Apple Cider Vinegar
Drama | Australien/Großbritannien 2025 | 371 Minuten (6 Folgen)
Regie: Jeffrey Walker
Filmdaten
- Originaltitel
- APPLE CIDER VINEGAR
- Produktionsland
- Australien/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- Picking Scabs/See-Saw Films/Screen Australia/VicScreen
- Regie
- Jeffrey Walker
- Buch
- Samantha Strauss · Angela Betzien · Anya Beyersdorf
- Kamera
- Toby Oliver
- Musik
- Cornel Wilczek
- Schnitt
- Annette Davey · Mat Evans
- Darsteller
- Kaitlyn Dever (Belle Gibson) · Alycia Debnam Carey (Milla Blake) · Aisha Dee (Chanelle) · Tilda Cobham-Hervey (Lucy) · Ashley Zukerman (Clive)
- Länge
- 371 Minuten (6 Folgen)
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Serie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Eine Drama-Serie basierend auf dem realen Betrugsfall rund um die australische Influencerin Belle Gibson, die in den 2010-Jahren mit falschen Behauptungen, sie leide an Krebs und hätte die Krankheit allein mit Ernährung, Sport und alternativer Medizin besiegt zum Wellness-Guru avancierte.
Die mitfühlenden Emojis und Likes steigen wie eine bunte Wolke aus dem Laptop und umhüllen Belle Gibson (Kaitlyn Dever), wie Disneys Cinderella von den glitzernden Funken aus dem Zauberstab ihrer Feen-Patin umhüllt wird, als sie sich von der armen Stieftochter in die strahlende Ballkönigin verwandelt. Im Fall der jungen Australierin Belle, die gerade darangeht, sich vom Underdog zur Wellness-Influencerin zu mausern, braucht es freilich keine Magie, um die Verwandlung zu bewerkstelligen. Nur eine gute Story und ein Händchen für die in den späten 2000er- und frühen 2010er-Jahren boomenden Möglichkeiten, diese mit Hilfe sozialer Medien unters Volk zu bringen. Eine geeignete Story hat Belle parat: Die einer tapferen Kämpfernatur, die das Schicksal mit der Diagnose „Hirntumor“ geschlagen hat und die trotz der Prognose ihres Arztes, ihr blieben nur noch wenige Monate Lebenszeit, den Krebs erfolgreich bekämpft, und zwar nicht mit OP oder Chemo, sondern durch eine radikale Umstellung von Ernährung und Lebensweise. Auch den richtigen Instinkt, wie sich diese Story vermarkten lässt, bringt Belle mit; sie springt früh auf den Instagram-Zug auf, und ihre App „The Whole Pantry“, die User:innen dabei unterstützt, Belles heilsamen Lebens- und Ernährungsstil nachzuahmen, wird ein durchschlagender Erfolg. Bis irgendwann ans Licht der Öffentlichkeit kommt, dass die glanzvolle Transformation der Belle Gibson von der Todkranken zur strahlenden Digitalunternehmerin und Gesundheitsikone auf eine Lüge gebaut ist.
Die Destruktivität falscher Heilsversprechen
Die von Samantha Strauss kreierte, von Jeffrey Walker inszenierte Miniserie greift ähnlich wie bereits „The Dropout“ oder „WeCrashed“ einen jener Fälle aus den 2010er-Jahren auf, bei denen eine 2.0-Erfolgsgeschichte mit einer spektakulären Bruchlandung endete und das Vertrauen in die neue Tech-Elite nachhaltig erschütterte. Die 1991 geborene Annabelle Natalie Gibson wurde bereits vor zehn Jahren, 2015, als Betrügerin entlarvt; nicht zuletzt die Jahre der Corona-Pandemie haben aber schmerzhaft gezeigt, wie virulent die Problematik im Netz verbreiteter unseriöser Gesundheitsinformationen nach wie vor ist. Die Destruktivität alternativer Fakten und grassierender Wissenschaftsfeindlichkeit: Sie zeigt sich da, wo es um medizinische Fragen und damit im Zweifelsfall um Leben oder Tod geht, besonders krass.
Strauss nimmt sich in „Apple Cider Vinegar“ Zeit, nicht nur auf Gibson selbst zu fokussieren, sondern mit Hilfe einer Mischung aus realen, fiktionalisierten und erfundenen Charakteren in größerem Kontext die Risiken und Nebenwirkungen dieser windigen „Heilsgeschichte“ deutlich zu machen. Die aus sechs Episoden bestehende Miniserie entfaltet sich als eine Art dramaturgisches Puzzle, das aus Handlungsfragmenten auf verschiedenen Zeitebenen und festgemacht an verschiedenen Personen die Causa Gibson, ein Psychogramm der Betrügerin sowie ein Bild des Bodens, auf dem ihre Lügen gediehen, entwirft.
Die Erfolgsgeschichten wanken
So spielt unter anderem etwa eine Frau eine Rolle, die an Brustkrebs erkrankt ist und zermürbt von der Chemo in Belles Ratschlägen neue Hoffnung sucht, sehr zum Leidwesen ihres Mannes, eines Journalisten, der verstärkt skeptisch nachzurecherchieren beginnt, was es mit Belle wirklich auf sich hat. Gespiegelt und gleichermaßen konterkariert wird Belles Geschichte zudem in der Figur einer Influencer-Vorgängerin/Konkurrentin namens Milla Blake (lose angelehnt an Jessica Ainscough), die noch vor Belle mit einer ähnlichen Story von lebensbedrohlicher Krankheit und alternativer Heilmethode bekannt wird und von der Belle sich einiges abschaut.
Auch in Millas Fall geht es darum, wie eine viral gegangene Wellness-Erfolgsgeschichte ins Wanken kommt – nur dass es bei Milla, die sich im Gegensatz zu Belle den Krebs nicht ausgedacht hat, nicht Lügen sind, die dieses Wanken verursachen, sondern tragische körperliche Fakten.
Ein weiblicher Nosferatu des Social-Media-Zeitalters
Ähnlich wie schon in „Dropout“, der Miniserie, in der Amanda Seyfried beängstigend gut die scheiternde Unternehmerin und Betrügerin Elizabeth Holmes verkörperte, ist es trotz solcher Nebenstränge auch in „Apple Cider Vinegar“ eine fulminant aufspielende Hauptdarstellerin, die den größten Reiz der Serie ausmacht. Kaitlyn Dever, die sich bereits in Serien wie „Unbelievable“ und „Dopesick“ und in Filmen wie „Booksmart“ und „Dear Evan Hansen“ als überragendes Talent gezeigt hat, gibt als Belle Gibson eine Figur, die ihrerseits eine bravouröse Schauspielerin ist – eine Narzisstin, in deren Gedankenhorizont andere Menschen nur so weit eine Rolle zu spielen scheinen, wie sie ihr nützen oder schaden können, die zugleich aber mit fast gruseligem Gespür anderen etwas vormachen und Gefühle performen kann, wenn es jemanden zu manipulieren gilt. „Sie hat keine Freunde, sie hat Wirtskörper“, sagt an einer Stelle eine Nebenfigur über Belle. Wobei Dever dieses Parasitär-Vampirische der Figur zugleich mit einer emotionalen Bedürftigkeit unterfüttert, die sie doch auch irgendwie anrührend wirken lassen. Ein trauriger, morbider weiblicher Nosferatu des Social-Media-Zeitalters.