4K UHD | Frankreich/USA/Nordkorea 1987 | 87 Minuten

Regie: René Laloux

In einer hochtechnisierten Welt herrschen seit langem Frieden und Harmonie. Doch die utopische Eintracht gerät in Gefahr, als eine ominöse Macht auf den Plan tritt und die Bewohner in Steine verwandelt werden. Der Rat der Frauen wählt einen Kämpfer aus, der den Invasoren entgegentreten soll. Hilfe erhalten er und seine Begleiterin von Wesen, die das Resultat eines missglückten Genexperiments sind. Doch nach und nach wird deutlich, dass hinter allen Herausforderungen ein riesiges Gehirn steckt, das ebenso ein ungewünschtes Forschungsresultat darstellt. Die Vision des fremden Planeten bietet keinerlei empathischen oder figurenpsychologisch akzentuierten, aber einen tief ins Psychedelische abtauchenden singulären ästhetischen Zugang zu einer zeitlosen politischen Allegorie. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GANDAHAR
Produktionsland
Frankreich/USA/Nordkorea
Produktionsjahr
1987
Produktionsfirma
Col.Ima.Son/Films A2/Revcom Télévision
Regie
René Laloux
Buch
René Laloux
Kamera
Pierre Biecher
Musik
Gabriel Yared
Schnitt
Christine Pansu
Länge
87 Minuten
Kinostart
19.09.2024
Fsk
ab 12; nf
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
4K UHD | Animation | Fantasy | Literaturverfilmung | Mystery | Science-Fiction
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih Blu-ray
Camera Obscura (FF, dts-HDMA frz.)
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Psychedelisch-politische Allegorie über eine utopisch-harmonische Welt, die durch roboterartige Wesen an den Rand der Zerstörung gebracht wird.

Diskussion

Gandahar ist das Paradies. Vögel ziehen spielerisch ihre Kreise über die Hauptstadt Jasper, eine in einen gewaltigen Felsen gemeißelte Stadt, die Wälder, Felder und Dörfer überblickt. Von Jasper aus sieht man eine Welt, die Technik und Natur, das humanoide und das restliche Leben des Planeten ins Gleichgewicht gebracht hat. Träge und gutmütige Wesen durchpflügen ein psychedelisch gefärbtes Ackerland, die blaue Flora trägt rote Früchte, Frauen säugen fremdartige Hybridwesen an ihren Brüsten.

Doch die Utopie von Gandahar ist so wunderschön, wie sie wehrlos ist. Kaum ist ein Teil ihrer Pracht angedeutet, beginnt ihre Zerstörung. Roboterartige Stahlmänner marschieren auf, verschleppen die Humanoiden, die sie mit Laserwaffen versteinern. Wofür die anorganischen, seelenlosen Angreifer stehen, ist schwer zu verkennen: ihre Laser feuern sie aus dem gehobenen rechten Arm, vorwärts bewegen sie sich ausschließlich im Gleichschritt, Individualität ist in ihren Reihen nicht mehr zu erkennen. Der Faschismus hat das Paradies erreicht.

Der Held und ein riesiges Gehirn

Der oberste Rat von Gandahar, ein Rat der Frauen, schickt den jungen Sylvain, um die Schwäche der Stahlmänner zu finden und Jasper zu retten. Der Held von Jasper erfährt nicht nur, dass „Metamorphis“, ein riesiges, auf dem Ozean wuchernd-wachsendes Gehirn, die schwarzen Männer anführt. Er erfährt auch, dass dieses seltsame, deformierte Wesen ein Abfallprodukt der Experimente ist, die die Ahnen von Jasper einst durchführten.

Die zerstörerische Maschinerie, die das Paradies bedroht, ist keine extraplanetarische Bedrohung, sondern das Nebenprodukt der in und um die Hauptstadt gelebten Utopie. Für den Fortschritt hat Gandahar das verdrängt und verstoßen, was nicht „perfekt“ ist. Was das friedfertige Paradies und die faschistoide Vernichtung trennt, ist allein die Zeit. Diese hebelt die Geschichte von René Laloux schließlich auf, als Sylvain auf eine Gruppe deformierter Menschen trifft. Die einst aus dem Paradies verstoßenen Mutanten leben nun unter der Erde. Sie sind keine Bedrohung, sondern gutmütige, freiheitsliebende Geschöpfe, die nicht ins Schema von Jasper passen. Die Strafe, die sie dafür ereilte, hat ihr Leben und ihre Sprache für immer verändert. Die „Transformés“ kennen kein Präsens. Ihre Sprache hat die grausame Gegenwart verdrängt und ist nun Zukunft und Vergangenheit zugleich.

Ein Welten- und Allegorien-Bastler

Was die Sprache der ausgestoßenen Mutanten, die der Romanvorlage „Les hommes-machines contre Gandahar“ von Jean-Pierre Andrevon entstammt, sprachlich verschaltet („In tausend Jahren wurde Gandahar zerstört, vor tausend Jahren wird Gandahar gerettet werden“), bringt der Film erzählerisch zusammen. Der Fortschritt, der den Auserwählten Harmonie verschafft, legt zugleich den Grundstein für den im Verdrängten erstarkenden Faschismus, der das Paradies wieder zerstört.

Die Heldenreise von Sylvain folgt der zyklischen Bewegung, die das Leben auf Gandahar vollzieht. Dabei ist der Film nie allzu nahe an den Ereignissen dran und sucht nicht den psychologischen oder gar affektiven Zugang. Laloux ist vor allem anderen ein Welten- und Allegorien-Bastler. Die animierten Welten sind nicht um mannigfaltigen Detailreichtum und expressive Bewegungen herum gestaltet; der Protagonist ist nicht mehr als ein archetypischer Platzhalter, die biologisch-mineralischen Hybridwesen, die sich gegen das im Gleichschritt marschierende Übel stellen, sind keine großen Action-Attraktionen, die Heldenreise ist keine konkrete Bewegung, der Krieg selbst kein in dramatischen Segmenten aufbereitetes Spektakel.

Laloux interessiert sich nicht für das Konkrete, sondern für das Symbolische. „Gandahar“ ist eine in psychedelischen Wellenbewegungen ineinanderfließende Allegorie, die sich nicht nur konkret gesellschaftspolitisch, nicht nur durch die historische Linse, sondern auch auf andere Weise lesen lässt. Als tranceartiger Trip findet der Film langsam strudelnd zu seiner singulären Form.

Wenn man bereit ist, Laloux durch die fremdartige Flora und Fauna, durch Lianendschungel, an fahrenden Rieseneiern und wehrhaften Krabben vorbei ins politische Unterbewusstsein zu folgen, stößt man auf eine faszinierende Vision eines korrumpierten Paradieses.

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