:<<1> Frenhofer hat seit Jahren nicht mehr gearbeitet. Sein alter Freund Porbus, ehemals Chemiker, jetzt Kunsthändler und -Sammler, besucht ihn auf seinem imposanten Landsitz im Burgund. Marianne und Nicolas, der den großen Meister unbedingt kennenlernen will, begleiten ihn. Ihr Eintritt ins Haus ist der Übergang in eine andere Welt - "hinter den Spiegeln". Frenhofers Frau Liz führt sie auf dem Weg durchs Haus in den "Raum der Schimären". "Gibt es hier Gespenster?", fragt Marianne. "Nein", antwortet Liz, "nur Frenhofer und mich." Trugbilder und Hirngespinste werden dennoch die Mauern erfüllen - Projektionen der abenteuerlichen Entwicklung, die alle Personen durchmachen werden. Frenhofer selbst scheint seiner Legende nicht zu entsprechen: zerstreut, vergeßlich und seltsam unkonzentriert erinnert er sich kaum an die ausgesprochene Einladung. Doch seine Worte irritieren und provozieren: "Wir haben hier einen Zustand der perfekten Stabilität erreicht. Jetzt kommt ihr, und das Unheil beginnt." (Auch das dürfte ein Trugbild sein: die Beziehung mit Liz befindet sich in einem empfindlichen Gleichgewicht, das Bild einer glücklichen Familie wird allenfalls sinnbildlich komplettiert durch die kleine Tochter der Haushälterin, und nicht von ungefähr stopft Liz Tiere aus, konserviert also Posen scheinbaren Lebens.)Dennoch läßt Frenhofer den Dingen ihren Lauf, zeigt sein Atelier, das für Marianne einer Kirche gleicht, und seine Gemälde. Ein bestimmtes Bild existiert aber nicht: Es gäbe es nur als eine Idee, sagt Frenhofer. Auf der Suche nach dem ultimativen Meisterwerk begann er vor zehn Jahren das Gemälde "Die schöne Querulantin", Liz stand Modell. Doch Frenhofer brach die Arbeit ab. Da, wo die Liebe ihren Ausdruck in einem Kunstwerk finden sollte, klafft seitdem eine Lücke. Beim Abendessen befragt Frenhofer Marianne und Nicolas über ihre Liebe, die er zugleich in Frage stellt. Solchermaßen herausgefordert, läßt sich Nicolas auf einen Handel ein: Marianne soll Modell stehen für ein neues Bild Frenhofers. Ein Kontrakt unter Männern: Probus erhofft sich den pekuniären Gewinn, Nicolas und Frenhofer scheinen um ein höheres Gut zu ringen. Marianne, die von alledem noch nichts weiß, soil sich zu ihrer aller Bereicherung "prostituieren", d.h. sich bloßstellen und preisgeben im Zentrum einer Versuchsanordnung darüber, ob Liebe und Kunst zur Wahrheitsfindung taugen. "Wenn ich bis ans Ende gehe, ist Blut auf der Leinwand", sagt Frenhofer; er suche die Wahrheit, und die sei grausam. Es wird Ernst. Das Spiel im Spiel beginnt.Das Atelier.<<1> Die Kunst sei didaktischer Natur, hat Rivette geäußert. Nichts in ihr sei dem Zufall überlassen, vielmehr geleitet von einer abstrakten Idee: "Jede Episode, jeder Satz, jede Einstellung tritt erst auf den Plan, wenn die Bewegung des Leitgedankens es erfordert." Marianne hat die Herausforderung angenommen, trotzig und selbstbewußt. Frühmorgens bricht sie auf zu Frenhofers Atelier und steht nun dort, mehr Requisit als menschliche Person, während sich Frenhofer sammelt, innere und äußere Ordnung schafft. Mariannes Nacktheit scheint ihn nicht zu interessieren, und ihre anfängliche Scheu und Scham weicht allmählich Empörung und Zorn über diese Mißachtung. Endlich greift die Hand Frenhofers zur Feder, taucht sie in Tusche und beginnt zu zeichnen: erste Skizzen in einem dicken Arbeitsbuch. Hier nimmt eine weitere Geschichte ihren Anfang. Der Schaffensprozeß des Malers ("gedoubelt" von dem Maler Bernard Dufour) rückt, spannend und dramatisch wie ein Krimi, Skizze für Skizze, Korrektur für Korrektur ins Zentrum. Das Spiel im Spiel im Spiel beginnt.Das Gemälde:<<1> Fünf Tage arbeiten Frenhofer und Marianne gemeinsam. Immer heftiger, fordernder reagiert er, will sie zerbrechen, um alles aus ihrem Körper "herauszuholen". Frenhofer: "Ich will sehen, was dahinter ist. Ich will alles." Erschöpft und fasziniert zugleich folgt sie seiner immer konkreter werdenden Vision vom "wahren" Meisterwerk. Beide lassen sich ein auf ein rücksichtsloses Spiel um Macht und Unterwerfung, um Besessenheiten und Visionen, die Utopie der absoluten Wahrheit, erzielt mit den Möglichkeiten der Kunst: Kunst, die darlegt, indem sie zeigt. Am Ende, nach Tagen und Nächten der Anstrengung und des Zweifels, naht die Katastrophe: Frenhofer (ist er noch Maler oder vielmehr eine Art Liebhaber?) droht Liz zu verlieren, Marianne entfremdet sich von Nicolas, Frenhofer selbst zieht sich zurück, als seine manische Schöpfungskraft zerstörerisch zu werden droht. Am Ende eine Entscheidung: er mauert das fertige Gemälde in die Wand ein. Nur Marianne hat es gesehen -"Wenn das Bild wahr ist, wird es Sie zeigen", hatte ihr Frenhofer gedroht -, und Liz, verstört durch seinen Größenwahn. Sein ganzes Leben wolle er in "den Strich zwingen" und auf die Leinwand bannen, meint sie. Das sei schamlos - schamloser als jeder Akt. Sie ist erleichtert über die Geheimhaltung des Gemäldes und glücklich und stolz über ihre neu entdeckte Achtung und Zuneigung zu Frenhofer. Die Spiele sind zu Ende gespielt. Das Nachspiel: Vielleicht beginnt ein neues Spiel. Frenhofer hat über Nacht ein anderes Bild erschaffen, ohne Vorlage und Modell. Bei einer kleinen Party wird es vor allen Beteiligten zur Besichtigung und Schlußbewertung freigegeben. Der Reigen schließt sich, das von allen erwartete Produkt ist vollendet. Daß es nur eine Schimäre ist, ein Trugbild, das von den eigentlichen Ereignissen ablenkt, das wissen nur die Beteiligten selbst: und keiner von ihnen ist mehr der, der er vor fünf Tagen noch war.Das Leben/die Kunst: Wie kann man seinem geliebten Werk eine Seele eingeben? Rivette komponiert um diese Frage ein überbordendes Spiel auf vielen Ebenen, die sich überlagern, ineinanderfließen und schließlich in ihrer Summe einen atemberaubenden filmischen Kosmos bilden, der ebenso als abenteuerliche Passionsgeschichte wie als rigorose Meditation über Lebenssinn und das spirituelle Ringen darum zu verstehen ist. Die verschiedenen Erzählebenen brechen sich im Spektrum der Erzähltechniken und benennen die Variationen des Themas: der schöpferische Prozeß um Bild und Abbild ("sich ein Bildnis machen"), Wahrheit und Geheimnis, Endlichkeit und Unendlichkeit, Liebe und Egoismus, Verantwortung und Respektierung von Grenzen. Die ebenso schöne wie junge Marianne hat ihre eigene unkomplizierte Vorstellung davon, wie ein Mann/ein Maler sie sehen soil - nicht nur als Körper, sondern als Mensch mit Seele: Frenhofer soll ihr endlich in die Augen schauen. Der aber arbeitet und argumentiert auf einer anderen, "parallelen" Ebene, denkt "reifer", in jedem Fall aber auch abstrakter und (selbst-)zerstörerischer. Doch die Ansichten der noch Lebensunerfahrenen und die verzweifelte Sinnsuche des Intellektuellen nach seiner persönlichen "himmlischen Flamme" (Balzac) gehören untrennbar zusammen, sind Körper und Seele ein und derselben Idee. Rivettes meisterhaftem filmischem Entwurf in all seinen Seitentrieben zu folgen, verlangt eine nicht minder große Anstrengung des Sehens, denn kaum ein anderes seiner Werke erreicht eine vergleichbare inszenatorische Dichte und Konzentration auf das zentrale Thema der rhetorisch durchgebildeten Liebes- und Lebensbeschreibung. Bei aller immer noch vorhandenen spielerisch-leichten Virtuosität des Handlungsentwurfes offenbart sich "hinter den Bildern" Rivettes Filmkunst in seiner ganzen didaktischen Natur, als Lebenslehre: alle Maskeraden und Rollenspiele münden in die unübersehbare Sehnsucht nach einem Sinn im Leben - nach der Emanzipation des Menschlichen. Letztlich ist es so in der Tat überflüssig, daß der Zuschauer Frenhofers Gemälde zu Gesicht bekommt: jedes konkrete Dingfestmachen der "Idee" würde einer Profanierung gleichkommen. Rivette hat indes schon längst über eine andere Zusammenstellung seiner Film-Bilder nachgedacht: aus dem Druck heraus, "Die schöne Querulantin" verkaufen zu müssen, hat er eine zweite (etwa zweistündige) Fassung erstellt, die ebenfalls in die Kinos kommt. Diese soil ein ganz anderes Ende haben: Das Spiel im Spiel im Spiel im Spiel kann beginnen.
Kommentar verfassen