Krimi | USA 2024 | 131 Minuten

Regie: Jeremy Saulnier

Ein afroamerikanischer Ex-Marine-Soldat will in einer Kleinstadt die Kaution für seinen Cousin hinterlegen. Doch korrupte Polizisten nehmen dem besonnenen Mann das Geld ab. Als er die Angelegenheit legal zu klären versucht, erlebt er, dass die Hüter des Gesetzes unter dem Regiment eines rücksichtslosen Polizeichefs vor nichts zurückschrecken. Der ungemein intensive Thriller besticht durch seine geradlinige Eleganz und eine Abkehr von der Logik der Gewalt. Statt einer schlichten Rachefantasie, in der Gleiches mit Gleichem vergolten wird, setzt er auf Deeskalation und ein Durchbrechen der Spirale eskalierenden Unrechts. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
REBEL RIDGE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Bonneville Pictures/Film Science
Regie
Jeremy Saulnier
Buch
Jeremy Saulnier
Kamera
David Gallego
Schnitt
Jeremy Saulnier
Darsteller
Aaron Pierre (Terry Richmond) · Don Johnson (Polizeichef Sandy Burnne) · AnnaSophia Robb (Summer McBride) · James Cromwell (Richter) · David Denman (Officer Evan Marston)
Länge
131 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Thriller
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Thriller um einen afroamerikanischen Ex-Marine-Soldaten, der es mit korrupten Polizisten zu tun bekommt.

Diskussion

Unmittelbar nach dem Aufleuchten des Netflix-Logos erklingt die markante Stimme von Bruce Dickinson. Der Bildschirm ist noch schwarz; zu einem kraftvollen Metal-Riff singt Dickinson von den dunklen Mächten, die seine Träume und Gedanken beherrschen und in den Nächten ganz real werden: „What did I see? Can I believe? That what I saw that night was real and not just fantasy?“ Wenn diejenigen, die uns beschützen sollen, ihre Macht ausnutzen, gerät die Realität ins Wanken. Durch den Song „The Number of the Beast“ von Iron Maiden legt sich eine enorme Energie und ein Gefühl der Bedrohung über die Bilder von „Rebel Ridge“.

Dann sieht man Terry (Aaron Pierre), wie er zu diesem Song in die Pedale seines Fahrrads tritt. Vom ersten Moment strahlt dieser Mann eine große Selbstbeherrschung aus, die den Film mit einer angespannten Ruhe durchzieht. Das Polizeiauto hinter ihm nimmt er nicht wahr. Wie ein Raubtier lauert es auf ihn. Dann passiert etwa so unmittelbar wie bei einem Jump Scare im Horrorfilm: Das Auto rammt Terry, der hart auf der Straße aufschlägt.

Eine Spirale der Gewalt

Die Wucht dieses Aufpralls nimmt die Atmosphäre vorweg, die den Film prägt. „Rebel Ridge“ ist ein gnadenloser Thriller. Seine Bilder sind wie eine Faust, die sich ballt und so sehr anspannt, bis die Sehnen die Haut zu zerreißen drohen. Es ist völlig klar, dass sich die Polizisten, an die Terry geraten ist, keinen Deut um Rechte und Regeln scheren. Terry wird durchsucht. Die 30 000 Dollar, die er im Rucksack bei sich trägt, erscheinen den Polizisten verdächtig; prompt beschlagnahmen sie das Geld. Die bloße Anschuldigung, dass es sich um Drogengeld handeln könnte, genügt.

Die legale, aber höchst umstrittene Praxis staatlicher Gewalt wird „Civil forfeiture“ genannt. Güter, die in kriminelle Machenschaften verwickelt sind, können konfisziert werden. Wenn das Gegenteil nicht bewiesen werden kann, weil beispielsweise die Gerichtskosten für einen Rechtsstreit zu hoch sind, fließt das Geld in die Kassen der in den USA lokal organisierten Police Departments.

Terry aber braucht das Geld dringend. Er war auf dem Weg, um eine Kaution für seinen Cousin zu hinterlegen. Dieser darf unter keinen Umständen in das staatliche Gefängnis transferiert werden, weil dort der sichere Tod auf ihn wartet. In einem Prozess hat er als Kronzeuge ausgesagt, und die Feinde lauern bereits. Deshalb versucht Terry, die Angelegenheit mit dem örtlichen Polizeichef Sandy Burnne (Don Johnson) in aller Vernunft zu regeln. Doch Burnne hat in eben jener Praxis der Beschlagnahmung eine wundervolle Einnahmequelle für die klammen Kassen der Kleinstadt gefunden und denkt nicht daran, sich auf einen Deal einzulassen. Vielmehr entfesselt er eine Spirale der Gewalt.

Sich pazifistisch zur Wehr setzen

Wie alle bisherigen Filme von Jeremy Saulnier prägt auch „Rebel Ridge“ ein ungeschönter Realismus. Die Gewalt und das Sterben tun hier extrem weh. Saulniers Kino hat nichts von der unterhaltsamen Verspieltheit von Quentin Tarantino. Gleichzeitig verfällt die Gewaltdarstellung aber nicht der schonungslosen, meist auch sehr selbstgefälligen Brutalität, wie man sie etwa in den Filmen von S. Craig Zahler findet. Sie passiert vielmehr schockartig, wie mit einem Fingerschnippen, und zerreißt in ihrer physischen Wucht den Firnis der Zivilisation.

So ist es bei „Blue Ruin“ (2014) von Jeremy Saulnier, einem tieftraurigen Poem über Gewalt, Verlust und Trauer. In einer schäbigen Toilette eines Diners steckt plötzlich ein Messer in der Schläfe eines Mannes. Das Blut spritzt aus der Wunde, ein Menschenleben läuft aus. Am Ende dieses elegischen Films über Rache gibt es keine Erlösung: Auf Gewalt folgt nur noch mehr Gewalt. Ähnliches lässt sich in Saulniers „Wolfsnächte“ (2018) beobachten, wenn in einer Szene eine extrem lange Schießerei gezeigt wird, als ein Dorfbewohner mit einem großkalibrigen Gewehr das Feuer auf die Polizei eröffnet. Die Projektile, die Körper und Autoblech durchschlagen, erden den animistischen Geist dieses bedrohlich-dunklen Films über inzestuösen Weltekel und Isolation.

Weil sich „Rebel Ridge“ vom ersten Bild an wie ein typischer Saulnier-Film anfühlt, rechnet man in jedem Moment und vor allem im Finale mit einem blutigen Exzess. Doch der bleibt hier aus. Der Protagonist Terry mag zwar ein Ex-Marine sein und entspricht der klassischen Actionfigur des Einzelgängers, der wie in „Rambo“ mit der Ungerechtigkeit einer Kleinstadt konfrontiert wird. Doch im Gegensatz zu Sylvester Stallones traumatisiertem Vietnam-Veteranen mutiert Terry nicht zu einer Killermaschine. Vielmehr nutzt er seine Kampffähigkeiten defensiv, um sich beinahe pazifistisch zur Wehr zu setzen: Mit geschickten Schlägen setzt er seine Gegner außer Gefecht, ohne sie zu töten.

Eine Absage an die Logik der Gewalt

Der Umstand, dass es sich bei Terry um einen Afroamerikaner handelt, lädt den Film zudem politisch auf. Die reale Polizeigewalt gegen schwarzen Menschen in den USA liefert den Hintergrund, vor dem sich das Szenario entfaltet. Im Unterschied zu „Django Unchained“ aber ist „Rebel Ridge“ keine Rachefantasie, in der ein schwarzer Protagonist die erlittene Gewalt seinen Peinigern mit gleicher Münze heimzahlt. „Rebel Ridge“ ist kein Film, der die gewaltvolle Logik des herrschenden Systems affirmiert, sondern er lässt die Hauptfigur vielmehr mit dieser Logik brechen. Er mündet in einer Geste der Verteidigung, die der rohen Gewalt nicht nur die Kampffähigkeiten, sondern auch die moralische Überlegenheit des Protagonisten entgegenhält. Dabei bleibt der Film bis zum Ende von größter Intensität. Jeremy Saulnier beweist damit erneut, dass er die Form des anspruchsvollen Thrillers wie kaum ein Zweiter beherrscht.

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