Palliativstation
Dokumentarfilm | Deutschland 2025 | 245 Minuten
Regie: Philipp Döring
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- Philipp Döring
- Regie
- Philipp Döring
- Kamera
- Philipp Döring
- Schnitt
- Philipp Döring
- Länge
- 245 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über den Alltag auf der palliativmedizinischen Station des Franziskus-Krankenhauses in Berlin, der den kranken Menschen und dem Sterben sehr nahekommt.
Die ersten Blicke sind dezent, vom Flur aus durch halboffene Türen in die Krankenzimmer gefilmt. Ein Arzt sitzt mit dem Rücken zur Kamera vor einem Bett und führt ein langes Gespräch mit einem Patienten. Der schwerkranke Mann, im Bild von einer Wand verdeckt, ist bettgebunden, wie es heißt; sein Allgemeinzustand lässt keine Besserung mehr erwarten. Im Raum steht die Entscheidung zwischen der Entlassung in die häusliche Situation oder ins Hospiz. Dabei fällt auch ein Satz, der immer wieder zu hören ist: „Es gibt kein Richtig oder Falsch.“
Aus unmittelbarer Nähe
Die Station 5 des mitten im Berliner Stadtteil Tiergarten gelegenen Franziskus-Krankenhauses ist eine Abteilung für Palliativmedizin. Wer sich schon einmal in so einer Einrichtung aufgehalten hat, als Angehörige oder vielleicht auch als Patient, dem wird früher oder später ein Zitat von Cicely Saunders begegnet sein, der Begründerin der modernen Palliativmedizin: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ In dem Film „Palliativstation“ von Philipp Döring taucht der Satz bei der Einweisung einer neuen Pflegekraft auf. Ein Auszubildender erklärt den multidisziplinären Ansatz der Palliativmedizin und zählt die verschiedenen Aufgaben auf, von der Symptomkontrolle über Aufgaben der Pflege und Kommunikation bis hin zur Betreuung der Angehörigen. Das, was man in dem vierstündigen Film sieht und aus unmittelbarer Nähe erfährt, ist die Übersetzung dieser Theorie in Handeln.
Zwischen Frühjahr und Sommer 2023 hat Döring den Alltag auf der Station dokumentiert. Er begleitet Ärzte bei der Visite und bei Gesprächen mit Angehörigen, filmt Teamsitzungen und den leisen Austausch des Personals auf den Krankenhausfluren. Daneben fällt sein Blick auf all die scheinbar peripheren Bereiche, Abläufe und Tätigkeiten, die ebenfalls Teil des Betriebs sind: Büro- und Reinigungsarbeiten, Cafeteria und Andachtsorte, Sitzecken und Raucherbereiche.
Die anfängliche Scheu und mit ihr die Schwelle zum Patientenzimmer, das nicht selten zum Sterbezimmer wird, ist bald überwunden. Seine Position findet Döring meist am Fußende des Bettes; er führt selbst die Kamera. Nur selten wirft er einen Blick aus dem Fenster: auf die Außenwelt, die für die kranken Menschen in den Betten so fern und wenig greifbar erscheint, wenn sie als Bezugspunkt nicht gänzlich wegrutscht.
Ein geschützter Raum
Als Institutionenporträt, das sich einer „objektiven“ Beobachtung verpflichtet fühlt und die Aufmerksamkeit demokratisch auf sämtliche Aufgabenbereiche und Handlungsfelder verteilt, steht „Palliativstation“ in der Tradition des Direct Cinema. Döring nennt Frederick Wisemans „Near Death“ (1989) über die Abläufe auf einer Intensivstation als Vorbild. Struktur und Perspektive mögen ähnlich sein, doch schon die Wahl der Institution bringt einen ganz anderen Film hervor. In der Abwesenheit von lebensverlängernden Maschinen, aber auch von ethischen und rechtlichen Fragen, die zu klären sind, rückt der menschliche Umgang ins Zentrum. Zwar ist jede Interaktion untrennbar mit einer medizinischen und psychologischen Sprache verflochten, in die das Klassifizierende unweigerlich mit eingeschrieben ist. Doch das Institutionelle wird hier vom Individuellen, Menschlichen stets in den Hintergrund gedrängt.
Missstände werden zwar nicht ausgespart – bei einer Besprechung wird die Vergrößerung der Station beklagt, die den palliativmedizinischen Ansatz gefährdet, keine Zeit für Zuwendung, ungeschulte Leasingkräfte und anderes –, doch „Palliativstation“ ist kein Bericht über den Pflegenotstand oder andere strukturelle Probleme. Es ist vielmehr ein Film über einen geschützten Raum, in dem das Leben, und sei es auch noch so fragil, schwindend und mit Leiden, Ängsten und der Aussicht auf den nahenden Tod verbunden, noch immer dem Leben angehört. Die „Qualität“ dieses Lebens ist dabei immer das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Arbeit, die aus Berührungen, Gesprächen, Trauer, Trost und dem Loslassen besteht.
Was mache ich mit der Zeit?
Einige Patient:innen sind schon mehrere Male auf der Station gewesen und konnten danach wieder nach Hause gehen, bevor sich ihr Zustand unumkehrbar verschlechterte. Im Laufe des Films lernt man sie immerhin so gut kennen, dass man bei Sitzungen des Teams sofort weiß, über wen gerade gesprochen wird. Man wird als Zuschauerin selbst zur „Angehörigen“ dieses sehr besonderen Raums und fühlt sich erleichtert, wenn die Krebspatientin sich wieder mit der Gehhilfe selbständig über die Flure bewegen kann und der Arzt ihre Angst vor dem MRT etwas beschwichtigen kann. Man nimmt Anteil an dem Leid eines schwer lungenkranken Mannes, in dem die Entscheidung reift, sich ins Hospiz zu begeben. „Was mache ich mit der Zeit? Die Zeit, die so langsam ist, auf einmal“, fragt er.
Die Welt außerhalb des Krankenzimmers entgleitet. Und die Zeit, die am Ende des Lebens doch so knapp ist, von der es ständig heißt, sie renne einem davon: Sie ist plötzlich reichlich da, überall und nirgends, bedeutungslos.