Becoming Karl Lagerfeld

Biopic | Frankreich 2024 | 265 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Audrey Estrougo

Eine Miniserie über den Aufstieg von Modedesigner Karl Lagerfeld. Die Handlung stürzt sich genüsslich ins Paris der wilden 1970er-Jahre und konzentriert sich vor allem auf das Intimleben von Lagerfeld und seinem großen Kontrahenten Yves Saint Laurent, die sich jahrelang denselben Liebhaber teilten. Die Modewelt erscheint als dekadent-glamouröses Biotop voller Animositäten. Dabei kommen zwar die Kreativität und das Genie der Ikone zu kurz, und das Ganze bleibt etwas reißerisch-oberflächlich; als unterhaltsames Intrigenspiel in der schauträchtigen Modeszene gefällt die Serie aber durchaus und setzt vor allem auf gute Ausstattung, einen flotten Soundtrack und durchgehend herausragende Schauspieler. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BECOMING KARL LAGERFELD
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Gaumont/Jour Premier Prod./Disney+
Regie
Audrey Estrougo · Jérôme Salle
Buch
Raphaëlle Bacqué · Jennifer Have · Isaure Pisani-Ferry · Dominique Baumard · Nathalie Hertzberg
Kamera
Mahdi Lepart · Mélodie Preel
Musik
Evgueni Galperine · Sacha Galperine
Schnitt
Stan Collet · Céline Cloarec · Valérie Deseine · Grégoire Sivan
Darsteller
Daniel Brühl (Karl Lagerfeld) · Sunnyi Melles (Marlene Dietrich) · Théodore Pellerin (Jacques de Bascher) · Paul Spera (Andy Warhol) · Agnès Jaoui (Gaby Aghion)
Länge
265 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Serie
Externe Links
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Eine Miniserie über den Aufstieg von Modedesigner Karl Lagerfeld in den 1970er-Jahren in Paris.

Diskussion

„König Karl“ gehört wie die weiblichen Ikonen Romy Schneider oder Marlene Dietrich, aber auch Diane Kruger in eine kleine Reihe prominenter Deutscher, die in Frankreich mehr geschätzt und verehrt werden als in ihrem Geburtsland. Bis auf die Dietrich verließen sie alle in jungen Jahren Deutschland in Richtung Paris und kehrten auch nie wieder zurück.

In einer Schlüsselszene der als episches Biopic angelegten Miniserie „Becoming Karl Lagerfeld“, die die „Origin Story“ der ikonischen Designer-Starpersona Karl Lagerfeld aufrollt, treffen der Titelheld und Marlene Dietrich im Pariser Appartement der scheuen Diva 1973 aufeinander. Sie hat von ihm gehört und den angehenden Star des Prêt-à-porter angerufen. Lagerfeld, den eine tiefe Rivalität mit Yves Saint Laurent verbindet, dem einsamen Modezar der Haute Couture, will mit der Dietrich nun endlich einen Coup landen, ins Rampenlicht und in die „Vogue“. Er entwirft einen extravaganten, barocken Hosenanzug für Marlene. Wie die kapriziöse, unberechenbare und damals bereits den Medienrummel meidende Marlene Dietrich darauf reagiert, ist grandios inszeniert und gespielt. Sunnyi Melles, die kürzlich in „Die Zweiflers“ als jüdische Mama immer hart an der Grenze zum „Overacting“ stand, spielt die Dietrich wunderbar knorrig, intrigant, brutal ehrlich und überzeugend. Und Daniel Brühl als Karl Lagerfeld zeigt in dieser Szene die gesamte Palette seiner Figur. Er pokert hoch, lanciert geschickt Indiskretionen, verkauft, wie man im Französischen sagt, „die Haut des Bären, bevor er ihn erlegt hat“, und gibt sich vor Marlene mal überehrgeizig, aber auch leicht eingeschüchtert. Und es ist einer der wenigen Momente, wo Brühls Lagerfeld hauptsächlich Deutsch redet, nur selten ins Französische wechselt, wenn Marlene Dietrich/Sunnyi Melles es auch tut.

Daniel Brühl erweist sich als Idealbesetzung

Ansonsten hat sich Karl Lagerfeld längst Paris, den Clubs, den Partys, dem schönen Schein angepasst und ist ein Teil davon. Deutsch redet er höchstens, wenn er seine Façon verliert, kurz Schimpfwörter ablässt, oder in seiner riesengroßen Wohnung mit Mutti. Denn der fast 40-Jährige lebt zusammen mit seiner Mutter, die von Lisa Kreuzer präzise, hanseatisch kühl und sehr überzeugend verkörpert wird. Daniel Brühl ist sprachlich versiert, auch im Französischen mit deutschem Akzent. Er vermag es gut, das Kauzige der Figur zu treffen und ist für diese französische Prestigeproduktion von Disney ideal gecastet.

Erzählt werden die sechs Episoden rein chronologisch und spielen zwischen 1972 und 1981. Der Titel „Becoming Karl Lagerfeld“ führt dabei eher in die Irre. Denn Lagerfeld ist schon wer, wenn man ihm erstmals in einem Pariser Nachtclub begegnet. Er kleidet sich auffällig im ausgefallenen Anzug mit langen Stiefeln, trägt eine Sonnenbrille und Vollbart und die Haare noch halblang. Er verkehrt in den gleichen Clubs und Edelrestaurants wie Yves Saint Laurent und dessen rechte Hand und Liebhaber Pierre Bergé (genial bösartig: der grandiose Alex Lutz). Was die Serienschöpfer jedoch betonen, ist, dass Lagerfeld seinerzeit für das Modehaus „Chloe“ arbeitet und dort nur Alltagsmode, also „Prêt-á-porter“, entwirft. Seine Chefin Gabrielle Aghion hat das Sagen, und sie kann mit Haute-Couture absolut nichts anfangen. Agnès Jaoui spielt diesen Gegenpol zu König Karl voller Empathie und brilliert in einem insgesamt herausragenden Schauspielensemble.

Lust, Intrigen und Mode

Die heimliche Hauptfigur ist derweil eigentlich Lagerfelds langjähriger, viel jüngerer Geliebter Jacques de Bascher, ein hübscher Gigolo aus reichem Haus, der aus der Provinz kommt und versucht, Lagerfeld nach allen Regeln der Liebeskunst zu verführen. Théodore Pellerin spielt ihn mit seinen feinen schmalen Gesichtszügen und dem koketten Oberlippenbart sensationell zwischen Arroganz und Verletzlichkeit. Jacques und Karl sind nicht nur äußerlich ein ungleiches Paar. Jacques will den Rausch, Sex und das pralle Leben voller Alkohol und Drogen. Karl Lagerfeld ist ein Asket, der sich höchstens einmal gierig Törtchen und Süßigkeiten in den Mund stopft. Er hält Jacques zwar aus, kauft ihm eine Wohnung und gibt ihm laufend Geld, hat aber nie Sex mit ihm. In einer einzigen, intimeren Szene wird Lagerfeld als prüde, überfordert, verliebt, aber auch asexuell dargestellt. Jacques verführt aus Rache und Eifersucht dann Yves Saint Laurent, der sich leidenschaftlich in den jungen Mann verliebt, ja ihm völlig verfällt.

Eye Candy

Und so steht in dieser Biopic-Miniserie voller Ellipsen in erster Linie das Sexleben im Mittelpunkt und die vielen durch Rache angetriebenen Intrigen, die Lagerfeld anzettelt, um seinen Komplex gegenüber der Haute Couture auszugleichen. Das ist zugegebenermaßen alles etwas oberflächlich, aber flott und elegant inszeniert und wunderbar ausgestattet – man sieht der Serie an, dass Geld keine Rolle spielte.

Inszeniert haben das Ganze mit dem Regisseur Jérôme Salle und der Regisseurin Audrey Estragou zwei Filmemacher mit sehr unterschiedlichen Handschriften. Der 57-jährige Jérome Salle - der gutes Genrekino wie die ersten beiden „Largo Winch“-Filme ebenso beherrscht wie das klassische Biopic in „Jacques- Der Erfinder der Ozeane“ – ist stilistisch ein versierter Handwerker. Die hierzulande unbekannte Audrey Estrougo (Jahrgang 1983) hat sich mit Frauenporträts und tiefgründigen Stoffen einen Namen gemacht. Sie setzt in ihren Folgen von „Becoming Karl Lagerfeld“ eher auf die Nuancen der meist vielschichtig angelegten Charaktere.

Das Kreative kommt zu kurz

Was bei diesem Biopic leider auf der Strecke bleibt, sind indes die Mode, die Kreativität Lagerfelds und das Künstlerische: wie man Mode entwirft und herstellt und über welches Genie und Können Karl Lagerfeld offensichtlich verfügte, um zu einem der ganz Großen der Modebranche zu werden. Und je länger die Serie andauert, umso machiavellistischer wird die Hauptfigur angelegt, was es dann auch Daniel Brühl zunehmend schwieriger macht, mit differenzierten Auftritten so zu glänzen wie in den ersten Folgen. Als Zuschauer fühlt und leidet man mehr mit der tragischeren Figur von Jacques de Bascher. Treffender – und auch reißerischer – wäre vielleicht der Serientitel „König Karl und sein Gigolo - Eine ungleiche Liebe“ gewesen.

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