Drama | Italien 2022 | 93 Minuten

Regie: Carolina Cavalli

Eine Tochter aus wohlhabender Familie steht mit ihren 24 Jahren ohne Lebensplan und Arbeit da und ohne eine einzige Freundin. Das kommt bei ihrer Familie auf Dauer nicht gut an. Deshalb versucht sie mit Penetranz und Ausdauer, ihre Kindheitsfreundin zurückzugewinnen, die jedoch mit noch größeren sozialen Ängsten zu kämpfen hat. Der experimentelle Film erzählt von Einsamkeit und der Suche nach sozialem Anschluss in einer hypervernetzten Welt. Cartoonhafte Elemente, Exzentrik und das Alter der Protagonistin lassen das streng stilisierte Drama ums Erwachsenwerden aber dezidiert ins Leere laufen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AMANDA
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Elsinore Film/Wildside/Tenderstories/Charades/I Wonder Pictures/Oscilloscope
Regie
Carolina Cavalli
Buch
Carolina Cavalli
Kamera
Lorenzo Levrini
Musik
Niccolò Contessa
Schnitt
Babak Jalali
Darsteller
Benedetta Porcaroli (Amanda) · Galatéa Bellugi (Rebecca) · Giovanna Mezzogiorno (Viola) · Michele Bravi (Dude) · Monica Nappo (Sofia)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Streng stilisiertes Drama um eine 24-jährige Frau aus einer wohlhabenden Familie, die alles daransetzt, ihre Kindheitsfreundin zurückzugewinnen.

Diskussion

Vielleicht liegt es daran, dass Amanda als kleines Mädchen im Swimmingpool von der Luftmatratze gekippt und fast ertrunken ist. Vielleicht sind aber auch ihre privilegierten Lebensumstände schuld an der Misere. Amanda (Benedetta Porcaroli) ist, jedenfalls gemessen an jungen Frauen ihres Alters, ein verspäteter Fall. Nach der Studienzeit in Paris, die sie hauptsächlich in der Kinemathek verbracht hat, lebt sie abwechselnd wieder bei ihren wohlhabenden Eltern und in einem Hotelzimmer am Rande der Stadt. Nach einem halben Arbeitstag in einer der zahlreichen Apotheken ihrer Eltern hat sie die Nase voll. Falls sie überhaupt einen Rest Antrieb hat, so besteht er ausschließlich darin, im örtlichen Supermarkt so viele Coupons zu sammeln, dass sie dafür die höchste Prämie, einen Ventilator, bekommt.

Was in ihrem familiären Umfeld noch weniger als der fehlende Lebensplan bekrittelt wird, ist der Umstand, dass Amanda keine Freunde hat. Hat sie auch nie gehabt. Denn niemand kann Amanda ausstehen. Außer ihre aus Südamerika stammende Haushälterin und ihre von Jesus besessene Nichte. Aber auch die sollen sich, wenn es nach der eiskalten Mutter und ihrer älteren Schwester (Margherita Maccapani Missoni) geht, aus ihrem Leben zurückziehen.

Skizzenhafter Stillstand

Carolina Cavalli stellt in ihrem Debütfilm „Amanda“ das Erwachsenwerden nicht nur als Entwicklungsprozess in Frage. Mit ihren 25 Jahren ist Amanda für das Coming-of-Age-Genre gut zehn Jahre zu alt. Und ob es mit dem Übergang ins adulte Dasein am Ende überhaupt noch etwas wird, ist eher zu bezweifeln. Der Film verzichtet außerdem auf all das, was Erzählungen über suchende junge Menschen vielfach bestimmt, nämlich einfühlsame Einblicke in das Innenleben einer komplizierten Figur, psychologisches Gespür und Identifikationspotential. „Amanda“ folgt eher der Dramaturgie und Zeichenhaftigkeit von Comics: Überspitzte Figuren, vignettenhafte Szenen, kurze, pointenhafte Interaktionen, so verknappte Dialoge, dass sie gut in eine Sprechblase passen würden, Einstellungswechsel von Totalen und Close-ups. Das bedeutet, dass es in „Amanda“ fast nichts Flüssiges gibt.

Die filmischen Einflüsse liegen sichtbar in jenen Ausprägungen des US-amerikanischen Independent-Kinos, in denen Außenseiterfiguren und dysfunktionale Familien mit Ironie und einer ausgeprägten, retro-affinen Bildsprache in Szene gesetzt werden. Im Vergleich zu „Amanda“ wirkt allerdings selbst Terry Zwigoffs Comicverfilmung „Ghost World“ noch ausformuliert.

Man muss schon einige Anstrengung aufbringen, um Amandas Unbeliebtheit zu glauben. Schließlich wirkt die von der italienischen Schauspielerin Benedetta Porcaroli mehr verkörperte als gespielte Loserin in all ihrer Merkwürdigkeit doch ziemlich unschrullig und entzückend – und außerdem recht hübsch. Auch stilistisch fällt sie durch verwirrende Zeichen auf. Bikerboots, schwarze weite Shorts, dazu Bubikragen und bunt Gehäkeltes. Halb Rockerstyle, halb Schulmädchen, dazu ein Touch Goth. Musikalisch ist „Amanda“ vielfach mit Westernmusik unterlegt.

Der Kampf um eine Freundin

Amanda will also den Ventilator – und eine beste Freundin dazu. Ein Freund wäre ihr auch recht. Online hat sie ihrer Ansicht nach schon mal so etwas Ähnliches wie Sex gehabt, zumindest benutzte sie vor dem Schlafengehen dasselbe Erdbeershampoo wie ihr virtueller (Ex-)Boyfriend. Das mit dem echten Freund geht allerdings schief. Ein junger Mann mit ausgeprägter Kinnpartie, den Amanda vor den Türen einer „Dance and Destroy“-Technoparty mit minutenlangem Anstarren auf sich aufmerksam macht, wendet sich wegen übermäßiger Textnachrichten wieder von ihr ab.

Auch das mit der besten Freundin gestaltet sich schwierig. Ausgerechnet ihre ehemalige Kindheitsfreundin Rebecca (Galatéa Bellugi) muss es sein. Die aber denkt gar nicht daran, sich befreunden zu lassen, und hat seit einem Jahr ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Amanda bleibt hartnäckig und setzt sich so lange vor ihre Tür, bis sie sich Zutritt verschafft hat – zunächst nur, um mit dem Haartrockner ihre nassen Bücher trockenzuföhnen, nach einer Weile aber auch für richtige Freundinnensachen. Lediglich eine Therapeutin, die Amandas Einfluss für schädlich hält, funkt gelegentlich dazwischen.

Frauen geben den Ton an

Brutalistische Architekturen und Landstraßen an der Peripherie sind die Kulisse dieses exzentrischen Dramas über Einsamkeit und die Suche nach sozialem Anschluss. Die Männer sind im Film weitgehend abwesend oder schwach; es sind die Frauen aus drei Generationen, die bestimmen, entscheiden und stören. Im Abspann wird Paolo Sorrentino gedankt.

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