Wie die Liebe geht
Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 160 Minuten
Regie: Judith Keil
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Keil Kruska Film
- Regie
- Judith Keil · Antje Kruska
- Buch
- Judith Keil · Antje Kruska
- Kamera
- Michael Dreyer · Susanna Salonen · Jennifer Günther · Susanne Schüle · Marcus Winterbauer
- Musik
- Beckmann
- Schnitt
- Catrin Vogt
- Länge
- 160 Minuten
- Kinostart
- 14.02.2025
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- TMDB
Dokumentarische Langzeitstudie über vier Paare und die Höhen und Tiefen ihrer Beziehungen im Verlauf von sieben Jahren.
Eine Hochzeit gilt meist als schönster Tag im Leben zweier Menschen; der wichtigste Moment eines eigenständigen Lebens ist der erste Atemzug bei der Geburt. Zwei Hochzeiten und eine Geburt bilden denn auch den Auftakt zu „Wie die Liebe geht“, einer dokumentarischen Langzeitstudie von Judith Keil und Antje Kruska. Die beiden haben vier Paare über sieben Jahre mit der Kamera begleitet. Zu sehen gibt es vor allem Alltägliches. Dazu Gespräche zwischen Partnern, manchmal auch solche im etwas größeren Kreis mit Familienangehörigen, nahestehenden Freunden und Freundinnen.
Wenn ein Paar nicht gemeinsam vor der Kamera steht, erzählen einzelne Protagonisten über das, was in Abwesenheit der Regisseurinnen geschehen ist. Im Fokus von „Wie die Liebe geht“ stehen weder Biografie noch der berufliche Werdegang der Protagonisten, sondern ihre Beziehungen und was diese bestimmt. Der geteilte Alltag, das Zusammenleben, die Auseinandersetzung miteinander, gemeinsame und eigene Wünsche, Zukunftspläne und persönliche Befindlichkeit, welche oft durch Mimik und Gestik vermittelt wird.
Mindestens so romantisch wie eine Märchenhochzeit
Der Anfang von „Wie die Liebe geht“ gestaltet sich wonniglich. Mit der Truckfahrerin Patty und der Krankenschwester Sarah aus Waltrop, die sich an einem strahlenden Sommertag das Jawort geben. Patty hat sich davor in einem schicken Herrenmodegeschäft Jacke, Hose, Hemd, Krawatte besorgt, Sarah trägt ein klassisches weißes Hochzeitskleid mit Schleier und lässt sich von ihrem Vater durch die Gästeschar führen. Auf der Leinwand nimmt sich das mindestens so romantisch aus wie eine Märchenhochzeit in einem Hollywoodfilm. Und spätestens als einer der besten Freunde des Paares in seiner Rede über die „echte“ und „wahre Liebe“ spricht, die „einfach ins Leben kommt“, ergänzt man das Gehörte innerlich unweigerlich mit: „und sie lebten glücklich zusammen bis in alle Ewigkeit“.
Auch die Hochzeit von Nici und Benni, bei der der sonst vor zappliger Energie nur so strotzende Mann plötzlich wortlos und mit Tränen in den Augen vor seiner Frau steht, geht einem unmittelbar ans Herz. Die beiden leben mit Kaninchen auf dem Balkon in einer alten Plattenbauwohnung im Osten Berlins. Nici arbeitet als Controllerin in einer Bäckereikette. Benni ist studierter Biochemiker und spielt in einer Band. Sie sind von Temperament und Ausstrahlung sehr unterschiedlich, scheinen sich aber prima zu ergänzen. Nici ist bodenständig und denkt praktisch. Benni hat tausendundeine Idee und färbt sein Haar grün. Seine Lebenshaltung ist die eines rebellischen Punks, dem Bürgerlichkeit ein Gräuel ist. Gleichzeitig ist er aber auch sehr sensibel und verspielt. Die beiden planen für später Großes, ihr geteiltes Leben soll ein aufregendes Abenteuer werden.
Das Kinderkriegen verbindet die Paare
Erst aber will Benni seine Doktorarbeit schreiben. Noch bevor er diese fertig hat, kommt das erste Kind zur Welt, knapp zwei Jahre später ihr zweites. Es sind nicht die einzigen Kinder, die im Laufe von „Wie die Liebe geht“ das Licht der Welt erblicken. Vielmehr ist das Kinderkriegen das, was die vier Paare gemeinsam haben und sie miteinander verbindet. Obwohl Zukünftiges im Leben nur bedingt vorhersehbar ist und damit auch eine Langzeitdokumentation nicht komplett durchgeplant werden kann, schreibt sich das Kinder-Bekommen als Manifestation der Liebe in diesen Film ein – oder kristallisierte sich in dessen Montage als solche heraus. Die Art und Weise aber, wie die vier Paare zu ihrem Nachwuchs kommen, wie sie damit umgehen, und wie sich durch die Erweiterung zu einer Familie die Beziehungen der Paare verändern, fällt sehr unterschiedlich aus.
Bei Mirko und Nicola, dem dritten Paar des Films, sind es die geteilte Fürsorge und Liebe für ihre gemeinsame Tochter Ida, welche die Eltern auf Dauer verbindet. Mirko ist Malermeister, Nicola Kleinkindererzieherin und Kickboxerin. Die beiden leben in Bremen. Als sie sich kennenlernen, arbeitet Nicola in einer Pizzabäckerei und verliebt sich Hals über Kopf in den charmanten Mirko, der eines Tages bei ihr am Tresen steht. Dass Mirko elf Jahre älter ist als sie, kümmert Nicola so wenig wie die Tatsache, dass er mit drei Frauen bereits vier Kinder hat, von denen zwei bei ihm leben. Dass ein Mann wie Mirko nicht unbedingt an die große Liebe glaubt, versteht sich ebenso, wie dass bei einer solchen Konstellation viel Reibungsfläche entsteht. Tatsächlich setzt Mirko Nicola und Ida nach wenigen Monaten vor die Tür. Ihre gemeinsame Geschichte ist damit erstaunlicherweise aber noch lange nicht am Ende.
Alles miteinander besprechen
Das vierte Paar in der Runde sind die Schauspielerin Michi und der Fotograf Louis. Sie kennen sich gefühlt seit Ewigkeiten; ihr Umgang miteinander ist sehr vertraut. Sie leben in Berlin und führen eine offene Beziehung, in der man alles miteinander bespricht, sich für sich selber aber auch möglichst alle Optionen offenhält. Zu Beginn des Filmes teilen sie ihren Eltern bei Kaffee und Kuchen mit, dass sie es nun mit dem Kinderkriegen versuchen wollen. Lucas Geburt in einem Berliner Geburtshaus, bei der auch die werdenden Großeltern anwesend sind, ragt als nicht genau planbares Ereignis, das die Regisseurinnen mit der Kamera direkt mitverfolgen, singulär aus dem Film heraus.
Mit der Ankunft von Luca verändert sich Michis und Louis’ Beziehung. Während sich Michis Agenda schon bald wieder mit Probe- und Auftrittsterminen füllt, stehen bei Louis vor allem Kind und Haushalt auf dem Programm. Dass Michi, die sich schon früher sexuelle Freiheiten ausbedingt, eines Tages einen zweiten Mann in die Familie einbringt, macht es für Louis nicht unbedingt einfacher. Er wisse nicht, wie lange er das aushalte, sagt er, als das noch neu ist. Wochen oder Monate später fahren er und Michi in ein Pärchen-Weekend, bei dem Michi ihm versichert, dass er nach wie vor ihre Hauptbezugsperson sei.
So wie bei Michi und Louis verändern sich bei den anderen Paaren im Laufe der Jahre die Beziehungen, Lebensansichten und -bedingungen. Für Nici und Benni stehen nach Abschluss seiner Dissertation statt Reise und Abenteuer ein fester Job und der Umzug in eine größere Wohnung auf dem Plan, bevor ein Schicksalsschlag diesen durchkreuzt und sie ihre gemeinsame Zukunft von Grund auf neugestalten müssen.
Unverhoffte Zweifel
Bei Mirko und Nicola folgt auf den großen Bruch eine neue Annäherung, ein sich Miteinander-Einrichten in einer Distanz, die für alle zu stimmen scheint. Die erstaunlichsten Veränderungen aber durchleben Patty und Sarah. Sie kommen dank Fortpflanzungsmedizin zwar zu einen Traumbaby. Und wenn es nach Patty ginge, könnten sie alle drei weiterhin zusammen glücklich durchs Leben gehen. Doch Sarah packen nach der Geburt unverhoffte Zweifel. An sich, an ihrem Körper, ihren Bedürfnissen und ihrer Beziehung. Überhaupt steht da plötzlich die Frage im Raum, ob sie in ihrem Leben nicht etwas vermisse.
Die beiden Dokumentaristinnen Judith Keil und Antje Kruska begleiten die Protagonistinnen und Protagonisten diskret und aus einer gewissen Distanz. Von den heftigen Ereignissen, Stürmen und Krisen, welche diese miteinander durchmachen, erfahren sie oft erst im Nachhinein. Auf der Leinwand ist meist nur das zu sehen, was in den Nachwehen solcher Vorfälle angegangen werden kann. Etwa der Auszug aus einer gemeinsamen Wohnung, das Einrichten anderswo, das Zusammensein mit Familienangehörigen und Freunden, die zuhören, für einen da sind und einen trösten, wenn etwas zusammenbricht und man nicht weiß, wo und wie das Leben weitergeht. Was wirklich vorgefallen ist, erfährt man aus erklärenden Statements einzelner Protagonisten im Rückblick.
Grundsätzlich wird in „Wie die Liebe geht“ vieles bloß angedeutet, aber nicht näher erläutert. Etwa die bürokratischen Hürden, die sich bei der Anerkennung der Elternschaft beziehungsweise Adoption eines in einer lesbischen Partnerschaft geborenen Kindes stellen. Auch erfährt man nur wenig über die beruflichen und finanziellen Situationen der Protagonisten und ihr soziales Umfeld. Das ist vielleicht auch gar nicht nötig bei einem Film, der sich als Programm die Ergründung der Liebe und deren Funktionieren auf den Titel schreibt; doch es würde diesem eine gewisse Erdung verleihen.
Was Paare vor der Kamera preisgeben
Was man durch diesen Film erfährt, sind Beispiele davon, wie Paare sich zueinander und miteinander verhalten. Genauer gesagt das, was sie vor laufender Kamera und in Anwesenheit der Filmemachenden miteinander zu verhandeln und öffentlich preiszugeben bereit sind. Was man nicht erfährt, ist das, was jenseits davon eine Liebe ausmacht. Die intimen Momente, die eine Paarbeziehung bestimmen, oder auch die im Zusammensein entwickelte, nur füreinander bestimmte Sprache, in der sich Liebende miteinander unterhalten. Das ist ein bisschen bedauerlich, doch es lässt sich nicht ändern. Sehenswert und trotz seiner stolzen Länge von 160 Minuten erstaunlich kurzweilig ist „Wie die Liebe geht“ dennoch.