KAOS (2024)
Drama | Großbritannien 2024 | 399 (acht Folgen) Minuten
Regie: Georgi Banks-Davies
Filmdaten
- Originaltitel
- KAOS
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- All3Media/Anthem Studios/Brightstar/Sister Pic.
- Regie
- Georgi Banks-Davies · Runyararo Mapfumo
- Buch
- Charlie Covell · Georgia Christou
- Kamera
- Kit Fraser · Pau Esteve Birba · Tim Sidell
- Musik
- Isabella Summers
- Schnitt
- Paul Dingwall · Elen Pierce Lewis
- Darsteller
- Jeff Goldblum (Zeus) · Janet McTeer (Hera) · Stephen Dillane (Prometheus) · Cliff Curtis (Poseidon) · David Thewlis (Hades)
- Länge
- 399 (acht Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Fantasy | Komödie | Serie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Parodistische Serie um die olympischen Götter rund um den paranoiden Zeus, die in der Jetztzeit den Sturz durch die Menschen fürchten und diesen durch ihre Ignoranz und Grausamkeit erst heraufbeschwören.
Kreta und das Göttliche – eine Leidensgeschichte. Das Beste, was die Kreter von den Olympiern bekommen, die sie verehren, ist deren Gleichgültigkeit. Immer dort, wo die Götter die Menschen aufsuchen, dringen sie in die Leiber der Sterblichen ein. „Kaos“ erzählt das etwas zahmer, als es die Mythen tun: Wenn Poseidon (Cliff Curtis) Minos (Stanley Townsend) in dessen Badewanne heimsucht, ist es allein sein Zeh, den er dem Präsidenten Kretas in den Mund schiebt, bis dieser daran zu ersticken droht. Der als Amazone geborene und im Mythos seiner Schönheit wegen von Poseidon vergewaltigte Kaineus (Misia Butler) hat in der von Charlie Covell erdachten Serie einen anderen Grund, sein Geschlecht neu zu wählen. „Kaos“ lebt die griechischen und minoischen Mythen nicht ohne Grausamkeit, aber eben doch mit der Leichtigkeit der Parodie aus.
Trotzdem ist der rituelle Kontakt zwischen Kreta und dem Olymp unsicher geworden. Nicht nur Minos, seine Familie und die einfachen Kreter müssen zunehmend den Zorn der Götter fürchten, auch der Herrscher des Olymps selbst lebt in Angst. Überall wittert der in Jeff Goldblums flamboyant-lässige Privatgarderobe gehüllte Zeus die nächste Verschwörung. Dass gerade Goldblum, der mittlerweile fast nur noch als Mensch gewordenes Meme oder Mensch gewordener Manierismus gecastete Star, Zeus verkörpert, passt gut ins parodistische Grundprogramm der Serie, aber auch überraschend gut ins mythologische Charakterprofil des engherzigen, kleinlichen, grausamen, skrupellosen und ignoranten Göttervaters.
Zeus entdeckt die Andeutung von Falten
Zeus glaubt, kleine Aussetzer in der unendlichen Quelle des Olymps zu sehen, entdeckt die Andeutung von Falten in seinem perfekten Antlitz, spürt, wie sich die Menschheit gegen ihn verschwört, und liegt dabei, so paranoid er auch wirken mag, nicht einmal falsch. Am besten weiß es sein „bester Freund“ Prometheus (Stephen Dillane), der zwischen den endlosen Episoden seiner unfreiwilligen Organspende als Hauptverschwörer und Erzähler der Geschichte dient.
Der Perspektive des gefangenen Titanen entsprechend betrachtet „Kaos“ die olympischen Götter mit Spott, zeigt die Geschmacklosigkeit ihres vom Rasen bis zu den Koniferen perfekt getrimmten und geschniegelten olympischen Reichs. Die Götter selbst sind nicht weniger lächerlich in ihrer ständigen Verunsicherung, die nur mit der Reichweite ihrer Macht (und dem gelegentlichen Mord) überspielt wird und ihrer Vergnügungssucht, für die die Menschheit wieder und wieder einen teuren Preis zahlt. Wenn Hera (Janet McTeer) mit Tücke und Rachsucht versucht, dem so untreuen wie grausamen Ehemann Einhalt zu gebieten, ihrerseits mit dessen Bruder Poseidon ins Bett geht, der wieder und wieder vorschlägt, doch endlich gemeinsam durchzubrennen, und nur Dionysos (Nabhaan Rizwan), den Hera nicht weniger verabscheut als die anderen Kinder Zeus’, ein wenig Sentimentalität für die Menschen übrighat, entspricht das mehr oder weniger einigen der bekannteren Versionen altgriechischer Mythen.
Ein Hauch von zeitgenössischem Größenwahn
Doch der personell geschrumpfte Olymp und die dort geborenen göttlichen Verfehlungen haben immer auch den ostentativen Touch des zeitgenössischen Größenwahns. Die Götter erlaben sich an der eigenen Unsterblichkeit, den ihnen gebrachten Opfern und nehmen dabei willentlich das Ende der Sterblichen in Kauf. Die Sache liegt, so ergibt es sich im Laufe der Erzählung, tiefer als ein im Zorn vom Olymp geschleuderter Blitz mit anschließender Naturkatastrophe. Das Machtsystem von Zeus reicht bis in den Hades, wo die Seelen der Sterblichen eben nicht erneuert, sondern für den Erhalt der göttlichen Macht zersetzt werden. Nachhaltig ist das nicht, aber wer will die 0,0001 Prozent an der Spitze der Welt aufhalten? Der gedankliche Sprung in Richtung eines kapitalgetriebenen Ausverkaufs der Erde mit klimatisch-apokalyptischen Folgen fällt nicht schwer.
Das allegorische Angebot von Charlie Covells in die Moderne gezerrten Mythos ist aber kein definitives. Mythos bleibt vorrangig Mythos. Die Prophezeiungen stecken den dies- und jenseitigen Rahmen der Handlung ab und das nicht nur dort, wo die obdachlose Kassandra Warnungen durch ihre drogenzerfressenen Zähne faucht. Den Prophezeiungen gemäß ist es eine Gruppe von Sterblichen, die Zeus zu Fall bringen werden. Der erste Protest der versklavten Trojaner, die in Kretas Asylheimen zusammengepfercht und weitgehend entrechtet leben, scheitert. Zeus ist erzürnt über das von ihnen zum Kothaufen umdekorierte Denkmal und fordert Vergeltung von Minos. Dessen Tochter Ariadne (Leila Farzad) aber hat Mitleid mit den Trojanern und überhaupt zunehmend weniger Vertrauen in den Vater und die Lügen, die er wie den Minotauros im Palastkeller vergräbt.
Prophezeiung in der Unterwelt
Popstar Orpheus (Killian Scott) versucht unterdessen seine Geliebte, die „Riddy“ genannte Eurydike (Aurora Perrineau), aus der Unterwelt zu befreien, muss aber feststellen, dass sie nicht mehr ihn, sondern den ebenfalls im Hades gefangenen Kaineus liebt. Zwischen der von Hades (David Thewlis) und Persephone (Rakie Ayola) geleiteten Unterwelt-Bürokratie mit Warteschlangen, Registereinträgen, Kantinenbesuchen und Job-Routinen erinnern sich die Gestorbenen an ihre Zeit im Leben, an das, was einst schmeckte, und das, was man einst fühlen konnte, um eben dort, wo eigentlich das Gefühl hingehört, plötzlich die gemeinsame Prophezeiung zu entdecken.
Entlang der Prophezeiungen und bekannt tragischen Schicksale laufen auch die über acht Folgen abgerollten dramaturgischen Fäden wieder zusammen. Wo genau „Kaos“ wirklich hinwill, ist aber nie ganz klar. Die Mythen sind zeitlos, machen sich gleichermaßen gut als Pop- und Hochkultur, aber der postmodern-parodistische Anstrich, den die Serie ihnen verpasst, will sich nicht wirklich mit den Tragödien vertragen, die auch in der zeitgenössisch-hellenischen Welt von „Kaos“ unvermeidlich sind. Die Schwelle zum Mythos ist, glaubt man dem Kulturphilosophen Roberto Calasso, erst dort überschritten, wo ein Zusammenhang zwischen dem entsteht, was eigentlich unvereinbar ist. Bei Charlie Covell ist das wohl oder übel nur in einer Badewanne der Fall.