Ein junger Mann im Kapuzenpulli hetzt durch die Nacht. Als die Scheinwerfer eines Autos auf ihn zukommen, ist nur noch sein erschrockener Blick zu sehen, bevor das Bild schwarz wird. Es folgt eine Kamerafahrt auf die Stadt Albany im Morgengrauen. Über Bahngleise bewegt sich das Bild auf die Skyline zu. Doch plötzlich hebt die vermeintlich in einem Zug platzierte Kamera unvermittelt in die Luft ab.
Beide Momente stehen am Anfang von „The Darkest Truth“ und sind zentral für das Krimidrama. Zum einen, weil es darum geht, zu erfahren, was zwischen den Schnitten mit dem letztlich ermordeten jungen Mann namens Michael passiert ist. Und zum anderen, weil dem, was zu sehen ist, auch nicht so recht zu trauen ist.
Michaels Mutter Marissa (Hilary Swank) macht sich schließlich auf die Suche nach der Wahrheit. Weil ihrem Sohn mit zunehmender Drogensucht das Leben entglitten ist, hat sie schon vor Jahren den Kontakt abgebrochen. In ihrem schmalen, ernsten Gesicht zeichnen sich Müdigkeit, Reue und Wut ab. Letztere bekommt Michaels heruntergekommene Freundin Paige (Olivia Cooke) mit einer schallenden Ohrfeige zu spüren. Doch weil Paige schwanger und mittellos ist, arrangieren sich die beiden Frauen und versuchen, den Fall auf eigene Faust zu lösen. Dabei soll auch Marissas zweiter Sohn Toby (Jack Reynor) helfen, der als Polizist einen ehrbareren Lebensweg eingeschlagen hat.
Wie weit geht eine Mutter für ihre Kinder?
„The Darkest Truth“ spielt mit zahlreichen Versatzstücken bewährter Genrestoffe. Seine Hauptfigur scheint dabei auf den ersten Blick eine sehr dankbare, weil zerrissene Figur zu sein. Marissa ist Journalistin, die sich auch beruflich der Wahrheit verpflichtet, aber aus Frustration in ihrer nur noch auf Clickbait ausgerichteten Redaktion in den Schreibstreik gegangen ist. „The Good Mother“ lautet zudem der Originaltitel und ist nicht als eindeutige Zuschreibung der Heldin gemeint, sondern eher mit einem Fragezeichen zu verstehen: Was macht eine gute Mutter aus und wie weit würde sie für ihre Kinder gehen?
Regisseur Miles Joris-Peyrafitte interessiert sich allerdings wenig für solche psychologischen Prozesse. Das Mutter-Motiv bleibt eher oberflächlich, und auch wenn sich Marissa am Ende des Films wieder an den Laptop setzt, wird ihre Entwicklung im Laufe des Films nicht wirklich ausgelotet. Es macht sich schnell bemerkbar, dass „The Darkest Truth“ inhaltlich Versprechen gibt, die er häufig nicht einlöst.
Mit Erwartungen spielt auch die stylish düstere, an einen Neo-Noir erinnernde Kameraarbeit von Charlotte Hornsby. Die Protagonisten bewegen sich durch schummrige Bars, freudlose Eigenheime und menschenleere Industriegebiete. Einsam und verloren wirken sie, so als würden sie jederzeit von der Dunkelheit verschlungen werden. Mitunter wird in den Bildern gekonnt Atmosphäre und Spannung aufgebaut. Etwa wenn Marissa einen verdächtigten Kumpel ihres Sohnes auf einem nächtlichen Güterbahnhof sucht. Als einzige Lichtquelle dient dabei eine unheilvoll flackernde, rote Notlampe.
Genremuster werden nur selten mit Leben gefüllt
Die Neugier, die durch die undurchsichtige Stimmung und interessante Ansätze geweckt wird, verpufft aber allzu oft wegen des schlampig geschriebenen Drehbuchs. Die Geschichte ist ein Kuddelmuddel aus Halbgarem. Das Buddy-Movie-Moment, das sich zwischen den zwei sehr unterschiedlichen und sich nicht unbedingt wohlgesonnenen Frauen Marissa und Page andeutet, bleibt zwischenmenschlich schablonenhaft. Und das „Whodunit“-Rätselspiel verläuft über schwerfällig konstruierte Zufälle. Nicht die Genre-Klischees sind das größte Problem von „The Darkest Truth“, sondern dass es dem Film nur selten gelingt, sie mit Leben zu füllen.
Schade ist das vor allem für Hauptdarstellerin Hilary Swank, die mit ihrer emotional vernarbten Figur seelische Abgründe andeutet, zu denen der Film nie wirklich vordringen kann. Er liefert ihr schlichtweg zu wenig Material, um sich angemessen entfalten zu können. Immer wieder nagt sich zwar die Vergangenheit in Form verwackelter Rückblenden in Marissas gemarterte Psyche, doch als Zuschauer bleibt man an der Oberfläche ihres versteinerten Gesichts hängen.