Road Movie | Großbritannien/Kanada 1993 | 95 Minuten

Regie: Deepa Mehta

Nach langen Jahren des Lebens auf einer Insel bricht eine 80-jährige Musikerin zu einer Reise nach Toronto auf, wo sie ein halbes Jahrhundert früher als Violinistin große Erfolge feierte. Begleitet und unterstützt wird sie dabei von einer jungen Komponistin. Ein unspektakuläres, leises Road Movie, das vom überzeugenden Spiel seiner beiden Hauptdarstellerinnen lebt und trotz eines verhaltenen Erzählrhythmus durch gelungene Einzelleistung überzeugt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CAMILLA
Produktionsland
Großbritannien/Kanada
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Shafesbury Films/Skreba Creon
Regie
Deepa Mehta
Buch
Ali Jennigs · Paul Quarrington
Kamera
Guy Dufaux
Musik
Daniel Lanois
Schnitt
Barry Farrell
Darsteller
Jessica Tandy (Camilla Cara) · Bridget Fonda (Freda Lopez) · Elias Koteas (Vincent Lopez) · Maury Chaykin (Harold Cara) · Hunt Weller (Graham Greene)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Road Movie
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Diskussion
Camilla Cara (Jessica Tandy in einer ihrer letzten Rollen) ist eine liebenswerte Grenzgängerin zwischen Realität und Illusion. In der Wohnung der 90jährigen agilen Dame hängt hinter Glas und dickem Rahmen ein Jugendbild, das Camilla ein halbes Jahrhundert früher bei einem ihrer großen Auftritte als Musikerin zeigt: beim Violinenkonzert von Brahms im Wintergarden-Theater in Toronto. "Die Camilla" korrigiert die weißhaarige Lady mit der prononciert deutlichen Aussprache (ein Genuß, den nur die Originalfassung bietet) bisweilen unbedarfte Zeitgenossen, die ihre ehemalige Bekanntheit nicht mehr ermessen können. Als die junge Liedermacherin Freda auf Camilla trifft, ist über die Musik bald eine Brücke zwischen den Frauen hergestellt, die sich zu einer Freundschaft entwickelt. Mit ihrem Mann Vincent ist Freda für einige Wochen aus Toronto auf eine kleine Insel vor der Küste von Georgia geflogen, um dem Alltags- und Beziehungsfrust zu entgehen. Doch der Ferientrip verschärft nur ihre Konflikte: der gemeinsame Traum von einer Künstlerehe neigt sich dem Ende zu. Vincent gibt seine Malerei-Ambitionen auf, als ihm Camillas Sohn Harold, ein Soft-Porno-Produzent, einen Job als Werbedesigner anbietet, während Freda beharrlich an ihrem Wunsch, Musikerin zu werden, festhält. In ihrer Insel-Nachbarin Camilla findet sie darin eine Stütze, die überschwenglich von der Hingabe an die Musik redet, von den Funken, die aus Partituren schlagen, aber auch dunkel von dem Preis spricht, den man für seine Leidenschaft zu zahlen hat.

Als Vincent auch noch mit Harold zu Dreharbeiten reist, hat Freda genug. Sie kann Camilla für die Idee begeistern, deren frühe Wirkungsstätte in Toronto aufzusuchen. Doch die Reise des ungleichen Paares ist zugleich ein Aufbruch ins Ungewisse neuer Erfahrungen; Camilla verläßt nach langer Zeit wieder ihre Insel und und mit ihr eine ganze Menge nützlicher Phantasien und Lebenslügen. In Toronto besucht sie nicht nur das Konzerthaus, sondern klopft zu allererst an die Tür des Geigenbauers Ewald, jenes Mannes, den sie in ihrer Jugend aus gekränkter Eitelkeit fallen ließ, als er jenes Konzert im Wintergarden-Theater versäumt hatte, dessen Plakat Camilla in ihrem Haus aulbewahrt. Und für Freda wird die Reise quer durch den amerikanischen Süden zurück in ihre Heimatstadt zu einer Initiation in eine neue Selbständigkeit, an deren Ziel in Toronto sie Vincent mit neugewonnener Stärke begegnen kann.

Daß am Anfang dieser Ruck-Reise zuerst Vincents Auto daran glauben muß, das sich infolge defekter Bremsen auf der Fähre selbständig macht und hinterrücks im Meer versinkt, ist mehr als ein dramaturgischer Kniff, Männer- und Frauenwelten drohen im ersten eigenständigen Kinoprojekt der kanadisch-indischen Regisseurin Deepa Metha streckenweise fast thesenartig auseinanderzufallen, wenn nicht eine faszinierend verhaltene Kameraführung das Abdriften in ideologische Gewässer verhinderte. In unspektakulären, ruhigen Bildern fließt der Film dahin, mitunter so bar jeder gewohnten filmischen Zeit, daß es viel Aufmerksamkeit kostet, um den inneren Spannungsbogen nicht zu verlieren. Vielleicht gelingen aber deshalb manchmal fast ikonenhafte Bilder, die die Geschichte weit hinter sich lassen - am eindrucksvollsten etwa in der Szene, wo Camilla voller neu erwachter Lebensenergie ihre Kleider abstreift, um im Meer ein Bad zu nehmen. Die Leichtigkeit, mit der Deepa Metha dabei die Balance zwischen manifestem Bild -dem von einem langen Leben gezeichneten Körper - und einem diskreten Blick - bar jedes Voyerismus - hält, sucht seinesgleichen. Von derselben seltenen Sensibilität geprägt sind die wenigen erotischen Sequenzen. Während das junge Paar kaum Zugang zueinander findet, bricht bei den beiden Alten eine lang aufgestaute Sinnlichkeit hervor. Der Kuß, mit dem sie wieder zueinander finden, knistert vor Verlangen und wird den halben Film über vorbereitet, wenn zwischendurch immer wieder Ewalds knorrige Hände ins Bild gehoben werden, der mit unendlicher Sorgfalt und Hingabe den Körper einer Geige formt. Solche filmischen Kostbarkeiten trösten dann auch über die etwas halbherzige Inszenierung hinweg, die ihren Verzicht auf gängige Erzählmuster allzu oft mit bedeutungsschwerer Musik zu kompensieren versucht.
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