© Splitter Verlag ("Laurel und Hard" von Gianluca Buttolo)

Das Leben ist keine Tortenschlacht

In der Graphic Novel „Laurel und Hardy“ erzählt Gianluca Buttolo das Leben des legendären Komiker-Duos nach

Veröffentlicht am
11. Dezember 2024
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In der Graphic Novel „Laurel und Hardy“ des Italieners Gianluca Buttolo erzählt der alte Stan Laurel von seinem Leben und der Zusammenarbeit mit seinem unersetzlichen Kollegen Oliver Hardy, von widrigen Privat- und Produktionsumständen und von Hollywood in der Stumm- und der Tonfilmzeit. Die stilechten Schwarz-weiß-Zeichnungen würdigen, wie „The Boys“ zum größten Leinwandduo aller Zeiten wurden und immer wieder Umbrüche zu meistern hatten.


Die Bildergeschichte beginnt elegisch, mit einer Rückenfigur. Stan Laurel steht auf dem Balkon seines Alterswohnsitzes im kalifornischen Santa Monica und blickt aufs Meer oder betrachtet die Palmen vor dem Oceana Hotel – die Zeichnung verrät es nicht. Gut möglich, dass der Komiker mit geschlossenen Augen an die Zeit mit „Babe“ zurückdenkt, wie Laurel und auch andere Teammitglieder seinen Kollegen Oliver Hardy stets nannten.

„Laurel und Hardy“ – so auch der Titel von Gianluca Buttolos Graphic Novel – sind unsterblich; ihre Darsteller waren es natürlich nicht: Hardy starb 1957, Laurel 1965. In der Rahmenhandlung erinnert sich der Mann, der als Gag- und Drehbuchentwickler der kreative Kopf des Duos war, an die Gemeinschaftsarbeit, an Höhenflüge und Tiefpunkte des legendären Gespanns.


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Als (unsichtbarer) Gesprächspartner am Telefon dient ein Junge namens Seth, der von New York aus Fragen stellt, die Laurel freundlich und detailliert beantwortet. Ein ähnlicher Dialog soll sich wirklich ereignet haben, schließlich stand Laurels Nummer im Telefonbuch von Santa Monica. Fünf Abschnitte kündigt der Pensionär seinem jugendlichen Bewunderer an: Laurel und Hardy vor ihrer gemeinsamen Arbeit, die Geburt des Duos, das düstere, von Spannungen mit dem Produzenten Hal Roach und Eheproblemen geprägte dritte Kapitel und der laut Stan Laurel „erniedrigendste“ vierte Abschnitt: „die Phase unserer letzten Arbeiten für die großen Studios, die uns in bloße Produkte verwandelt und unserer Seele beraubt haben“.

Der alte Stan Laurel blickt zurück (© Splitter Verlag)
Der alte Stan Laurel blickt zurück (© Splitter Verlag)

Das Klavier ist der Plot

Im unverhofft heiteren fünften Akt aber „konnten wir dem Publikum wieder zeigen, was unsere Figuren auszeichnet“, erzählt Laurel. Nach ihrem letzten gemeinsamen, aber misslungenen Film „Atoll K“ (1951) geriet eine Theatertournee in England für das Duo erfolgreich und ermutigend, obwohl Laurel und Hardy mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatten.

Diese Spätphase wurde bereits in dem Film „Stan & Ollie“ (2018) beleuchtet. Während die Darsteller in „Stan & Ollie“, Steve Coogan und John C. Reilly, darin auch mit den Sketchen der „Boys“ brillieren, nimmt sich Buttolo in puncto szenisches Reenactment deutlich zurück. „Laurel und Hardy“ beruht auf der Prämisse, dass die Tortenschlachten und zeitlupenhaften Zerstörungsorgien nach dem Muster „Tit for Tat“ bekannt sind. Deshalb konzentriert sich der für Text und Zeichnungen gleichermaßen verantwortliche Buttolo auf gedankliche und produktionstechnische Hintergründe zum berühmten Figurenpaar.

Wer den „zermürbenden Klaviertransport“ nicht kennen sollte, muss ihn nach der Lektüre auf Youtube unbedingt nachschauen. Dass gerade im Fall „The Music Box“ (und nicht nur da) eine Synopsis fehlt, hat eine historische Entsprechung: „Das Klavier ist der Plot“, erklärt Laurel dem ohnehin dauergenervten Produzenten Hal Roach. „Die Gags improvisieren wir, so wie wir’s immer gemacht haben.“ Roach befürchtet eine Pleite. Doch 1932 gewinnt das Klavier-Meisterstück den „Oscar“ als bester Kurzfilm. Auf einer Seite zeigt Buttolo Stan und Ollie am Fuß einer langen Treppe, die an eine in die Vertikale gelegte Klaviertastatur gemahnt. Mehr braucht es nicht, um an den Slapstick-Klassiker zu erinnern.

Es ist erstaunlich, wie gut der mal feine, mal brachiale Humor von Laurel und Hardy heute noch immer funktioniert. Vielleicht hängt ihre zeitlose Robustheit damit zusammen, dass sie auch während ihrer Laufbahn immer wieder mit Umbrüchen zu kämpfen hatten und sich ein Vierteljahrhundert lang, von 1926 bis 1951, über Wasser halten konnten. Entscheidend war dabei ihre Anpassung an den Tonfilm. Buster Keatons filmisches Alter Ego ging mit der Stummfilmära zugrunde. Charlie Chaplin konnte seinen Tramp noch bis 1936 („Moderne Zeiten“) am Leben erhalten, musste dazu aber auf Dialoge verzichten.

Am Anfang verläuft die Karriere von Stan Laurel noch solo (© Splitter Verlag)
Am Anfang verläuft die Karriere von Stan Laurel noch solo (© Splitter Verlag)

Anders bei „Dick und Doof“, wie sie im deutschen Sprachraum bekannt und simplifiziert wurden. Stans Begriffsstutzigkeit wurde mit seinen verbalen Äußerungen im Tonfilm noch komischer, und außerdem gelang es Laurel, der für viele Drehbücher verantwortlich zeichnete, Ollies Überheblichkeit – und damit die Fallhöhe seiner Figur – im Dialog weiter zu steigern. „Um zu überleben“, so schildert es Laurel bei Buttolo, „mussten wir eine Tonspur kreieren, die zu unserem Schauspiel passte. Außerdem wollten wir, dass der Ton das Publikum überrascht und Erwartungen unterläuft.“

Es folgt ein kleines „Making of“ vor Drehbeginn, irgendwann in den 1930er-Jahren. Das Duo erörtert das mögliche Geräusch einer Torte, die in Hardys Gesicht landen soll: Ka-plup oder Ka-slush?


Farbe entsprach nicht ihrer Welt

Die Tonspuren bei Laurel und Hardy sind ein unterschätztes Thema. Eine andere zentrale Innovation der ersten Jahrhunderthälfte ließ das Duo hingegen aus guten Gründen ungenutzt: Der Farbfilm entsprach einfach nicht ihrer Welt. Dementsprechend setzt auch Buttolo in der Graphic Novel lediglich Grautöne ein – und vor allem den Kontrast zwischen Druckerschwärze und Papierweiß.

Der 1968 in Udine geborene Künstler hat für das gemeinsam mit Hisham Matar verfasste Märchenbuch „Il libro di dot“ farbige Illustrationen beigesteuert und für seinen Comic über Michelangelo und die Sixtinische Kapelle eine düstere Farbskala gewählt. Für „Laurel und Hardy“ kehrt der Zeichner, der auch die (maßgeblich auf John Connollys Roman „Stan“ zurückgehenden) Sprechblasentexte schrieb, zum Schwarz-weiß zurück, wie bei seiner ersten Graphic Novel „La scelta“ über den von der Mafia ermordeten Anwalt Giorgio Ambrosoli.

Buttolos zeichnerisches Vermögen, die Merkmale der berühmten Helden herauszuarbeiten, mimische Feinheiten wiederzugeben und mit reduzierten Mitteln Stimmungen zu erzeugen, ist bemerkenswert. Ab und zu spielt der Illustrator mit den Konventionen des Comics, etwa wenn Stan wie an einer Stange am „Gutter“ zwischen zwei „Panels“ hängt, während Ollie im Bildfeld darüber versucht, seinen Kumpel vor dem Absturz zu bewahren. Der Hut purzelt schon in die Tiefe.

Auch wenn Laurel erzählt, hält er die Erinnerung an Oliver Hardy stets präsent (© Splitter Verlag)
Auch wenn Laurel erzählt, hält er die Erinnerung an Oliver Hardy stets präsent (© Splitter Verlag)

Kreideweiße Gestalt im rabenschwarzen Nichts

Buttolo setzt aber nicht nur den Slapstick der Filme, sondern auch die tragischen privaten Aspekte von Laurel und Hardy stilsicher ins Bild. Laurels Alkoholprobleme thematisiert der Zeichner als Allegorie eines Mannes, der über ein Felsplateau taumelt und dann als kreideweiße Gestalt ins rabenschwarze Nichts fällt. Die Figur ist niemand anderes als der putzig-fragile Stan mit Overall, Fliege und Hut – aus dem „zermürbenden Klaviertransport“ direkt ins persönliche Fegefeuer gejagt.

Die Graphic Novel macht mit einem Stan Laurel bekannt, der ein hochdisziplinierter und selbstkritischer Arbeiter ist und sich auch retrospektiv nicht schont: „Ich hatte vier Ehefrauen und habe insgesamt siebenmal geheiratet“, erzählt er am Telefon, „es ist offensichtlich, dass ich mit der Ehe nicht zurechtkomme, mit Scheidungen aber auch nicht. Babe hatte nur drei Ehefrauen und drei Ehen. Er war immer geiziger als ich.“

Trotz der Laurelschen Erzählperspektive nimmt Oliver Hardy viel Raum in der Erzählung ein. Er sei der Grund dafür, dass Laurel und Hardy so geliebt wurden, erzählt der alternde Komiker, der den fülligen Kollegen ohnehin für den besseren Schauspieler des Duos hält. Er selbst habe sich seine „Mimik und Gestik angeeignet, indem ich Schauspieler auf der Bühne beobachtete“, erklärt Laurel, „Babe hingegen schöpfte unmittelbar aus der Wirklichkeit.“ In seiner Jugend habe Hardy regelmäßig Gäste in der Lobby des Hotels beobachtet, das seine Mutter führte, berichtet Laurel. „Seine Art zu schauspielern war nie so skurril wie meine. Sie war lustiger, weil das Publikum in seinen Gesten nicht nur sich selbst wiedererkannte, sondern auch Freunde, Kollegen und Verwandte.“


Ein versöhnlicher Schluss

Den Lebemann Oliver Hardy unterschlägt der Erzähler aber auch nicht, den Vertragsschauspieler, der den Golfplatz dem Filmstudio bei weitem vorzog, Wettschulden bei Pferderennen anhäufte und wie Laurel kaputte Ehen verkraften musste. „Wie in unseren Filmen waren wir zwei inkompetente Ehemänner“, erzählt Laurel seinem (vielleicht zu) jungen Gesprächspartner, „auf der Leinwand konnten wir die Leute zum Lachen bringen. Im wirklichen Leben dagegen haben wir nur Leid verursacht …, um Ida Kitaeva und Lucille Jones zu begegnen“, so der versöhnliche Schluss. Im Eheleben von Laurel und Hardy gab es doch noch ein Happy End – wie es ja auch der Film „Stan & Ollie“ erzählt, mit Nina Arianda (Ida) und Shirley Henderson (Lucille) in den tragenden Rollen der Ehefrauen.

Die Graphic Novel greift Höhen und Tiefen gleichermaßen auf (© Splitter Verlag)
Die Graphic Novel greift Höhen und Tiefen gleichermaßen auf (© Splitter Verlag)

Am Ende dieser informativen wie unterhaltsamen Lektionen über das Filmgeschäft und die Kämpfe und Dramen hinter der Kamera präsentiert Buttolo ein neues Duo. Das letzte Panel gleicht dem ersten: Wieder der Pazifik, die Palmen, der Balkon. Der alte Stan hat seinen Arm um Ida Kitaeva Laurel gelegt; gemeinsam schauen sie aufs Meer. Ob er das nicht auf Dauer langweilig fände, fragt Ida. „Ich stelle es mir als meinen Swimming Pool vor“, scherzt ihr Gatte. „Dann bin ich glücklich, weil er größer ist als der von Liberace!“


Literaturhinweis

Laurel und Hardy. Die Graphic Novel Biografie. Von Gianluca Buttolo. 176 S., Splitter Verlag. Bielefeld 2024. 29,80 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

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