Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache
Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 109 Minuten
Regie: Sabine Herpich
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Büchner Filmproduktion
- Regie
- Sabine Herpich
- Buch
- Sabine Herpich
- Kamera
- Sabine Herpich
- Schnitt
- Sabine Herpich
- Länge
- 109 Minuten
- Kinostart
- 15.05.2025
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über die Musikerin Barbara Morgenstern und die Entstehung eines neuen Albums.
Barbara Morgenstern notiert Textzeilen auf ein Blatt Papier, streicht durch, schreibt weiter, spielt auf dem Keyboard; Gesang kommt hinzu. Sie unterbricht, setzt wieder an, beginnt erneut zu spielen und zu singen. Als sie sich eine Weile später die Demo-Version anhört, schreibt sich ein Notenbild auf den Bildschirm ihres Laptops. „Fertig“, sagt sie in Richtung Kamera und sieht dabei froh aus.
Zwei Tage hat Barbara Morgenstern für das Stück gebraucht. Zuerst seien die Harmonien im Kopf gewesen, erste Zeilen, dann Bilder, dazwischen ein Spaziergang, die Arbeit an einem anderen Song, von dem bald klar war, dass daraus nichts werden würde. Zurück zum ersten war plötzlich alles im Fluss: „Wenn das läuft, geht das schnell.“ Am Ende ist dieser scheinbar so leicht von der Hand gegangene Schaffensakt nur ein Teil eines umfassenden, von zahlreichen kleinen und gewichtigen künstlerischen Entscheidungen geprägten Gebildes.
Eine Pionierin elektronischer Musik
Zum ersten Mal seit sechs Jahren arbeitet die Musikerin wieder an einem neuen Album. „Ich bin gern allein“, heißt es in einem Song, was ein wenig nach der Selbstbeschreibung der eigenen Praxis klingt. Barbara Morgenstern, bekannt als Pionierin des elektronischen Wohnzimmer-Pops, werkelt zu Hause vor sich hin, der Laptop steht auf einem Schuhkarton, das bis zur Decke ragende Bücherregal im Hintergrund erteilt Auskunft über persönliche Vorlieben und Interessen. Die langen, statischen Einstellungen des Films lassen Zeit, das Auge darüber schweifen zu lassen.
Die Dokumentarfilmerin Sabine Herpich, im Bild nicht sichtbar, aber in ihrer Anwesenheit spür- und zuweilen auch aus dem Off hörbar, hat eine Nähe zu Morgensterns Arbeitsweise. Auch sie ist beim Filmemachen „gern allein“. Die Kamera führt sie grundsätzlich selbst, nur eine Person für den Ton ist mit dabei. Mit dieser Methode hat Herpich eine ganze Reihe von vorwiegend kurzen und mittellangen Filmen über die Entstehung von Kunst gemacht. Keine Künstler:innen-Porträts, sondern Filme, die sehr aufmerksam dem Schreiben, Zeichnen, Malen und Bildhauen zusehen, zuletzt etwa in dem Langfilm „Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“. Wenn sich in „Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache“ die Musikerin einmal im Zoom-Gespräch mit ihrem Produzenten durch die Excel-Tabelle des Budgetplans kämpft und dabei Förderbeträge hin- und herschiebt, ist die Filmemacherin Herpich unweigerlich mitgemeint.
Wie Kunst entsteht
Der Film begleitet die Entstehung des Albums: von den im Wohnzimmer entwickelten Kompositionen und Arrangements über die ersten Proben mit Musiker:innen, den Aufnahmen im Studio und den verschiedenen Stationen der Öffentlichkeitsarbeit bis hin zum Konzert vor Publikum. „In anderem Licht“, lautet der Titel des kammermusikalischen Doppel-Albums, das im Laufe des Films immer mehr Form annimmt. Herpich versucht erst gar nicht, die verschiedenen Abläufe in eine homogene Ordnung oder eine Erzählung des flüssigen „Gelingens“ zu bringen, sondern sie zeigt künstlerische Praxis als das, was sie in der Regel eben ist: ein von vielen Ansätzen, Abbrüchen und Neufindungen bestimmter kreativer Prozess, der mal spielerisch leicht, mal mühsam sein kann. Der immer seine Zeit braucht.
Manchmal tüftelt Morgenstern an etwas herum, das für Uneingeweihte nicht ganz nachvollziehbar ist. Die Filmemacherin ist dabei ebenso wissend oder ahnungslos wie die Zuseherin. „Was hast du jetzt überarbeitet?“, fragt sie. Worauf Morgenstern etwas über die Klangqualität verschiedener Computerprogramme erzählt. In der nächsten Szene sitzen plötzlich Musiker:innen mit Streichinstrumenten, Saxofon und Schellenring in ihrem Wohnzimmer, ehe die Musik in kompletter Besetzung im Hansa-Studio eingespielt wird. Die verschiedenen Arbeitsschritte gehen ineinander über; oft ist ein größerer Zeitsprung nur an der wechselnden Kleidung zu erkennen.
Nachdem Morgenstern und das Ensemble sich die fertig gemischten Aufnahmen gemeinsam angehört haben, verlässt der Film ein Stück weit den geschützten Raum des Kunstschaffens. Die Musik, die einen zuvor getragen hat – selbst wenn man ihr eher wenig abgewinnen kann, ist es eine schöne Erfahrung, wie die Stücke allmählich Gestalt annehmen und im Ensemblespiel an Vielschichtigkeit und Volumen gewinnen –, verstummt und muss anderen Tätigkeiten weichen: Bildschirmarbeit, Interviews, Besprechungen über Auftrittsorte und Kosten, die Reflexion und Versprachlichung des eigenen Tuns.
Die Liebe zu „krummen Rhythmen“
Dass „Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache“ sich in zwei Teile segmentiert, ist dabei kein Registerwechsel, sondern liegt vielmehr in der Logik jedes künstlerischen Tuns, das seine Bestimmung im Öffentlichwerden sieht. Herpich nimmt sich dann aber doch die Freiheit, ein Stück weit von ihrem Konzept der Albumentstehung abzuweichen und einem langen, sehr persönlichen Gespräch mit Morgenstern Raum zu geben. Die Musikerin rekapituliert darin auf uneitle Weise ihren musikalischen Werdegang, zeigt Fotos, hört in ein früheres Stück hinein und spricht über ihre Liebe zu den „krummen Rhythmen“ und der Kindheit im Sauerland. „Musik ist mein Raum, meine Welt, mein Zuhause“, sagt Morgenstern einmal. Dass sie auch die empfindlichen Bereiche des Musikmachens großzügig zu teilen bereit ist, macht diesen Film auch zum Dokument einer freundschaftlichen Begegnung.