Witches
Dokumentarfilm | Großbritannien 2024 | 90 Minuten
Regie: Elizabeth Sankey
Filmdaten
- Originaltitel
- WITCHES
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Ardimages UK/Montgomery Avenue
- Regie
- Elizabeth Sankey
- Buch
- Elizabeth Sankey
- Kamera
- Chloë Thomson
- Musik
- Jeremy Warmsley
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm | Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarisches Essay über Frauen mit Kindsbett-Depressionen, deren Schilderungen oft verblüffende Ähnlichkeiten mit den „Geständnissen“ von Frau aufweisen, die als Hexen verurteilt wurden.
Kurz vor Ende von „Witches“ wandert ein Kleinkind durch das Filmset. Der zweijährige Junge weiß nichts von den Kameras, er weiß nicht, dass der Raum, den er so neugierig betrachtet und ertastet, ein Symbol für den Abgrund ist, den einige Mütter nach ihrer Geburt erleben. Genau dann, wenn ihre Kinder am fragilsten, schutz- und liebesbedürftigsten sind. „Babyblues“ nennt dies der Volksmund. Ein Euphemismus, der die psychischen Erkrankungen maskiert, die manche Mütter nach der Entbindung erleben. Ähnlich wie diese Umschreibung das Leid und die Gefahr krass verschleiert, steht die mit ihr verbundene Krankheit im krassen Widerspruch zum gesellschaftlichen Bild der Mutter.
Nicht gesellschaftsfähig
Die Filmemacherin Elizabeth Sankey ist die Mutter des kleinen Jungen und eine jener Frauen, die das Wochenbett nicht als Zeit der Liebe und Erfüllung, sondern als Tage des Schmerzes, des Zweifels und der Depression erlebten. Ihre eigene Vorstellung vom Mutterseins, von die Regisseurin aus dem Off und schließlich mit direktem Blick in die Kamera erzählt, wurde mit Einsetzen der Depression komplett zerstört.
Als Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann, bewegte sie sich in der gleichen Hölle, in der alle Menschen mit Depressionen leben. Die Unmöglichkeit, den eigenen Schmerz zu beschreiben, ist ein Teil dessen, was den Schmerz selbst immer unerträglicher macht. Und eine Mutter, die ihr Kind nicht liebt, ist noch weniger gesellschaftsfähig als ein Mensch, der sich selbst nicht lieben kann. Doch niemand kann diese Diagnose stellen, ohne die morbiden Gedanken zur Kenntnis zu nehmen, die zum Schmerz der postpartalen Depression gehören.
Sankeys Blick auf das Krankheitsbild, das sie mit anderen Müttern teilt, beginnt bei ihr selbst, in ihrer Kindheit und Jugend. Doch es sind keine privaten Archivaufnahmen, sondern es ist die Filmgeschichte, die das Bildmaterial bereitstellt, mit der die junge Elizabeth sich ihr Weltbild zusammensetzte. Sankey war fasziniert von Hexen. Margaret Hamilton als die „schwarze“ Wicked Witch of the West und Billie Burke als „weiße“ Hexe Glinda aus „Der Zauberer von Oz“ (1939) sind das Fundament ihres persönlichen, dem eigenen Anspruch nach aber universell-feministischen Filmessays.
Die Filmgeschichte als Rohstoff
Die Filmgeschichte ist ihr Rohstoff; das Material, aus dem Sankey mit enormem Tempo die Verbindungslinien zwischen persönlichem, geteiltem und historischem Schicksal zusammenzurrt. Dazu holt „Witches“ ordentlich aus. Sankeys eigene Geschichte ergänzt der Film durch die Schicksale anderer Mütter, die die Regisseurin in Selbsthilfegruppen und schließlich in einer geschlossenen Anstalt kennenlernte. Das Band, das sie als „Überlebende“ verbindet, denkt sich der Film als Coven, als Hexenzirkel. Das Hexendasein steht nicht nur symbolisch für die verfolgte, unterdrückte und grundsätzlich missverstandene Weiblichkeit. Es gibt, so argumentiert der Film, eine tatsächliche Verbindung zwischen den Hexenverfolgungen und dem, was wir heute postpartale Psychose nennen. Denn tatsächlich wurden viele Frauen, die als Hexen angeklagt waren, durch ihr eigenes Geständnis und nicht etwa durch eine von außen erbrachte „Beweislast“ verurteilt. In dem Film zitieren Mütter, die ihre postpartale Depression überstanden haben, solche Geständnisse aus überlieferten Dokumenten. Darin erkennen sie sich, ihren Geisteszustand und ihren eigenen Todeswunsch wieder: Sie sind moderne Hexen.
Dass auch die „Hexen“ der vergangenen Zeit bereitwillig in den Tod gegangen wären, dass die Symptome der Psychose deckungsgleich sind mit denen, die der Film aus den Geschichtsbüchern zitiert, ist die ebenso faszinierende wie fragwürdig-dünne Verbindungslinie, aus der Sankey das große Ganze spinnt. Die postpartalen Krisen und ihre Bewältigung verknüpft die Regisseurin symbolisch, historisch und ästhetisch mit Hexerei und Hexenwahn.
Ein nicht überzeugender Rundumschlag
Das ist ein ambitionierter Rundumschlag, der allerdings einige seiner Ziele verfehlt. Je weiter sich „Witches“ historisch auffächert, desto steiler werden die Thesen, die sich der Film aus den fragilen Einzelstücken der Historie zusammenschustert. Hexengeschichte ist Kindheits-, Mutter-, Medizin- und Feminismusgeschichte in einem. Irgendwie stimmt das wahrscheinlich auch, aber in der Breite, in der Sankey das auswalzt, dann doch auch wieder nicht. Die Beweisführung ist zu dünn, und das Bild, das Sankey zu zeichnen versucht, zu breit.
Dort, wo sich Sankey innerhalb ihres eigenen Hexenzirkels bewegt, wo sie also Frauen vor die Kamera holt, die postpartale Psychosen erlebt haben, gelingt hingegen ein ebenso bewegender wie empathischer Zugang zum Thema. Die Geschichte der Hexenverfolgung, die Hexen der Filmgeschichte und das daraus konstruierte feministische Gesamtnarrativ, verwässern das Thema eher, als es zu konzentrieren.
Das Bild ihres Sohns, der durch die Filmsets wandert, sagt es am deutlichsten: Er wandert frei durch die Räume, die all das vergessene, verdrängte und verkannte Leid symbolisieren, eben weil er und seine Mutter überlebt haben, und weil er weiß, dass seine Mutter in der Nähe ist. Er weiß all das, ohne darüber nachdenken zu müssen. Was das mit der Geschichte des Hexenwahns, des Mutterseins und mit Hollywood zu tun hat, ist ein anderes Thema.