Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist
Drama | USA 2023 | 89 Minuten
Regie: Joanna Arnow
Filmdaten
- Originaltitel
- THE FEELING THAT THE TIME FOR DOING SOMETHING HAS PASSED
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Magnetic Labs/Ravenser Odd/Nice Dissolve
- Regie
- Joanna Arnow
- Buch
- Joanna Arnow
- Kamera
- Barton Cortright
- Musik
- Robinson Senpauroca
- Schnitt
- Joanna Arnow
- Darsteller
- Joanna Arnow (Ann) · Scott Cohen (Allen) · Babak Tafti (Chris) · Michael Cyril Creighton (Karl) · Alysia Reiner (Schwester)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 12.12.2024
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Komödie | Tragikomödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Autofiktionale Tragikomödie um eine New Yorkerin, die mit Anfang dreißig beruflich wie in ihrer langjährigen BDSM-Beziehung auf der Stelle tritt.
Ann liegt nackt neben einem vermeintlich schlafenden Mann, reibt sich rhythmisch an seinem im Federbett versunkenen Körper, während sie sein respektloses und misogynes Verhalten beklagt. „Können sich Menschen ändern?“, fragt sie irgendwann. Er: „Ich weiß nicht.“ Ann kommt in die Yoga-Klasse, rollt ihre Matte aus, ein Schriftzug entfaltet sich: „Go with the flow.“ Ann erzählt einer Bekannten, dass sie eine rosafarbene Lampe auf der Straße gefunden habe, was sie als gutes Zeichen deute. Die Bekannte erklärt, Salzsteinlampen seien sehr verbreitet und außerdem etwas für „einsame Leute“. Ann sitzt im Büro an ihrem Schreibtisch und verhandelt mit ihrem Vorgesetzten per Telefonschalte stockend über ihre neue Jobbezeichnung („Clinical media e-learning“), auf dem Monitor sind ihre beiden Profilbilder mit ihren lächelnden Gesichtern zu sehen. Ann ist zu Besuch bei ihrer jüdischen Familie, die sie mit einem Gewerkschaftslied vollplärrt, während sie zu lesen versucht. Ann kniet nackt über Alan, dem Mann aus der ersten Szene. Er befiehlt ihr, zur Tür zu rennen. Ann rennt zur Tür. Er befiehlt ihr, wieder an seinen Brustwarzen zu saugen. Ann saugt an seinen Brustwarzen. Das Spiel wiederholt sich.
Im Flow ist nichts
„Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ heißt Joanna Arnows Autofiktion, die, dem Titel folgend, von Stillstand, Wiederholung und trockenen Pointen getragen wird. Im Flow ist in diesem Film nichts: weder im Leben der mürrischen Ann, die jede Szene stemmt und von der New Yorker Filmemacherin selbst gespielt wird, noch dramaturgisch. In statischen Einstellungen reiht Arnow Szene um Szene – oder vielmehr Moment um Moment – unverbunden aneinander. Manche lassen die Zeit als eine träge Masse spürbar werden, andere sind so kurz wie ein Einzeiler oder Witz, mit stets stumpf abgebrochenen Enden.
Die fünf Kapitel geben dem Film eine lose Struktur. Benannt sind sie nach den Männern, die Ann datet und mit denen sie BDSM-Beziehungen eingeht. Prägend ist vor allem das Verhältnis mit Alan, das nun schon seit sieben Jahren andauert. Immer wieder fragt er sie, wie alt sie war, als sie sich das erste Mal trafen, welches College sie besucht hat. Uneindeutig ist dabei, ob das Wiederholungsmuster auf eine Ermüdung in ihrer Beziehung deutet oder aber Bestandteil eines „kinky Skripts“ ist.
Mit „i hate myself :)“ begann Arnow 2013 eine Serie persönlicher Filme: nicht im engeren Sinn autobiografisch, aber gespeist aus eigenen Erfahrungen und Beobachtungen ihres näheren Umfeldes. Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit wird bereits in den Titeln zur Sprache gebracht: „Bad at Dancing“, „Fucking Imaginary Friends“. Arnows Arbeiten verstehen sich als „Comedy“, aber zu lachen gibt es wenig. Unbeholfen-komisch und an der Grenze zur Lächerlichkeit sind die Situationen, in denen sich die Protagonistin wiederfindet. Die Regisseurin zeigt sie in ihrer Verletzlichkeit, die sich mit Eigensinn und Widerborstigkeit paart.
Ann steckt fest
In den frühen Dreißigern angekommen steckt Ann fest. An ihrer langweiligen Arbeitsstelle hat sie sich „obsolet“ gemacht, abends quetscht sie in ihrer kleinen Brooklyner Wohnung die immer gleiche braune Mikrowellenpampe aus der Plastikverpackung. Der Umgang mit ihren verschrobenen Eltern (gespielt von Arnows eigenen) ist so ritualisiert, dass jede Abweichung Missstimmung entfacht. Und wird in ihrer Beziehung mit Alan, ihrem „Master“, inzwischen vielleicht schon die Wiederholung wiederholt? Mit ihrer neuen Bekanntschaft Chris, der ihren Mangel an Emphase und Nettigkeit als „Unabhängigkeit“, schätzt, probiert sie ein sexuelles Leben ohne Submission aus. Die Beziehung ist sicherlich warmherziger und könnte dem Gefühl von Liebe nahekommen, aber ob sie in Anns Leben etwas in Bewegung setzt, bleibt offen.
Sexszenen (und Sexvorbesprechungsszenen) gibt es im Film in Fülle. Allein durch ihre Mise-en-scène – statische Einstellungen aus größerer Distanz – unterlaufen sie manches (ins Kino eingeschriebene) BDSM-Klischee. Sie sind weder erotisch oder „hot“ noch von jener abgründigen Einsamkeit und Kälte, die der Figur (oder der Gesellschaft) irgendwelche Schäden oder Diagnosen unterschieben. Die Vorliebe für Unterwerfung mag zuweilen Körperkomik hervorbringen, kommt aber überaus alltäglich daher. Arnow tritt darin durchweg nackt auf, und sie hat dabei keine Scheu, sich auch bei scheinbar erniedrigenden Spielen darzustellen – wenn sie etwa im „Fuck Bunny“-Kostüm auf Befehl Grunzlaute von sich gibt.
Eine ganz eigene Handschrift
Auch wenn im US-amerikanischen Independent-Kino die Mischung aus Selbstentblößung und Depri-Momenten nichts unbedingt Neues ist, bereichert Arnow dieses Feld mit einer ganz eigenen Handschrift. Formal ist „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ sicherlich deutlich gewagter als etwa Lena Dunhams frühe Arbeiten. Eine andere Frage ist, ob man für diese Form des New Yorker Miserabilismus noch empfänglich ist.