Komödie | USA 2024 | 429 (10 Folgen) Minuten

Regie: Taika Waititi

Ein junger sinoamerikanischer Mann, der als Kellner im Restaurant seines Onkels in Chinatown arbeitet, leidet darunter, sich als Statist im eigenen Leben zu fühlen. Doch dann beobachtet er eine Entführung und lässt sich von einer Polizistin in die Ermittlungen verwickeln. Seine Wirklichkeit und die einer beliebten Polizeiserie schillern mehr und mehr ineinander, während er einem kriminellen Netz nachzuspüren beginnt, das auch mit dem Rätsel um seinen verschwundenen älteren Bruder zu tun hat. Eine spielerisch-skurrile, komödiantische Krimiserie, bei der es nicht nur um die Aufklärung eines Falls, sondern auch um die Sehnsucht nach einem bedeutungsvolleren, erfüllteren Leben geht, eingebettet ins Milieu der chinesisch-stämmigen Community. Dabei verheddert sich die Serie mitunter in ihren vielen Handlungsfäden, punktet aber mit einer originellen stilistischen Umsetzung, liebevollen Figurenzeichnungen und einer pointierten Auseinandersetzung mit asiatisch-amerikanischer Identität. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
INTERIOR CHINATOWN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
20th Television/Dive/Participant/Rideback
Regie
Taika Waititi · Stephanie Laing · John Lee · Pete Chatmon · Jaffar Mahmood
Buch
Charles Yu
Kamera
Tari Segal
Schnitt
Tamar Federknopp · Patrick Tuck · Nicole Brik · JoAnne Yarrow · David Chang
Darsteller
Jimmy O. Yang (Willis Wu) · Ronny Chieng (Fatty Choi) · Chloe Bennet (Lana Lee) · Lisa Gilroy (Sarah Green) · Sullivan Jones (Miles Turner)
Länge
429 (10 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Krimi | Literaturverfilmung | Serie
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Diskussion

Willis Wu (Jimmy O. Yang) hat Träume. Der junge Mann lebt in Chinatown und ist Kellner im „Golden Palace“, dem Restaurant seines Onkels; dort arbeitet er zusammen mit seinem besten Freund Fatty (Ronny Chieng), mit dem er sich auch ein Zimmer teilt. Zufrieden ist Willis mit diesem Job und seiner ganzen Situation nicht; er fühlt sich wie ein Statist in der eigenen Lebensgeschichte, sehnt sich aber danach, der Held zu sein. Im Restaurant stehen alte Bildschirme, die „Black & White“ zeigen, eine populäre Polizeiserie rund um ein cooles Ermittlerteam, die Detektives Green und Turner. Green ist weiblich, klischeeblond, tough und weiß. Ihr Partner Turner ein Afroamerikaner, immer schön smart und smooth. Zwischen Willis’ unspektakulärem Kellner-Alltag und den Abenteuern der beiden Cops scheinen Welten zu liegen.

Bis Willis eines Nachts beim Müllrausbringen Zeuge wird, wie in der Straße vor dem Hinterhof des Restaurants eine Frau von finsteren Gestalten in ein Auto gezerrt wird und bald darauf die TV-Cops ganz real im Golden Palace auftauchen und Ermittlungen anstellen. Weil aber beide so gar keine Ahnung von Chinatown haben, kommt Detektive Lana Lee (Chloe Bennet) ins Spiel. Und die holt ihrerseits niemand anderen als Willis mit ins Boot und macht ihn zu ihrem Chinatown-Insider. Wobei die Ermittlungen auf den Spuren des organisierten Verbrechens bald über den Fall der entführten Frau hinausgehen und mit Intrigen zu tun haben, die Willis ganz persönlich betreffen: Vor Jahren ist sein geliebter und bewunderter älterer Bruder Jonathan, ein exzellenter Kung-Fu-Kämpfer, spurlos verschwunden. An der Seite von Lana Lee scheint sich eine Chance aufzutun, endlich aufzuklären, was damals mit ihm geschah.

Zeit- und Wirklichkeitsebenen schillern ineinander

„Interior Chinatown“ spielt vergnügt mit den Formeln von Polizeiserien, geht selbst aber von der ersten Episode an über diese Muster hinaus: Hier geht es nicht nur um die Suche nach Verbrechern, es geht auch um die Suche nach Identität(en), verankert in der chinesisch-amerikanischen Community. Die Miniserie basiert auf einem gleichnamigen Buch des Autors Charles Yu, der nun auch als Showrunner fungiert. Zu den Produzenten und Regisseuren der zehnteiligen Disney+-Serie gehört auch Taika Waititi, der neuseeländische Filmemacher, der mit der Vampir- und Horrorkomödie „5 Zimmer, Küche, Sarg“ seinen Durchbruch feierte, Mainstream wie den Marvel-Film „Thor - Tag der Entscheidung“ drehte oder den etwas anderen Holocaust-Film „Jojo Rabbit“. Ziemlich abgedrehte, skurrile Genremixe gehören zu seiner Spezialität, und diese Stärke spielt auch „Interior Chinatown“ genüsslich aus.

Die Serie verquickt permanent und ebenso verwirrend wie faszinierend Zeit- und Realitätsebenen; neben der Gegenwart um Willis’ und Lanas Ermittlungen gibt es diverse Rückblenden, unter anderem um ein weiteres Cop-Duo aus den 1980er-Jahren, das einst ebenfalls in Chinatown ermittelte und mit dem das Schicksal von „Kung-Fu Guy“ Jonathan, Willis’ älterem Bruder, verquickt ist. Was Chinatown-Wirklichkeit ist und was TV-Show, schillert dabei munter ineinander. Erzählerischer Motor ist die Entwicklung von Willis, den die Ereignisse seinen Träumen davon, der Held der eigenen Lebensgeschichte zu sein, erheblich näherbringen: Er schleicht sich ins Polizeirevier ein und legt jede Menge Hartnäckigkeit und Einfallsreichtum an den Tag, um an Informationen zu kommen.

Ein Herz für die unauffälligen Normalos

Rund um ihn versammeln die Macher ein schillerndes Figurenensemble. Die coole Lana Lee, in die Willis bald schwer verknallt ist, bleibt eine Figur voller Überraschungen. Die „Heldenfiguren“ Turner und Green sind zunächst als parodistische Abziehbilder typischer Cop-Show-Protagonisten angelegt, dürfen im Lauf der Serie aber andere Serien zeigen: Green, die kalte blonde Karrierefrau, beginnt ab Folge 7, sich im Zug eines Partnerwechsels zu öffnen und empathischer zu werden; ihr Partner Turner will irgendwann aussteigen und Kunst machen. Mehr als für sie schlägt das Herz der Serie aber für diejenigen, die wie Willis keine klassischen Held:innen, sondern unauffällige Normalos sind. Nicht zuletzt sind das die sino-amerikanischen Nebenfiguren, wie etwa der schüchterne Fatty, der menschenscheu ist, den Gäste-Kontakt meidet und lieber in der Küche als im Gastraum arbeitet. Dann aber zum Medienstar wird, als er für den mit seinen Ermittlungen beschäftigten Willis als Kellner einspringen muss, sich dabei ziemlich danebenbenimmt und viral geht. Oder Willis’ Eltern, die sich nach dem Verschwinden des älteren Sohnes lange in ihre Trauer wie in ein Schneckenhaus zurückgezogen hatten und nun dabei sind, neu die Fühler auszustrecken.

Mit insgesamt zehn Folgen ist „Interior Chinatown“ etwas überdimensioniert; die Macher wollen mit den vielen Twists und Metaebenen-Spielereien am Ende ein wenig zu viel – vor allem, wenn die Handlung schließlich noch zu einer Parabel auf den Überwachungsstaat und die Medien mit Anleihen bei Orwells „1984“ wird. Nichtsdestotrotz ist sie über weite Strecken höchst kurzweilig, nicht zuletzt, weil sie stilistisch überzeugt: Die Umsetzung schwankt zwischen dem TV-Format 4:3 und Kinoformat 16:9, setzt teilweise auf einen Retro-VHS-Charme, dann wieder auf knallbunte Farben und Actionszenen. Die Innenräume mit vielen Fluren, Kellern und geheimen Tunneln wirken oft kafkaesk, erinnern ein wenig an die Innenwelten von „Barton Fink“ der Brüder Coen. Der Tonfall schwankt zwischen Persiflage und Klamauk, liebevoller Nostalgie, einem Schuss Krimi-Realismus, einer emotionalen Familiengeschichte und amourösen Konflikten.

Dabei fließen immer wieder Themen ein, die in den letzten Jahren die amerikanische Gesellschaft ebenso entzweien wie beschäftigen: Es geht um Fragen der kulturellen Aneignung, latenten Rassismus und viele Klischees in Bezug auf „Chinesen“ (worunter, wie es die Serie an einer Stelle satirisch auf die Schippe nimmt, alles subsummiert wird, was irgendwie „asiatisch“ aussieht). Willis’ in der Serie aufgerollte „Heldenreise“ zu mehr Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung wird dabei in gewisser Weise auch zum Spiegel eines neuen Selbstbewusstseins der asiatisch-amerikanischen Community. Wozu passt, dass in den ersten Folgen auch von den Sino-Amerikanern Chinatowns fast ausschließlich Englisch gesprochen wird, dann jedoch auch Mandarin eine immer größere Rolle spielt. Das gipfelt in einer Verhörszene, in der Willis’ Onkel, der Restaurantinhaber des „Golden Palace“, verhaftet wird und nur noch Chinesisch redet. Sein Übersetzer ist dann plötzlich Willis Wu.

Und so ist „Interior Chinatown“ ein origineller Ritt, der mit einem sehr guten Ensemble aufwartet, sich in seinen vielen Nebensträngen zwar teilweise etwas verheddert, sich aber dank einer enormen formalen wie inhaltlichen Vielschichtigkeit trotzdem zu einer der originellsten US-Serien der letzten Zeit mausert.

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