Ernesto "Che" Guevara, das bolivianische Tagebuch

Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich 1994 | 94 Minuten

Regie: Richard Dindo

Dokumentation, die die letzten elf Monate des legendären Revolutionärs rekapituliert. Guevara hatte sich 1966, angewidert von der sich abzeichnenden Bürokratisierung der kubanischen Volksbewegung und der Anbindung an den Ostblock, nach Bolivien abgesetzt. Doch seine Idee von einer aufständischen Initialzündung, die zur sozialen Revolution in diesem bettelarmen Land führen soll, schlägt fehl. Der Regisseur begibt sich an die letzten Stationen dieses tragischen Untergangs, befragt Zeitzeugen und verbindet die Aufnahmen mit Off-Zitaten aus dem berühmten Tagebuch. Durch die unvoreingenommene, scheinbar distanzierte Perspektive weder ein glorifizierendes Heldenepos noch eine schadenfrohe Demontage. Ein Zeugnis politischen Filmemachens ohne vordergründige politische Gesten. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
ERNESTO "CHE" GUEVARA, DAS BOLIVIANISCHE TAGEBUCH
Produktionsland
Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Ciné-Manufacture
Regie
Richard Dindo
Buch
Richard Dindo
Kamera
Pio Corradi
Schnitt
Richard Dindo · Georg Janett · Catherine Poitevin
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Komplett Media (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
"Guten Tag, wir sind die Revolutionäre. Wir kämpfen für euch. Wir möchten, daß ihr einmal glücklich seid. Die Zivilisation hat euch hier ja noch gar nicht erreicht. Nach unserem Sieg wird es hier Traktoren geben." Mit ähnlich lautenden, nachgerade grotesken Floskeln auf den Lippen klopfen Che Guevara und seine letzten getreuen Mitkämpfer an die Türen der Bergbauern. Die wenigsten geben Unterkunft oder Verpflegung. Niemand schließt sich an. Einige erstatten umgehend den Behörden Meldung vom Auftauchen der Rebellen. So wird der Ring der Verfolger immer enger. Das Häuflein zieht ziellos weiter, seinem Untergang entgegen.

Sein stilisiertes Porträt mit dem schulterlangen Haar, dem Barett mit Sowjetstern und einem offenen, würdevollen Blick ist ein Piktogramm des Widerstandes, ein Erkennungs-, ja Markenzeichen der linken Bewegung. Mehr als ein Symbol - eine Ikone, ein Code für Unbestechlichkeit, für bis über den Tod hinaus intakte moralische Integrität, funktionstüchtig über Grenzen und Zeiten. Wolf Biermann widmete ihm ein Lied, die amerikanische Band "Rage Against The Machine" identifiziert sich noch 1994 durch sein Konterfei, im 1968 gedrehten 20th-Fox-Film "Che!" (fd 16 202) chargierte sogar Omar Sharif als Guevara. Doch wie es das Schicksal der meisten Legenden will - sie funktionieren nur als Oberfläche. Über die tatsächlichen Lebensumstände, über Motivationen, Widersprüche und nicht zuletzt über das Scheitern der Helden ist kaum etwas bekannt. Dabei ist gerade die Vita Ernesto "Che" Guevaras vor allem auch eine Geschichte des Scheiterns: diese hat jedoch die Größe einer klassischen Tragödie. Richard Dindo konzentriert sich in seinem Film folgerichtig auf die Schlußphase dieses Lebens. Nach dem Sieg der kubanischen Revolution im Januar 1959 wird Guevara Industrieminister und Präsident der Nationalbank, er reist in mehrere Entwicklungsländer und in Teile des Ostblocks. Ein mehrfacher Rollenwechsel: der belesene Intellektuelle und promovierte Mediziner schlüpft zuerst in die Kampfuniform der Guerilla, hält nach der Eroberung der Macht im Drillich Hof (was sein einstiger Mitkämpfer und der jetzige Gerontokrat Fidel Castro noch immer tut). In den aus dieser Phase erhaltenen Bilddokumenten nimmt er sich wie ein sehr schlechter Schauspieler in einem schlechten Film aus. Tiefe Skepsis zeichnet sein Gesicht bei Besuchen in den realsozialistischen Bürokratien. Öffentlich wirft er diesen schließlich vor, sich gemeinsam mit den imperialistischen Staaten die Welt neu aufzuteilen, die Entwicklungsländer gleichermaßen auszubeuten. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Nach seiner Rückkehr auf die karibische Insel weicht er dem unvermeidlichen Bruch mit Castro aus, tritt von allen Ämtern zurück, gibt sogar die kubanische Staatsbürgerschaft preis. Wenig später hebt das letzte Kapitel der Legende Che Guevara an. Nach Zwischenaufenthalten in Afrika, Prag und Frankfurt am Main begibt er sich inkognito nach La Paz, der Hauptstadt Boliviens. Das völlige Desinteresse der einheimischen Bevölkerung am Aufstand und die damit verbundene totale Isolierung der kleinen Freischärlergruppe führt vor Jahresfrist zum endgültigen Desaster. Nein, der Commandante Che "ist kein Bonze geworden" (Biermann), seine letzten Lebensstationen sind jedoch Zeugnisse eines verzweifelt zu nennenden Impulses, einer Flucht nach vorn, direkt hinein in die Sackgasse. Hatte sich seine Theorie vom Partisanenkrieg, der ja auch die RAF-Aktivisten um Andreas Baader und Ulrike Meinhof anhingen, in Kuba zunächst scheinbar noch bewährt, konnte sich der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit gar nicht deutlicher als in Bolivien darstellen. Sein Ende nimmt das der ihm nacheiFernden Bewegungen schon vorweg. Dindos Film rekapituliert diese letzten Etappen, indem er sie mit der Kamera aufsucht, Zeitzeugen befragt (die bezeichnenderweise meist aus den Reihen der damaligen Regierungstruppen stammen) und die Bilder und Töne mit Off-Zitaten aus dem berühmten Tagebuch verschneidet. Notwendig werdende Kommentare beschränken sich auf die Nennung von Fakten, bleiben im Duktus neutral und wohltuend undidaktisch. Das fast unvermeidliche Pathos, das sich bei der Konfrontation der historischen Stätten beim Betrachter eigentlich herstellen müßte, vermag Dindo geschickt zu entwerten und in Neugier umzukehren. Zu erbärmlich sind die Umstände der stattgefundenen Realität, zu banal die Kümmemisse des berufsrevolutionären Alltags. Von Insekten geplagt, den unablässigen Hunger mit Baumfürchten, Wurzeln und mühselig erbeuteten Kleintieren stillend, nimmt sich die Schar wie eine Mischung aus Ketzern, Pilgern und Touristen aus. Daß der "Commandante" barfuß auf einem Maultier daherkommt, mutet, wäre dies nicht durch Augenzeugen verbürgt und sehr versteckt eingebaut, wie eine gesuchte Metapher an. Die interpretatorischen Freiräume, die sich beim Betrachten des Films herstellen, resultieren aus dem hohen Maß an Offenheit, das Dindo dem gewählten Gegenstand entgegenbringt. Wenn sich die Handkamera durch das Unterholz des Busches schiebt, überträgt sich die Authentizität der Suche nach einem auch für den Regisseur Ungewissen Ausgang sehr greifbar. Seine Entdeckungsreise geht nicht von festgelegten Urteilen aus, sondern stellt sich stets selbst in Frage. Trotz der Tatsache, daß die Dokumentation auf Video gedreht wurde und einige ungeschickte Tonmontagen enthält (mitunter wird versucht. fehlende filmische Originaldokumente durch künstliche Toneinspielungen zu ersetzen), ist Dindos Film ein gelungenes Unterfangen: ein würdevoller Epitaph auf Utopia schlechthin, der sich durch seine Unbefangenheit aber kaum instrurnentalisieren läßt. Da sich Dindo seinem Material spürbar unvoreingenommen nähert, dem Film die damit verbundene Dynamik und Unberechenbarkeit zugesteht, gerät die Perspektive auch für den Zuschauer sehr plastisch. Aus der Schablone einer Legende schält sich so schließlich eine nachvollziehbare, weil widersprüchliche Persönlichkeit; aus einer scheinbar distanzierten Dokumentation wird eine Liebeserklärung - eine hochpolitische Form des Filmemachens also und kein vordergründig politischer Film.
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