Biopic | Großbritannien 2024 | 115 Minuten

Regie: Ben Taylor

Anhand der Biografie der Embryologin und Laborleiterin Jean Purdy (1945-1985) schildert ein im Großbritannien der 1960er-Jahre angesiedeltes Drama den wissenschaftlichen Durchbruch auf dem Feld der In-vitro-Fertilisation. Gegen gesellschaftliche und wissenschaftliche Dogmen kämpft Jean Purdy gemeinsam mit zwei männlichen Mitstreitern, um eine Methode, zeugungsunfähigen Frauen per künstlicher Befruchtung den Kinderwunsch zu erfüllen. Eine konsequent im Spannungsfeld aus wissenschaftlichem Fortschritt, gesellschaftlicher Normvorstellungen und religiösem Weltverständnis inszenierte Würdigung für die Wissenschafts-Pionierin Jean Purdy mit etwas spröder Inszenierung, aber überzeugenden Schauspielern. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
JOY
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Pathe UK/Wildgaze Films
Regie
Ben Taylor
Buch
Jack Thorne · Rachel Mason
Kamera
Jamie Cairney
Musik
Steven Price
Schnitt
David Webb
Darsteller
Bill Nighy (Patrick Steptoe) · James Norton (Robert Edwards) · Thomasin McKenzie (Jean Purdy) · Charlie Murphy (Trisha) · Rish Shah (Arun)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Drama um die britische Forscherin Jean Purdy und den Durchbruch der In-vitro-Fertilisation.

Diskussion

Im Jahr 1978 glückte die erste In-vitro-Fertilisation, nach mehr als 10 Jahren Forschung, die geprägt waren von wissenschaftlichen Rückschlägen, gesellschaftlichen Debatten um die Prozedur der künstlichen Befruchtung und von persönlichen Schicksalsschlägen jener Frauen, die sich mit einem Kinderwunsch trugen, dessen Erfüllung die Forschung des Wissenschaftsteams um den Biologen Robert Edwards, den Gynäkologen Patrick Steptoe und – last but not least – die Embryologin Jean Purdy in Aussicht stellte.

Jener Jean Purdy, die im Team unter dem späteren Nobelpreisträger Robert Edwards zur Laborleiterin aufstieg und die ihre Existenz vollends dem medizinisch in seiner Zeit höchst anspruchsvollen Projekt verschrieb, widmet sich nun ein Spielfilm. Regisseur Ben Taylor und Drehbuchautor Jack Thorpe zeigen die Forschungsarbeit, die zum späteren Durchbruch in der Reproduktionsmedizin führen sollte, als wissenschaftlichen wie auch persönlichen Kraftakt, bei dem das Forschertrio nicht zu jedem Zeitpunkt offene Türen einrennen konnte. Die Diskussionen im Jahr 1968, dem Jahr, in dem Robert Edwards seine vielversprechende Forschung an der „Befruchtung im Glas“ beginnen sollte, waren in einem gesellschaftlich noch viel repressiveren Klima andere als heute. Doch nach wie vor führen bioethische Fragen in Bezug auf Fortpflanzung wie weibliche Selbstbestimmung zu gesellschaftlich heiß debattierten Fragen, teils verbunden mit staatlicher Einmischung in den privaten Patient:innen-Bereich.

Thomasin McKenzie als idealistische Wissenschafts-Pionierin

In „Joy“ spielt Thomasin McKenzie die ambitionierte, junge Wissenschaftlerin Jean Purdy, die sich mit der in den 1960er-Jahren zugedachten Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter nicht zufriedengeben möchte und stattdessen Forscherin im Bereich der Fortpflanzungsmedizin werden will Jean setzt sich zum Ziel, dem Leid von Millionen zeugungsunfähiger Frauen ein Ende zu bereiten.

Die Methode des Biologen und Genetikers Robert Edwards (James Norton), die eine Befruchtung der weiblichen Eizelle außerhalb des Körpers und eine anschließende Einpflanzung in eben diesen vorsieht, scheint vielversprechend. Sie trifft jedoch auf entschiedenen Widerstand.

Moralische Einsprüche

Nicht zuletzt gibt es moralischen Einspruch, etwa von Vertretern der Kirchen, aber auch aus der wissenschaftlichen Zunft selbst. Mit dem Entdecker der DNA, dem Forscher James Watson, liefert sich der engagierte Robert Edwards ein hitziges Rededuell im Fernsehen, bei dem der Biologe vor dem britischen Millionenpublikum die Bedeutung seiner Forschungsarbeit für Betroffene hervorhebt. Schauspieler James Norton verkörpert den Laborarbeiter und medizinischen Pionier als überzeugten Zupackertypen, sein erfahrener Mitstreiter Patrick Steptoe, konzentriert gespielt von Bill Nighy, ergänzt Edwards in praktischer Hinsicht, während Jean Purdy für das nötige Durchhaltevermögen und den Zusammenhalt des Trios sorgt.

Die gesellschaftlich umstrittene Forschungsarbeit zeigt Auswirkungen auf das Privatleben der jungen Jean. Ihre Mutter (Joanna Scanlan) will nichts mehr mit ihrer Tochter zu tun haben, und ihre Kirchengemeinde droht Jean mit dem Ausschluss. Als ein romantischer Bewerber (Rish Shah) um die Hand der Forscherin anhält, entscheidet sich Jean für ihre Verwirklichung als Wissenschaftlerin und gegen eine angestammte Rolle als Ehefrau, die sie einzuengen droht.

Visuell eher mau, aber schauspielerisch stark

„Joy“ ist konsequent im Spannungsfeld aus wissenschaftlichem Fortschritt, gesellschaftlicher Normvorstellungen und religiösem Weltverständnis inszeniert. Regisseur Ben Taylor filmt an einer Dramaturgie entlang, bei der Hindernisse und Rückschläge konsequent da sind, um gestisch bedeutungsreich überwunden zu werden. Heutige Zuschauer wissen aus der medizinischen Praxis natürlich, dass das Unterfangen schließlich gelungen ist, was dem Spannungsbogen eine gewisse Vorhersehbarkeit verleiht. Dem wissenschaftlichen Wunderwirken der drei Forscher hätte man bisweilen auch eine etwas originellere Bildgebung gewünscht, verlegt sich das kreative Team doch vor allem auf das Zeigen der immergleichen Labor- und OP-Saal-Vorgänge: Mikroskopaufnahmen, Petrischalen, sich teilende Zellen und jede Menge aufgezogene Spritzen – das visuelle Repertoire zeigt sich stets vorhersehbar orientiert an Filmvorlagen, die ähnliche wissenschaftliche Errungenschaften zeigen.

Die schauspielerisch überzeugenden Leistungen von Thomasin McKenzie, James Norton und Bill Nighy vermögen dem filmischen Stoff jedoch eine emotionale Wucht zu verleihen, die dem Publikum trotzdem ein Verständnis davon vermittelt, wie hart erkämpft der geschilderte medizinisch-gesellschaftliche Fortschritt war. Verbohrte Köpfe und Zeitgeister – das zeigt „Joy“ – finden sich mitnichten nur in wissensfernen Kreisen, sondern mitunter auch in der Forschercommunity selbst. Um festgefahrene Dogmen zu überkommen, braucht es einen gewissen Kämpfer:innentypus. Thomasin McKenzies Jean Purdy ist eine solche Kämpferin. Für die im Alter von gerade einmal 39 Jahren an einem Krebsleiden Erlegene ist „Joy“ eine gelungene, überfällige Würdigung.

Kommentar verfassen

Kommentieren