The Insurrectionist Next Door

Dokumentarfilm | USA 2023 | 75 Minuten

Regie: Alexandra Pelosi

Die US-Journalistin Alexandra Pelosi, Tochter von Nancy Pelosi, der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, spürt den Motiven der Aufrührer nach, die am 6. Januar 2021 das US-Kapitol stürmten. In einer Reihe von Interviews streitet sie mit Menschen, die an den gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt waren, und forscht nach den sozialen und ideologischen Hintergründen. Daraus entsteht ein aufschlussreiches Bild über den geistigen Boden, auf dem die Eskalation des 6. Januar gediehen ist, wobei es der Filmemacherin nicht um Versöhnung, wohl aber um Verständnis geht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE INSURRECTIONIST NEXT DOOR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
HBO Documentary Films
Regie
Alexandra Pelosi
Buch
Alexandra Pelosi
Kamera
Alexandra Pelosi
Schnitt
Geof Bartz
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Kämpferischer Doku über den geistigen Nährboden der Menschen, die am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol in Washington DC mitmachten.

Diskussion

Von dem, dem die Filmemacherin Alexandra Pelosi in dieser Dokumentation nachspürt, ist sie persönlich betroffen: Sie ist die Tochter von Nancy Pelosi, der ehemaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, und von Paul Pelosi, auf den im Oktober 2022 ein rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker einen Mordanschlag verübte, den er schwer verletzt überlebte. Im Zeichen rechter Verschwörungstheorien stand auch der Angriff tausender aufgewiegelter Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump, die am 6. Januar 2021 – teils bewaffnet – das Kongressgebäude in Washington DC stürmten, wo ihnen Nancy Pelosi nur knapp entging. Zwei Monate nach Trumps Wahlniederlage versuchten Trumps Anhänger die Stimmauszählung der „Electoral College Votes“ im Kongress zu verhindern.

Der Höhepunkt eines mehrstufigen Plans

Ein überparteilicher Untersuchungsausschuss fand im Jahr 2022 heraus, dass es sich bei dem Sturm auf den US-Kongress um den Höhepunkt eines mehrstufigen Plans von Donald Trump gehandelt hatte, die Wahl seines späteren Nachfolgers Joe Biden für nichtig zu erklären. Laut Schätzungen des FBI verschafften sich am 6. Januar 2000 bis 2500 Menschen Zugang zu den Räumlichkeiten des Kongressgebäudes, wo sie randalierten, plünderten und Gewalt anwendeten, ehe sie von Sicherheitskräften überwältigt wurden. Sechs Menschen verloren dabei ihr Leben.

Eine besonders unrühmliche Rolle bei der Anbahnung des Sturms auf das Kapitol spielten die rechtsextremen Gruppen Proud Boys und Oath Keepers sowie die Verschwörungstheoretiker von QAnon. Doch wer waren die Umstürzler vom 6. Januar? Welche Ereignisse oder Umstände in ihrem Leben haben sie veranlasst, derart extreme Positionen einzunehmen und bei einem gewaltsamen Umsturzversuch gegen die US-amerikanische Demokratie mitzumachen?

Direkte Konfrontation mit den Umstürzlern

Diesen Fragen widmet sich die Filmemacherin Alexandra Pelosi in „The Insurrectionist Next Door“. Sie setzt dabei auf keine sozialwissenschaftlich ausgetüftelten Konzepte empirischer Untersuchung, sondern sucht den denkbar unmittelbarsten Zugang: die subjektive Konfrontation. Einen der Aufständischen fragt sich vor laufender Kamera: „Wollten Sie meine Mutter (gemeint ist Nancy Pelosi) töten?“

Pelosi hält nicht viel von einem dokumentarischen Konzept, das sich gegenüber seinem Gegenstand wie die viel zitierte „Fliege an der Wand“ verhält, also nur beobachtet, ohne sich einzumischen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die Filmemacherin den Protagonisten voreingenommen nähern würde. Vielmehr offenbart sie ein ehrliches Interesse daran, wie individuelle Erfahrungen und Sichtweisen zur politischen Ideologie des 6. Januars gerinnen konnten.

Viele der „Insurrectionists“ sind inzwischen zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden. Einige zeigen Reue oder sind sogar einsichtig, andere sehen sich in ihren radikalen Sichtweisen bestärkt. So schwadronieren einige immer vom bevorstehenden „Civil War“, jenem Bürgerkrieg in den USA, den rechtskonservative Kommentatoren schon seit Jahren beschwören. Ein Mann mit einem Proud-Boys-Tattoo auf der Stirn produziert in seinem Wohnzimmer Rap-Songs, die vom Tod von Joe Biden handeln. Die Proud Boys sind in seinen Augen keine Gruppe, die Hassreden verbreiten, sondern vielmehr für eine „love group“. Das Verstörende daran ist, dass der Familienvater durchaus sympathisch wirkt. Man empfindet sogar Mitgefühl mit dem Mann aus schwierigen sozialen Verhältnissen, der mit seiner Familie von einem besseren Leben träumt und seiner Vergangenheit doch nicht zu entkommen vermag.

Pelosi zeigt, welche sozialen Verheerungen der Verschwörungsglaube und politische Ideologien anrichten; sie sind im wahrsten Sinn eine Bombe für das gesellschaftliche Leben. Als der Mann sich bei Haftantritt für seine Beteiligung am 6. Januar von seiner Familie verabschiedet, ist das ein ambivalenter, rührender Moment.

Ringen um Verständnis

„The Insurrectionist Next Door“ ist reich an solchen Szenen. „Ich will dich nicht hassen“, sagt Pelosi gegenüber einem der Männer, die es im Kapitol auf das Büro ihrer Mutter abgesehen hatten, „wir müssen versuchen, einander zu verstehen“. Das streitbare filmische Konzept der Regisseurin trägt Früchte, wenn sie einem der Protagonisten verbal Contra gibt, der davon erzählt, dass persönliche Kränkungen zu seiner verhärteten politischen Sichtweise und einer Hardcore-Trump-Anhängerschaft geführt hätten. Den Kommentar des Mannes, „I was broken too many times“, lässt sie in seiner schonungslosen Schnoddrigkeit nicht stehen, bis ihr Gegenüber lächelnd einräumt, dass dieser Zusammenhang doch ziemlich verrückt sei.

Für Versöhnungspathos ist der streitbare Dokumentarfilm aber nicht zu haben. Vielmehr zeigt die Doku, dass mit Blick auf Populismus und Verschwörungsglauben auf demokratische Gesellschaften viel Arbeit wartet. Wobei es nicht weiterhilft, die andere Seite zu verteufeln, so schwer das manchen auch fallen mag.

 

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