Es hat etwas von einer Geburt: Ein Jugendlicher erwacht auf einer schlecht asphaltierten Bergstraße inmitten einer gezähmten Wildnis. Die Sonne ist gerade dabei, das Tal mit ihren Strahlen zu fluten. Als Donnie sich gähnend und räkelnd der Wärme entgegenstreckt, wirkt er weder verängstigt noch fröstelt, sondern erholt und befreit. Er schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt in die Vorstadt hinab. Aus dem Radio erklingt der Song „I know it must be the killing time…“ und auf dem Kühlschrank der Familie Darko prangt eine Notiz: „Wo ist Donnie?“
Doch die Zeichen täuschen. Donnie Darko (Jake Gyllenhaal), dessen kurze und seltsame Geschichte einer späten Jugend hier erzählt wird, ist kein künftiger Serienkiller. Ganz im Gegenteil: Er könnte selbst bald sterben. Präzise in 28 Tagen, 6 Stunden, 42 Minuten und 12 Sekunden. Vielleicht ist das zugleich das Ende der Welt. Zumindest behauptet dies Frank, Donnies neuer Freund.
Wenn Donnie seiner Therapeutin die Wahrheit sagt (und die sagt er immer), dann ist dieser Frank trotz seiner felligen Gestalt, den Hasenohren und seiner zähnebleckenden Fratze ein höchst umgänglicher, höchst realer Kumpel. Immerhin hat er Donnie gleich beim ersten Mal das Leben gerettet, als mitten in der Nacht die Turbine einer Boeing genau auf jenen Teil seines Elternhauses stürzte, in dem sein Schlafzimmer liegt.
Was fehlt Donnie Darko?
„Wenn ich zweimal in die Hände klatsche, dann wachst du auf!“, sagt Donnies Therapeutin (Katharine Ross), die alles versucht, inklusive einer durch Hypnose induzierten Zeitreise in die Vergangenheit, damit es dem Jungen aus der mittelständischen US-Vorstadt wieder besser geht.
Was ihm fehlt, ist schwer zu sagen. Er verliert sich in Tagträumen, er hat eine Freundin, zwei nervige Schwestern und Eltern, die durchaus willens sind, ihn aus dem Zimmer des Schuldirektors herauszuboxen, wenn er mal wieder durch unbequeme Wahrheiten aufgefallen ist.
Die Schule ist allerdings ein wahrer Hort des Horrors, in Gestalt langweilig-spießiger Schüler und reaktionärer Lehrer, die sich nicht scheuen, schmierige Fernseh-Heilsbringer wie Jim Cunningham (Patrick Swayze) für Motivationslehrgänge einzuladen. Kein Wunder, dass Donnie dort als Außenseiter gilt. „Passen Sie bloß auf, dass Donnie nicht vom Pfad der Liebe endgültig in Richtung Moloch der Angst abdriftet“, muss sich Mutter Rose (Mary McDonnell) von Donnies Lehrerin Kitty Farmer (Beth Grant) sagen lassen. Warum sollte Donnie da nicht aufgeschlossen reagieren, wen Frank ihm ketzerische Vorschläge unterbreitet, etwa die Schule zu verwüsten?
Wenn eines in dem Film von Richard Kelly naheliegt, dann die Vermutung, dass Donnies Therapeutin vergessen hat, ein zweites Mal in die Hände zu klatschen. Kelly belässt es im Unklaren, was hier eigentlich passiert, ob man Zeuge der Geschichte eines geisteskranken Jungen wird oder ob die Welt um ihn herum verrückt ist.
Audiovisuell kommt „Donnie Darko“ ungefähr so daher, als hätte man den Vorspann von David Lynchs „Blue Velvet“ auf abendfüllende Länge gestreckt. In Zeitlupe entwerfen Kamera und Ausstattung eine heile sonnige Vorstadtwelt, die einen frösteln macht im Wissen, dass hier auch der Nährboden für den Extremismus eines Donald Trump zu finden ist.
Progressive Kräfte haben keine Chance
Auf der anderen Seite gibt es die Lehrerin Karen Pomeroy (Drew Barrymore), die als einzige versucht, in der Schule aufzubegehren. Die Gesichtszüge von Donnies Mutter Rose erstarren angesichts des zuckersüß-giftigen Alltags hingegen regelmäßig in einer Mischung aus Fatalismus und ungläubigem Amüsement, so als wollte sie im nächsten Moment zur Waffe greifen, um ihrem Ärger endlich Luft zu verschaffen. Und es gibt Donnies ältere Schwester Elizabeth (Maggie Gyllenhaal), die wie Lisa bei den „Simpsons“ fürs intellektuelle Gewissen steht und bei der nächsten Präsidentenwahl – der Film spielt im Oktober 1988 - den Demokraten Dukakis wählen will.
Doch progressive Kräfte haben keine Chance, denn „Donnie Darko“ läuft auf das vom Horrorhase Frank genannte Datum zu. Man weiß: In knapp einem Monat kann ohnehin alles egal sein. Doch bis dahin zieht einen „Donnie Darko“ in einen virtuosen Malstrom aus Schein, Sein und den ganz normalen Wahnsinn hinein. Filmkomponist Michael Andrews covert dazu „Tears for Fears“: „The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had. When people run in circles it’s a very, very… Mad World!“