Nobody's Fool - Auf Dauer unwiderstehlich

Drama | USA 1994 | 110 Minuten

Regie: Robert Benton

Ein Sechzigjähriger, der seine Familie verlassen hat, als sein Sohn kaum ein Jahr alt war, beginnt durch die unerwartete Konfrontation mit dem nun 30jährigen Sohn, der selbst in einer Ehekrise steckt, sein Leben und seine "selbstverständlichen" Ansichten zu überprüfen. Eine vor dem lebendig einbezogenen Hintergrund einer amerikanischen Kleinstadt angesiedelte Beschreibung alltäglicher Menschen und Schicksale. Ohne die Bürde dramatischer Bedeutungslast werden menschliche und gesellschaftliche Veränderungen aus komischen, nachdenklichen und anrührenden Situationen sichtbar. Dank behutsamer Regie und einfühlsamer Darsteller ein reines Vergnügen und ein bewegendes Kinoerlebnis. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NOBODY'S FOOL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Paramount/Capella International
Regie
Robert Benton
Buch
Robert Benton
Kamera
John Bailey
Musik
Howard Shore
Schnitt
John Bloom
Darsteller
Paul Newman (Sully) · Jessica Tandy (Miss Beryl) · Melanie Griffith (Toby Roebuck) · Bruce Willis (Carl Roebuck) · Dylan Walsh (Peter)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
BMG (1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Robert Benton, am erkennbarsten identifiziert als der Regisseur von "Kramer gegen Kramer" (fd 22 387) und als einer der beiden Drehbuchautoren von "Bonnie und Clyde" (fd 15 130), hat in den wenigen Filmen seiner Karriere stets problematischen Personenbeziehungen den Vorzug gegeben. Er ist ein Regisseur (und Autor), der alltägliche Menschen liebt, vor allem diejenigen, deren Existenz kompliziert verlaufen ist. Man darf von Benton keine filmischen Neuerungen erwarten, auch keine dramatischen Extravaganzen, denn seinem Wesen nach ist er ein Traditionalist. Was seine Filme auszeichnet, ist der über die Jahre hinweg gleichgebliebene Drang, scheinbare Selbstverständlichkeiten der menschlichen Natur zu durchleuchten und Personen nicht als statische Wesen, sondern als sich entwickelnde und deshalb auch sich selbst widersprechende Charaktere darzustellen. Man mag Bentons Filme als altmodisch empfinden, aber hinter der Beständigkeit ihrer Menschenbilder verbergen sich Humanität und Anteilnahme - zwei Tugenden, die im heutigen Filmschaffen gemeinhin viel zu kurz kommen.

Die Story seines neuen Films hat er einem 549-Seiten-Roman von Richard Russo entnommen. Man spürt ihr die Kondensierung an, aber auch immer noch die Vorzüge der epischen Einlassung auf ein uramerikanisches Milieu, dessen Lokalisierung im Staate New York stellvertretend erscheint für jede Art Existenz in einer ländlichen Kleinstadt, die mit dem Übergang von beschaulicher Tradition in ein neues Zeitalter zu kämpfen hat. Die Menschen, denen man in "Nobody's Fool" begegnet, repräsentieren beides. Ihre Konflikte kommen ebenso aus dem persönlichen Inneren wie aus den veränderten Lebensbedingungen ihrer Umgebung. Und sie haben viel mit dem Altem zu tun. Donald "Sully" Sullivan, der "Held" der Geschichte, ist 60, als man ihn zum ersten Mal sieht. Doch alles, was mit ihm, durch ihn und um ihn herum passiert, hat seine Wurzeln in der Vergangenheit, seiner Vergangenheit, mit der er sich heute schwer tut. Einst hat Sully seine Familie verlassen, als sein Sohn Peter kaum ein Jahr alt war. Das ist 30 Jahre her, und sein dazwischenliegendes Leben lang hat sich Sully nicht als der verantwortungsbewußteste Mensch des Städtchens erwiesen. Nun ist Peter so weit, daß er seine Ehe aufgeben will: Anlaß für Sully, etwas zu tun, das ihm 30 Jahre lang nicht eingefallen ist, nämlich über die Konsequenzen nachzudenken. Nie hat er eine Beziehung zu seinem Sohn gehabt, der ihn nun erstaunt mit der Frage konfrontiert, warum er plötzlich eine Beziehung zu seinem Enkel aufnehme. Mit 60 fängt Sully an, erwachsen zu werden, und der kleine Enkel hilft ihm dabei.

Was Bentons Film einerseits so sympathisch, andererseits so verbindlich macht, ist die Einbettung dieser Story in den Skizzenentwurf des kleinen Nestes, in dem sie sich zuträgt. Sully ist ohne dieses Städtchen nicht denkbar, und der Ort mit seinen so ganz und gar unsensationellen Einwohnern betrachtet ihn als Teil von sich. So entwickelt sich Sullys Geschichte nicht als dramatische Beschreibung einer Beziehungskrise, sondern wie ein heiteres Pastell der Vorzüge und Schwächen dieses Kleinstadtlebens. Alle Personen um Sully herum - die frühere Schullehrerin und Vermieterin (Jessica Tandy in ihrer letzten Rolle), der robuste Freund und zeitweilige Arbeitgeber, dessen vernachlässigte hübsche Frau und nicht zuletzt der geistig etwas zurückgebliebene Arbeitskollege (Pruitt Taylor Vince, man sollte sich den Namen merken) - sie alle sind vordergründig einmal Zulieferer für amüsante Situationen. Erst allmählich und bei genauerem Hinsehen kommen hinter der Fassade individuelle Schicksale zum Vorschein, die wie Komplementärbilder Sullys Lebensgeschichte ergänzen.

"Nobody's Fool" handelt aber nicht nur vom langsamen Erwachen eines Menschen, der den größten Teil seines Lebens ohne viele Hintergedanken verbracht hat; der Film handelt auch vom emotionalen und finanziellen Überleben in einer Stadt, die angesichts neuer Wirtschaftsstrukturen ihre alte Identität verliert. Dieser Wandel, ein allen gewachsenen amerikanischen Mittel- und Kleinstädten gemeinsamer Wandel, beeinflußt die Existenz der Menschen, die in ihnen ihr Leben mit vergleichsweise unbeirrbarer Gleichmäßigkeit verbracht haben, wirft sie aus den Fugen. Benton macht weder aus dem individuellen noch aus dem gesellschaftlichen Schicksal eine große Sache. Er spielt vielmehr mit Andeutungen, versteckt menschliche Tragik hinter einem kleinen Scherz oder läßt die Dinge ihren Lauf nehmen, so wie sie es auch im realen Leben tun. Es ist gerade dieses gar nicht auftrumpfende Gebaren, diese jedem lamentierenden Effekt abholde Inszenierung, die für den Film einnimmt. Man kann auch über ernste Dinge Spaß machen, oder Komisches muß deshalb nicht weniger ernsthaft sein.

Genauso verhalten sich die Darsteller. "Nobody's Fool" hat eine Star-Besetzung, aber man merkt es nicht. Paul Newman in der Hauptrolle bringt allen Charme und alle Energie in diese Rolle ein, die man von ihm gewöhnt ist. Aber er hat diesmal noch etwas mehr. Das ist nicht nur die Unauffälligkeit und Ökonomie, mit der er die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, es ist vor allem eine erstaunliche Fähigkeit, innere Regungen ahnbar zu machen, mit unaufwendigen Blicken und Gesten, mit einem kurzen Innehalten oder einem körperlichen Zögern den Wandel, die späte, aber eben nicht zu späte Einsicht spürbar zu machen, um die es hier im wesentlichen geht. Wenn Sully zum Beispiel zum ersten Mal vor seinem alten, mit Brettern vernagelten Vaterhaus steht, dann bedarf es keines einzigen Wortes, um den letzten im Publikum wissen und verstehen zu lassen, was in dem Sechzigjährigen vorgeht. Selbst Schauspieler wie Melanie Griffith und Bruce Willis, die sonst der Extrovertiertheit nicht abgeneigt sind, ordnen sich unter Bentons Regie in ein behutsames Ensemblespiel ein, das man ihnen kaum zugetraut hätte.

Muß noch expressis verbis gesagt werden, daß "Nobody's Fool" ein außergewöhnlicher und ein außergewöhnlich guter Film ist? Er ist es vor allem deshalb, weil er eine wichtige Funktion zwischen den zur Zeit so heiß umschwärmten Filmen erfüllt. Den Verehrern des in falscher Sentimentalität verkommenden "Forrest Gump" (fd 30 995) kann er die Vorzüge kreativer Bescheidenheit demonstrieren, den Anhängern Oliver Stones und Quentin Tarantinos die Wichtigkeit der Besinnung auf die scheinbar "kleinen" Gefühle. Mag sein, daß es eine Frage des Alters ist, wie sehr man "Nobody's Pool" schätzt und nicht "Natural Born Killers" (fd 31 013). Jedenfalls hat es den Rezensenten gefreut, als Andrew Sarris, einer der geschätztesten amerikanischen Kritiker der "alten Garde", im "New York Observer" erklärte, er halte "Nobody's Fool" für den besten Film des Jahres 1994.
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