Federer: Zwölf letzte Tage
Dokumentarfilm | Großbritannien 2024 | 88 Minuten
Regie: Asif Kapadia
Filmdaten
- Originaltitel
- FEDERER: TWELVE FINAL DAYS
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Amazon Studios
- Regie
- Asif Kapadia · Joe Sabia
- Buch
- Asif Kapadia · Joe Sabia
- Kamera
- Jess Dunlap
- Musik
- Dario Marianelli
- Schnitt
- Avdhesh Mohla
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; nf
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt | Sportfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Doku über die Tage vor dem letzten Profispiel des Schweizer Tennisstars Rogerer Federer im September 2022.
Der Sportdokumentarfilm „Federer: Zwölf letzte Tage“ von den Regisseuren Asif Kapadia und Joe Sabia wurde von Amazon Prime wenige Tage vor Beginn des Tennisturniers in Wimbledon veröffentlicht, das auf dem gleichen Streamingportal erstmals weltweit übertragen wird. Roger Federer ist sicher der Tennisspieler, der am meisten mit dem Rasenturnier in dem Londoner Vorort identifiziert wird. Mit seinen acht Wimbledon-Titeln ist er Rekordtitelträger; zudem zeigte sich seine elegante Spielweise nirgendwo besser denn auf Rasen. Nach einer schweren Knieverletzung, die auch mehrere Operationen nicht lindern konnten, hat Federer sich im September 2022 vom Tennissport zurückgezogen. Zu diesem Zeitpunkt war er 41 Jahre alt und seit 24 Jahren als Tennis-Profi auf Tour.
Krönender Abschluss einer Karriere
Der 88-minütige Dokumentarfilm erzählt aber nicht von dieser großen Karriere und ihren vielen Höhepunkten. Er konzentriert sich vielmehr auf jene 12 Tage, die zwischen der Verkündigung seines Abschieds vom Tennissport bis zu seinem letzten Spiel als Profi liegen. Die Kamera begleitet Federer in dieser Zeit bei seinen medialen wie geschäftlichen Aktivitäten, zu denen auch die Tennisveranstaltung gehört, die er selbst ins Leben gerufen hat und die zur Bühne seines letzten Matches wird: Der Laver-Cup, der im September 2022 zum vierten Mal ausgetragen wurde.
Im Film berichtet Federer, wie es zu dieser Veranstaltung kam. Er wollte im Tennissport einen Mannschaftswettbewerb wie den Ryder-Cup im Golfsports etablieren, bei dem seit 1927 die besten Golfer der USA gegen die besten aus Europa antreten. Bei seinem Cup, den er nach dem australischen Tennisspieler Rod Laver benannte, treten europäische Tennisspieler gegen eine Auswahl von Sportlern an, die aus anderen Kontinenten stammen.
Ursprünglich sollte dieses Spektakel alle zwei Jahre stattfinden. Die mediale und vor allem auch finanzielle Resonanz war aber so groß, dass es nun jährlich im Herbst an wechselnden Orten ausgetragen wird. Veranstaltet wird es von der Sportmanagementfirma Global8, die Federer 2012 zusammen mit seinem Manager Tony Godsick gründete, um sich selbst zu vermarkten, und die in den folgenden Jahren ihr Geschäftsfeld stetig ausbaute.
Ungewöhnliche Einblicke
Im Film ist zu verfolgen, wie beim Laver-Cup alles bis ins letzte Detail durchgestylt ist; einmal tragen Federer und ein europäischer Kollege das falsche Hemd zu dem vom Veranstalter gestellten und vermutlich auf den Leib geschneiderten Anzug, was prompt zu einer Rüge des Mannschaftskapitäns Björn Borg führt, der wie Laver zu den Tennislegenden zählt.
Beim Training wie beim Blick in die Umkleidekabine ist aber auch zu sehen, dass den Profis der für sie eher ungewohnte Mannschaftswettbewerb Spaß macht und dass sie, die sonst stets gegeneinander antreten, sich nicht nur über die Antrittsprämie von 250.000 Dollar, sondern auch am Miteinander erfreuen, da sie herumalbern und blödeln. Hier erfährt man nebenbei auch manches über die Einschätzung von abwesenden Kollegen. Das sind ungewöhnliche Einblicke in eine Sportart, die medial meist nur in der Live-Übertragung der Turniere präsent ist.
Ungewöhnlich sind auch die Momente, in denen Federer mit seiner Frau Mirka Federer-Vavrinec, einst auch eine Weltklasse-Tennisspielerin, und den vier Kindern zuhause oder später mit seinen Mitarbeiter:innen in seiner Firma zu sehen ist. Auch hier ist vieles durchdesignt. Die Zimmer der Wohnung sind radikal in Weiß gehalten, als wollten sie demonstrieren, dass man Tennis einst nach der damals vorgeschriebenen Sportkleidungsfarbe als „weißen Sport“ bezeichnete. Gleiches gilt für die großzügig geschnittenen Büroräume von Global8, in denen die Arbeit wie ein Spaß und eine ewige Freude erscheint; alle gehen herzlich miteinander um, das Geschäft scheint von allein zu laufen. Hier trägt Federer auch ein Federer-Hemd.
Inszenierung ist alles
Zu Beginn des Films probt Federer die Rede, mit der er sich von seinen Fans verabschieden will. Sie wird aufgenommen und soll zu einem noch zu bestimmenden Tag über Social Media verbreitet werden. Es sind also zwei Filmteams im Raum. Dennoch kommt es zu einer Art von privatem Moment, als der Mann, der sich seit seiner Jugend in einer von Massenmedien dominierten Sportwelt bewegt, wie zu sich selbst sagt, dass er nicht wisse, ob ihn der Text nicht doch so bewegen werde, dass er weinen müsse. Das klingt angenehm schüchtern und böte einen Einblick in die Psyche des Sportlers, klänge nicht an, dass er das, was er gleich verlesen will, nicht allein verfasst hat, sondern dass es „unser Text“ sei. Damit wird klar, dass dieser Text von mehreren Autoren verfasst wurde. Seine mediale Stoßrichtung ist von Strategen vermutlich stundenlange erörtert worden und so wenig spontan wie jede andere Entscheidung von Global8.
Die Tränen kullern reichlich
Tatsächlich übermannt Federer dann beim Verlesen die Rührung. Das gibt auch die Richtung des Films vor. Denn es geht immer um dieses Gefühl des Abschieds, das alle überwältigt, die sich des Karriereendes von Federer bewusstwerden. Manche Tränenszene war bereits während der Live-Übertragungen des Laver-Cups 2022 zu sehen gewesen, als mit Rafael Nadal einer seiner größten Konkurrenten von Tränen übermannt in der Tennishalle saß, in der sie gerade ihr Doppel – jenes ominöse letzte Tennisspiel von Federer – gegen Frances Tiafoe und Jack Sock aus den USA verloren hatten.
Nun werden weitere Tränenbilder aus London hinzugefügt: die Ehefrau weint, eine der beiden Töchter weint, weitere Tennisspieler wie etwa Novak Djokovic weinen, und viele Zuschauerinnen und Zuschauer in der Halle weinen auch.
Als Grund ihrer Rührung mag ein Satz gelten, der am Ende des Films fällt und gleichsam dessen Sinn auf den Punkt bringt. Ein weiblicher Fan sagt unter Tränen, dass sie es vermissen werde, Roger Federer Tennis spielen zu sehen und so „sein unglaubliches Talent und seine Anmut“ betrachten zu können. So schön dieser Satz auch ist, löst er dennoch Zweifel aus. Denn ihn sagt ausgerechnet Mirka Federer-Vavrinec, die ihren Gatten ja gewiss noch bei manchem privaten Tennisspiel sehen wird und sich dabei an seinem Talent und seiner Anmut erfreuen kann.
Im Zusammenhang des Films drückt der Satz also kein privates Gefühl aus, sondern bringt den Verlust, den alle Fans empfinden sollen, auf den Punkt. Das ist Höhe- und Endpunkt einer Vermarktungsstrategie, die Federer um seinen Abschied vom Profitennis betrieb.
Ein Marketing-Produkt
Dieser Fokus ist aber umso enttäuschender, wenn man sich an andere Porträtfilme von Asif Kapadia erinnert, in denen die Widersprüche der Porträtierten einen breiten Raum einnehmen. So erzählt „Senna“ (2010) von einem Formel1-Rennfahrer, der an seinem Sport stirbt, weil er die Sicherheitsregeln gegenüber den geldfixierten Veranstaltern nicht durchsetzen konnte. In „Amy“ (2015) erlebt man, wie die Soulsängerin Amy Winehouse zu einer Weltkarriere startet, die ihr am Ende ebenfalls das Leben kostet. „Diego Maradona“ (2019) rekonstruiert Aufstieg und Fall eines Fußballspielers, der vom Helden einer Stadt (Neapel) und eines Landes (Argentinien) zu einer drogenabhängigen Marionette von Politik, Mafia und Medien wurde.
Das Leben von Roger Federer bietet demgegenüber keine vergleichbaren Katastrophen an, weshalb es Kapadia wohl an dramatischem Material mangelte. Aber er hätte wenigstens das, was er ausweislich der genannten Filme so glänzend beherrscht, stärker einbringen können: nämlich die Montage jenes Materials, das die Medienarchive vom Sport des Protagonisten in Überfülle enthalten. Doch nur gelegentlich sind besondere Fundstücke zu bewundern, die Federer etwa als Balljungen bei einem Turnier zeigen, oder den aufsteigenden Junior, der als Schlacks über den Platz sprintet. Oder den Profi, der einen Schmetterball in der Luft stehend zurückschmettert. Oder den Star, der seine einhändige Rückhand elegant und dennoch mit voller Härte schlägt.
Noch etwas fehlt, was in den drei erwähnten Filmen von Kapadia stets Thema war: eine Reflexion der Massenmedien, die Menschen aufs Piedestal der Starexistenz erheben, aber jederzeit auch wieder stürzen können. Die Massenmedien sind in „Federer: Zwölf letzte Tage“ ein Teil des unreflektierten Geschäfts, das der Sportler mit seiner Firma betreibt. Und als dessen Produkt sich am Ende auch der Film „Federer: Zwölf letzte Tage erweist.
Wie weit auch Amazon Prime Teil dieses Geschäfts ist, beweist ein winziges Detail. In einer Szene sieht man, wie Federer und Nadal jeweils ihre Uhren richten, die sie laut ihren Werbeverträgen in wichtigen Momenten sichtbar tragen müssen. Die Uhrenfirma, für die Federer wirbt, sponsert diesen Film, der deshalb – so besagt ein kurzer Vorspann – nicht von Werbung unterbrochen würde. Das ist Werbung, die mit Werbefreiheit wirbt.