Drama | USA 2023 | 88 Minuten

Regie: Kit Zauhar

Ein Paar mit Beziehungsproblemen trifft in ihrer Reiseunterkunft in Philadelphia auf einen seltsamen Mann, der zum Katalysator für eine schmerzhafte Reihe von Konflikten wird. In der Dreieckskonstellation brechen all die unterdrückten Konflikte hervor, die normalerweise oft nur halb bewusst werden. Das intensive, teilweise wie ein Horrorfilm inszenierte Drama handelt von der Ambivalenz von Intimität, Nähe und Einsamkeit und dem Verlangen nach Anerkennung. Die ebenso sensuelle wie mitunter verstörende Inszenierung erlaubt eine spannende Dekonstruktion moderner Beziehungen im Zeitalter ihrer digitalen Entfremdung. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THIS CLOSENESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Discordia Cine/Modern Pleasures/Neon Heart Productions
Regie
Kit Zauhar
Buch
Kit Zauhar
Kamera
Kayla Wolf
Schnitt
Brian Kinnes
Darsteller
Zane Pais (Ben) · Jessie Pinnick (Lizzy) · Kit Zauhar (Tessa) · Ian Edlund (Adam)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | JustWatch

Intensives Drama über drei Menschen, die ein Wochenende lang eine Wohnung in Philadelphia teilen, was zu einem schmerzhaften Ringen um Intimität, Nähe und Anerkennung führt.

Diskussion

Schon zu Beginn, wenn Tessa (Kit Zauhar) und Ben (Zane Pais) die Stufen zu ihrer airbnb-Unterkunft hinaufsteigen, ist der Abstand zwischen dem Paar förmlich zu greifen. Ben ist hier aufgewachsen. Seine Eltern haben das Haus verkauft, und die neuen Besitzer haben eine in seinen Augen unmögliche Farbe für die Fassade gewählt. Respektlos sei dies, so die Beschwerde. Schließlich habe die Familie so viel in das Zuhause investiert. Tessa kann das nicht nachvollziehen. Sie scheint vom Lamentieren ihres Freundes sogar genervt zu sein. Offensichtlich schwelt ein zäher, sich langsam durch das Beziehungsgewebe fressender Konflikt zwischen diesen beiden Menschen. Die folgenden Tage werden das Konstrukt ihrer Liebe schmerzhaft zum Einsturz bringen.

Die Interaktion gestaltet sich schwierig

Ben will in Philadelphia seine College-Reunion feiern und in die Vergangenheit eintauchen. Seine Freundin Tessa ist lediglich der Anhang. Gemeinsam beziehen sie ein Zimmer in einer WG. Nur für das Wochenende. Der Besitzer ist selbst nicht vor Ort. Stattdessen lebt der in sich gekehrte Adam (Ian Edlund) in der Wohnung. Ein wortkarger, offensichtlich nicht an soziale Kontakte gewöhnter Mann, der in seinem verdunkelten Zimmer Videos für einen Sportsender schneidet. Die Interaktion gestaltet sich schwierig.

Tessa und Ben können sich der Präsenz des ungewollten Mitbewohners aber nicht entziehen, obwohl sein Verhalten sie abgeschreckt. Fast scheint es, als würde Adams Andersartigkeit die ohnehin brüchige Beziehung wie ein Virus befallen und mit großer Geschwindigkeit zersetzen. Die Spannungen nehmen zu, als auch noch Bens ehemalige Kommilitonin Lizzy (Jessie Pinnick) auftaucht und mit intimen Geständnissen Tessas Eifersucht provoziert.

Studie über Intimität

Rainer Werner Fassbinder hat sinngemäß einmal angemerkt, dass sich im Grunde nur ein Thema durch das Werk jedes großen Filmemachers zieht, das in intensiven Variationen immer wieder untersucht wird. Das gilt natürlich auch für das Schaffen von Regisseurinnen, die ihre Obsessionen mit der Kamera sezieren und vor dem Publikum auseinandernehmen. Fassbinder war fasziniert von der schier unerschöpflichen Möglichkeit, die Gefühle anderer Menschen auszubeuten. Claire Denis arbeitet sich in all ihren Filmen am Begehren ab, das Menschen zueinander zieht und sie gleichwohl auch unendlich voneinander trennt. Die junge US-amerikanische Regisseurin Kit Zauhar scheint mit ihrem nach „Actual People“ (2021) erst zweiten Spielfilm ihr Thema auch schon gefunden zu haben. „This Closeness“ wirft ebenso sensible wie schonungslose Blicke auf das komplexe Dreieck aus Intimität, Nähe und Einsamkeit und das menschliche Verlangen nach Anerkennung.

Bereits ihr Kurzfilm „The Terrestrials“ (2018) erzählte von einer Zukunft, in der das Bedürfnis nach Berührung durch die digitale Welt überformt wird. Ein technischer Apparat erlaubt es den Menschen, virtuelle und doch unmittelbar auf den Sinnesapparat einwirkende sexuelle Abenteuer zu erleben, indem sie ihre Psychen miteinander verbinden. Man könne sich das wie Tinder fürs Gehirn vorstellen, so die Regisseurin. Als der Server kollabiert, ist die Hauptfigur in dieser Zwischenwelt ohne wirkliche Berührung gefangen und muss sich mit ihrem Begehren auseinandersetzen.

Ein Kribbeln auf der Haut

„This Closeness“ knüpft daran auf realistische Weise an. Tessa hat es mit sogenanntem ASMR-Content („Autonomous Sensory Meridian Response“) auf YouTube zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Dabei handelt es sich um Videos, die im übertragenen Sinne wie Nahaufnahmen von Geräuschen – sei es der Atem, das Streichen durch Haare oder über Gegenstände – das Gehirn massieren. Die Folge ist ein Kribbeln, das sich über den Nacken und die Wirbelsäule entlang ausbreitet, was viele als entspannend wahrnehmen. Dreimal bindet Tessa in „This Closeness“ andere in diese Praxis ein. Zunächst Lizzy, der sie mit ihren Berührungen sehr nah kommt. Später zeigt sich Adam vom intensiven Gefühl beeindruckt, welches ASMR bei ihm auslöst.

Kit Zauhar inszeniert diese Szenen als erotisch aufgeladene Momente, in die sie das Publikum durch geschicktes Sounddesign einwebt: denn es breitet sich tatsächlich ein angenehmes Kribbeln auf der Haut aus. Die audiovisuelle Immersion lässt „This Closeness“ zu einer körperlichen Erfahrung werden. Die Karten der Intimität werden neu gemischt. Worin liegt der Unterschied zwischen der Stimulanz des Gehirns und der sexuellen Berührung? Wann wird Begehren geteilt und wie viel Egoismus liegt in der Befriedigung von Lust?

Die Hölle ist der Andere

Zauhar aktualisiert durch die Einbindung von ASMR den klassischen Raum aus Jean-Paul Sartres berühmten Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“, in dem die sich in ein Liebesdreieck verstrickenden Personen die Wohnung nicht verlassen können. Der Clou am Dreieck ist, dass die dritte Person die in sich ruhende Beziehung der anderen stört. Erst im Blick (oder auch in den Ohren des anderen) werden wir zu Objekten. Als Tessa und Ben bewusst wird, dass Adam ihr Liebesspiel durch die dünnen Wände hören kann, ist der Sex für sie unmöglich. Sie werden sich der animalischen Dimension ihrer selbst bewusst. Ebenso verwandelt sich die harmlose ASMR-Massage, die Tessa dem nach menschlichem Austausch sich sehnenden Adam gibt, in den Augen von Ben in einen Seitensprung. Es ist unangenehm, in den Augen einer dritten Person eine Außenhaut zu erhalten, zu einem Gegenstand der Bewertung zu werden.

Dabei ist „This Closeness“ teilweise wie ein Horrorfilm inszeniert: verstörend und ambivalent. Ständig rechnet man mit einer Explosion der Gewalt. Vor allem Adam scheint in seiner verzweifelten Einsamkeit kurz vor dem Absturz in jene Monstrosität zu sein, mit der in Slasherfilmen gerne gespielt wird. Das soziale Monster wohnt bei Zauhar aber allen Figuren inne. Der Wunsch nach Nähe ist von einer Einsamkeit begleitet, die oftmals den Grund jeglicher Erotik darstellt. Bezeichnenderweise können Tessa und Ben erst miteinander schlafen, als sie über Sex mit Adam fantasiert. Die Vorstellungskraft, die Flucht in die eigenen Fantasien, lassen die Intimität zu einer autoerotischen Kraft werden: Alles spielt sich im Kopf ab. Ein besonders optimistischer Film ist „This Closeness“ damit nicht. Dafür umso nachhaltiger.

Kommentar verfassen

Kommentieren