The Worst Man In London

Drama | Portugal 2024 | 127 Minuten

Regie: Rodrigo Areias

In der zweiten Hälfe des 19. Jahrhundert versucht der portugiesisch-englische Kunstagent Charles Augustus Howell (1840-1890) in der viktorianischen High Society nach ganz oben zu gelangen. Trotz seiner tadellosen Manieren und seines gewinnenden Auftretens bleibt er aber ein Außenseiter. Der sorgfältig inszenierte Historienfilm deutet die dunklen Seiten seiner Persönlichkeit lediglich an und kultiviert so die geheimnisvolle Aura und den dubiosen Ruf des Händlers. Ein mehr an den Milieuschilderungen als an der Biografie interessierter Film, der insbesondere durch die Ästhetik seiner Bildkompositionen beeindruckt. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
O PIOR HOMEM DE LONDRES
Produktionsland
Portugal
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Leopardo Filmes/APM/Alfama Films
Regie
Rodrigo Areias
Buch
Eduardo Brito
Kamera
Jorge Quintela
Musik
Samuel Martins Coelho
Schnitt
Tomás Baltazar
Darsteller
Albano Jerónimo (Charles Augustus Howell) · Edward Ashley (Dante Gabriel Rossetti) · Victoria Guerra (Lizzie Siddal) · João Pedro Vaz (David) · Carmen Chaplin (Lady Posselthwaite)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Historisches Drama über Charles Augustus Howell, der im späten 19. Jahrhundert als Kunstagent in London sowohl in elitären Kreisen wie auch in zwielichtigen Milieus verkehrte.

Aktualisiert am
20.12.2024 - 16:01:58
Diskussion

Der Kunstabend, der zu später Stunde in einer edlen Londoner Villa stattfindet, ist exklusiv und mysteriös zugleich. In der Dunkelheit fahren Kutschen vor. Die Gäste sind handverlesen und werden von der Gastgeberin Lady Postlethwaite (Carmen Chaplin) persönlich begrüßt. Darunter sind auch der Maler Dante Gabriel Rossetti (Edward Ashley) und seine Geliebte Elizabeth Siddal. Wenig später trifft auch der größte Kunstkritiker Londons ein: John Ruskin (Scott Coffey). In seinem Schlepptau: sein Sekretär, ein vornehmer Mann mit dunklem Haar und Schnurrbart, der bestens Englisch spricht, obwohl er aus Portugal stammt und auf den Namen Charles Augustus Howell (1840-1890) hört. Mit seinem eleganten Auftreten nimmt er Menschen sofort für sich ein; Howell (Albano Jerónimo) schmeichelt ihnen, hört ihnen zu – und verfolgt doch auch eigene Ziele.

Dem Protagonisten haftet etwas Undurchsichtiges an. Er lässt sich nicht in die Karten schauen, tut Gutes und ist doch stets bestrebt, es in den Kunstkreisen der viktorianischen High Society ganz nach oben zu bringen. Er verkauft Aquarelle, Zeichnungen und Gemälde von Rosetti, zu dessen Agent er wird. Gleichzeitig besorgt er dem Künstler und seiner Freundin, die ebenfalls malt und dichtet, eine gefährliche Substanz: Chloralhydrat. Die hilft dabei, in den Schlaf zu finden, macht aber hochgradig süchtig. Auf diese Weise werden sie von Howell abhängig und spielen zugleich mit ihrem Leben.

Nationalistische Dünkel

Howell lässt sie gewähren. Zur Durchsetzung seiner Ziele schreckt er aber auch vor Erpressung und Einschüchterung nicht zurück. Einmal kauft er einen gefälschten Botticelli, den er später für ein Vielfaches weiterverkauft. Er erpresst homosexuelle Künstler und droht, ihren Lebenswandel auffliegen zu lassen. Als Lady Postlethwaite sich nicht für ihn einsetzen will, als er einen hohen Posten im Kunstmilieu anstrebt, sammelt er kompromittierendes Material über ihr Liebesleben.

Der Grund, aus dem Postlethwaite dem Kunstagenten ihre Unterstützung verweigert, ist ein bornierter: Sie stört sich daran, dass er kein richtiger Engländer ist. Howells Vater war Engländer, doch seine Mutter entstammte dem portugiesischen Adel. Zwar verfügt Howell überall in Westeuropa über gute Kontakte, ist mehrsprachig und weltgewandt. Doch in der exklusiven Londoner Kunstszene ist man lange nicht so offen, wie man sich gibt, und pflegt einen nationalistischen Dünkel. Howell wird mal mehr, mal weniger direkt als „der Portugiese“ betrachtet. Das erbost ihn und lässt ihn vorübergehend verzweifeln. Dennoch verfolgt er hartnäckig seine Agenda. Außerdem sagt man ihm Kontakte zu internationalen Terroristen nach. Seine Geschäfte auf dem Kunstmarkt sollen der Finanzierung von Umstürzen in Europa dienen, wird gemunkelt. Bewiesen werden konnte das aber weder dem historischen Howell, noch sucht der Film dafür Belege.

Unterwegs im Labyrinth

Der Historienfilm von Rodrigo Areias passt sich der halbseidenen Persönlichkeit seines Protagonisten an. Oft sieht man ihn durch verruchte Gassen im East End wandeln und in spärlich beleuchteten Spelunken die Drogen seiner Klienten besorgen. Die Szenen spielen im Halbdunkel und sagen einiges über den zwielichtigen Charakter von Howell aus, der Handlanger für sich arbeiten lässt, aber nie bei kriminellen Handlungen zu sehen ist.

Auf diese Weise spielt der Film mit Howells Reputation als „Worst Man“ in London. De facto bewegt sich der stets tadellos aussehende Mann sehr höflich und gewandt in der Gesellschaft. Viele haben nur Gutes über ihn zu sagen, bis sich gegen Ende doch eine gewisse Ernüchterung einstellt oder über ihn getratscht wird.

Zweimal sieht man Howell durch ein Gartenlabyrinth schreiten, in dem er sich erstaunlich gut zurechtfindet. Auch dieses Bild ist ein Symbol für seine zahlreichen Aktivitäten oder sein mehrfaches Abtauchen ins Ausland.

Inszenatorisch geht der Film sehr unbekümmert mit der erzählten Zeit um. Man weiß nie, wieviel Zeit zwischen den Szenen verstrichen ist. Teilt er in einer Szene John Ruskin noch mit, dass er sich verlobt habe, begegnet man kurz darauf bereits Ehefrau und Kind. Auch die Erzählung selbst schlägt ein gediegenes Tempo an. Das Ganze wird in erlesenen Bildkompositionen präsentiert. Dabei beeindrucken vor allem die dunklen Einstellungen in viktorianischen Settings wie herrschaftlichen Häusern und Gärten, aber auch in den düsteren Armenvierteln.

Vieles bleibt im Verborgenen

Es kommt den Machern mehr auf Milieuschilderungen als auf Spannungsbögen an. Der historische Howell war zwar durchaus an seiner eigenen Karriere interessiert, setzte sich aber auch für seine Schützlinge ein – auch wenn sie wie Rossetti hoffnungslos von ihm abhängig waren. Howell hatte erkannt, wie brotlos die Kunst der Maler war. Er unterstützte die Künstler und ermutigte sie, sich von Mäzenen finanzieren zu lassen, auch wenn sie damit ihre Unabhängigkeit aufgaben.

Was an Howells Wesen oder Verhalten jedoch auf den „schlimmsten Mann von London“ schließen lassen soll, hält der Film bewusst im Verborgenen.

Kommentar verfassen

Kommentieren