Drama | Deutschland 2024 | 97 Minuten

Regie: Kida Khodr Ramadan

Eine werdende Mutter plant, ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Der Vater, mit dem sie noch immer eine Affäre hat, will seine Familie nicht aufgeben, während die eigene Familie und die beste Freundin drängen, das Kind zu behalten, aber keine Form von Unterstützung anbieten. Der Druck durch die auf sie einprasselnden Erwartungshaltungen droht, die junge Mutter zu zermalmen, obwohl sie sich wieder und wieder aufbäumt. Ein wenig subtiles, aber so intensives wie gnadenloses Drama mit einer außergewöhnlichen Hauptdarstellerin. Diese führt durch die starken wie eintönigen Momente und gibt ihrer Figur eine widerborstige und zugleich völlig uneitle Unberechenbarkeit. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Carma & Comet Films
Regie
Kida Khodr Ramadan
Buch
Antje Schall
Kamera
Stéphane Kuthy
Musik
Brezel Göring
Schnitt
Anja Neraal
Darsteller
Lilith Stangenberg (Martha) · Samuel Schneider (Sebastian) · Uwe Preuss (Herr Lorenz) · Susana Abdulmajid · Jeanette Hain
Länge
97 Minuten
Kinostart
24.10.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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TMDB

Schonungsloses Drama um eine werdende Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigeben will und von der ablehnenden und nicht hilfreichen Haltung ihrer Familie unter Druck gesetzt wird.

Diskussion

Martha (Lilith Stangenberg) entschuldigt sich. Beim Chef, bei der Freundin, der Schwester und sogar beim Vater des Kindes, das sie haben wird, aber nicht haben soll. Martha möchte ihr Kind zur Adoption freigeben. Damit ist sie allein und dafür hat sie sich zu entschuldigen. Wieder und wieder. Selbst bei Erzeuger Sebastian (Samuel Schneider), der zwar regelmäßig da ist, um Sex mit Martha zu haben, das gemeinsame Kind aber nicht anerkennt und äußerst giftig reagiert, wenn Martha einmal daran erinnert, wie verdammt schwierig das für sie ist. Sebastian ist verheiratet und hat bereits Familie – das ist „der Deal“. Für alles andere muss sich Martha entschuldigen. Bei der eigenen Familie sieht es nicht anders aus. Ist Schwester Isabel (Zsá Zsá Inci Bürkle) eine „echte“ Mutter, die einst Glückwünsche für ihre Schwangerschaft bekam, erntet Martha von der Mutter (Jeanette Hain) blankes Unverständnis. Und weitere Fragen. Wo ist der Mann? Wie soll das funktionieren? Wie kann man das eigene Baby an eine Fremde abgeben?

Alle haben ungefragte Ratschläge und Vorwürfe parat

Familie, Freunde, der Anwalt, die Krankenschwestern: sie alle haben in „Haltlos“ von Kida Khodr Ramadan ungefragte Ratschläge und Vorwürfe parat, die Sache mit der Empathie bekommen sie eher nicht hin. Martha rotiert zwischen ihnen, telefoniert sie einzeln, nach Hilfe flehend ab, bleibt aber immer allein. Allein mit dem Baby, das in ihr wächst. Dem Baby, das sie nicht haben soll, aber auch nicht weggeben darf. Schließlich ist sie die Mutter und das Baby braucht nicht irgendeine, sondern seine leibliche Mutter. Mit der Gewissensverpflichtung, die auch die beste Freundin Fiona (Susana AbdulMajid) ihr auferlegt, kommt auch immer die Versicherung, dass ja alle helfen könnten und werden. Aber bitte nicht, während man wie Marthas Mutter gerade schläft oder gerade wie Schwester Isabel den Urlaub genießt.

Ihr Umfeld gönnt sich Distanz von Pflicht, Verantwortung und Mitgefühl. Martha selbst hat keinerlei Spielraum für irgendetwas. Die Strukturen der Adoptionsjustiz sind für Martha einschnürend rigide. Für den Rest der Welt aber eher grobe Anleitung. So wird das Baby, das Martha schließlich in einem völlig verwaisten Kreissaal selbst auf die Welt bringt, trotz der strengen juristischen Vorgaben doch ihr selbst in die Arme gelegt, um ihr wenige Minuten später wieder entrissen zu werden.

Die dazugehörigen erzählerischen Widerhaken graben sich dann noch einmal tiefer ins Fleisch der Protagonistin. Die narzisstische Mutter hat auch mit ihren nervenden Kommentaren einmal recht und lässt nicht von der Tochter ab, der Rechtsanwalt darf darauf beharren, dass Martha sich beruhigen muss, weil ihre Hysterie ja auch niemand weiterhelfe.

Nie auf einen Modus festgelegt

Alles in „Haltlos“ gehört früher oder später seiner Hauptdarstellerin. Lilith Stangenberg lädt sich nicht allein das Schicksal einer Frau auf. Ihr Spiel verweist nicht nur auf die Tragödie einer Frau, sondern auf all die Inkarnationen dieser Frau, die zwischen gesellschaftlichem, familiärem und selbstauferlegtem Druck zermahlen werden. Zwischen den körperlichen und mentalen Torturen, die Martha erleidet, dringt in kurzen Momenten der Unbeschwertheit die Martha durch, die lacht, die Scherze macht, die Bruce Lee liebt, die Kellnerin im Szenecafé abwatscht, mit dem Späti-Besitzer im Haus eingespielte Witze und kleine zwischenmenschliche Bemerkungen tauscht und einmal in die Offensive geht, wenn sie feststellt, dass alle um sie herum „behindert“ sind. Nie ist Stangenberg auf einen Modus festgelegt, nie gibt es Kalkül, nie Eitelkeit. Martha ist geschunden, gefährlich und voller Liebe, rastet aus, kriegt sich wieder ein; verführt und verzweifelt, reitet sich tiefer hinein und baut sich selbst mit dem unbedingten Willen, das Richtige zu tun, wieder auf.

Einmal sitzt sie wie Sharon Stone in „Basic Instinct“ am Boxring. Sebastian steht oben, lässt sich vom Boxtrainer verprügeln, während Martha ihn in den Bann zieht, in der Tüte kramt, jeden einzelnen Kartoffelchip laut und genüsslich verzehrt und wieder und wieder die Beine übereinanderschlägt. Einige Monate Schwangerschaft später sitzt sind im selben Stuhl, hat keine Kraft mehr für Freude und Verführung. Es ist eines von vielen symbolischen Echos, die das Drehbuch von Antje Schall beansprucht und überbeansprucht: Marthas Hände krallen sich an das Babybett, die Babyklappe hallt noch einmal als Altkleider-Container nach und so weiter.

Die Hauptdarstellerin darf den Film mitschleifen

„Haltlos“ hämmert mit der gleichen Intensität auf unterschiedliche Oberflächen ein, schert sich zu Recht keinen Deut um Subtilität und überlässt es der Hauptdarstellerin, den Film immer dort mitzuschleifen, wo sein ständiges Überformen der gleichen Motive in der Elendsschleife zu verkümmern droht. Und tatsächlich macht der Film dort, wo er sich mitschleifen lässt, wo er sich bewusst an Stangenberg klammert, mit ihr auf- und freidreht, nie etwas falsch. Und wie beide aufdrehen! Allein Marthas Beziehung zu ihren Eltern, zur Mutter, die ihr eigenes Drama auch noch über die Tochter stülpt, wenn diese vollends am Boden liegt, und zum Vater, der absolut gar nichts zu bieten hat und jeden Kontaktversuch Marthas mit gleichgültigen Blicken aus dem Schutz des Türrahmens abwehrt.

Der Film aber geht härtere Wege, folgt Martha in die abgründigen Zirkel von Einsamkeit und Hilflosigkeit. Der Soundtrack von Brezel Göring dreht gnadenlose Schleifen herum, wiederholt ein melodisches wie stechendes Pianothema im Vordergrund, zu dem es im Hintergrund elendig ächzt und knallt. „Verfall überall. Trostlosigkeit für alle“, singt dazu Stangenberg selbst. Sie singt schief, entkräftet und trifft doch jeden einzelnen brutalen Ton. Niemand anders könnte das.

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