Drama | Großbritannien/USA 2024 | 320 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Lucy Forbes

Ein gefeierter Puppenspieler aus New York verliert die Kontrolle über sein Leben, als sein kleiner Sohn verschwindet. Um seiner Verzweiflung Herr zu werden, glaubt er nach der Skizze seines Sohnes eine blaue Monsterpuppe bauen zu müssen, damit das Kind wieder zurückkommt. Auch ein Polizist, der nach verschwundenen Kindern fahndet, kämpft mit den Auswüchsen und Abgründen der riesigen Stadt, die in den 1980er-Jahren in Elend und Gewalt zu versinken droht. Die thrillerhafte Serie spielt raffiniert mit der Ambivalenz von Angst und Hoffnung und skizziert ein nuanciertes Zeitporträt, in dem sich verdrängte Themen wie Homophobie, Rassismus oder Ausgrenzung nicht weiter ausschließen lassen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ERIC
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Atlantic/Little Chick/Netflix/Sister
Regie
Lucy Forbes
Buch
Abi Morgan
Kamera
Benedict Spence
Musik
Keefus Ciancia
Schnitt
Peter Oliver · Dan Gage · Selina Macarthur
Darsteller
Benedict Cumberbatch (Vincent Anderson) · Gaby Hoffmann (Cassie Anderson) · McKinley Belcher III (Detective Michael Ledroit) · Dan Fogler (Lennie) · Clarke Peters (George Lovett)
Länge
320 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie
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Sechsteilige Serie um einen virtuosen Puppenspieler aus New York, der die Kontrolle über sein Leben verliert, als sein kleiner Sohn verschwindet.

Diskussion

Jeder, der als Kind beim Kasperletheater mitfieberte, weiß darum, dass die Magie des audiovisuellen Erzählens darin begründet liegt, dass man wider besseres Wissen glaubt und befürchtet, dass diese Wesen da vorne lebendig sind. Auch dann, wenn die Puppenspieler dahinter zu erkennen sind: Papa, das alte Monster.

Der Satz „Beweise den Leuten von der Presse, dass du nicht tot bist“ fällt deshalb nicht umsonst gleich zu Beginn von „Eric“. Die Miniserie erzählt nur auf der konventionellen Krimi-Ebene vom Verschwinden eines Kindes und der Frage, ob es lebt. Eigentlich aber geht es um mehr oder weniger reale Ungeheuer und deren verschiedene Facetten des Belebtseins; um die Hoffnung und die Furcht, dass das, was da vorne, da oben, da unten im Verborgenen einer Stadt oder einer Seele vor sich hin grunzt, höhnt und zupackt, leibhaftig Gestalt annimmt.

Zwei konträre Protagonisten

Für die thrillerhafte Aufdröselung dieser Ambivalenz aus Angst und Hoffnung fährt „Eric“ zwei einander komplementäre Protagonisten auf. Benedict Cumberbatch verkörpert den Puppenspieler Vincent Anderson als einen von sich und seinem Genie überzeugten Künstler während der 1980er-Jahre in New York: raumgreifende Brille, halbgepflegter rötlicher Bart, spätstudentischer Knitterlook, aufbrausend grenzverletzendes Verhalten. Alles an McKinley Belcher III hingegen, der als Detective Michael Ledroit im Fall um Vincents verschwundenen Sohn ermittelt, wirkt hochkontrolliert, zurückgenommen und vornehm. Bis kurz vor Schluss.

Bei Ledroit wird bald offenbar, warum seine Sicherheit von Anfang an fragil wirkt. Gäbe er offen zu, schwul zu sein, hätte er ein Problem mit seinen homophoben Kollegen; deshalb weiß auch niemand von seinem an AIDS erkrankten Partner, den er bis zuletzt pflegt. Wenn er als Ermittler durch den Nachtclub streift, mag ihm sein Status als Officer zwar einen gewissen Schutz geben. Doch seine Vergangenheit bei der „Sitte“ und seine Nähe zum halb geläuterten Clubbetreiber Gator (Wade Allain-Marcus) machen ihn angreifbar.

Nur Vincents Frau Cassie (Gaby Hoffmann) bleibt überraschend eindimensional auf die Schmerzensfrau reduziert. Mit flehentlich erhobenen Augenbrauen bangt sie um ihr Kind und verzweifelt an Vincent. Das Paar wirft einander wieder einmal unschöne Sätze an die Lockenköpfe, als sich der stille, neunjährige Sohn Edgar (Ivan Morris Howe) dann eben allein auf den Schulweg macht. Als er nicht zurückkehrt, bricht Panik aus.

Monster allerorten

Das darf natürlich alles nicht wahr sein. Vincent, gewohnt, das Puppenspieler-Team seiner berühmten TV-Show „Good Day Sunshine“ unter Kontrolle zu haben, gerät anfangs selbst kurz in Verdacht und dann völlig aus dem Ruder. Den Satz, Edgar möge beweisen, dass er nicht tot sei, spricht er auf einer Pressekonferenz in die Fernsehkameras. Die scheinen ihm ohnehin vertrauter als Edgar selbst.

„Eric“ mag auf den ersten, plot-fixierten Blick ein brav geschriebener Thriller sein, doch Drehbuchautorin Abi Morgan und Regisseurin Lucy Forbes nehmen sich in aller Sorgfalt das Motiv des Puppenspiels vor und verknüpfen es auf kluge Weise mit den politischen und sozialen Verwerfungen eines fast schon unheimlich realistischen 1980er-Jahre-New York. Auch sie haben mit der Serie eine Art Monster erschaffen.

Kaputtheit und Bedrohlichkeit der Stadt bei gleichzeitiger Beschwörung einer heilen und lukrativen „Good Day Sunshine“-Show-Welt lassen sie geschickt durch alle Ebenen der Erzählung sickern. Bis ganz hinunter zum Müll, zum Entsorgten und den Vergessenen in den U-Bahn-Schächten. Durch diese Ebenen kriecht auch die Angst, die Vincent in den Wahnsinn und wie einen modernen Orpheus in die Unterwelt treibt. Und so wandert auch eine Sprache der Gewalt durch die Sphären: vom bürgerlichen Ehepaar herausgeschleudert, vom Sohn aufgeschnappt und dem von ihm ersonnenen Monster Eric untergeschoben.

Sterne unter der Erde

Wie ein Walter White im Endstadium totalen Selbstverlusts stürzt sich Vincent in seine fixe Idee: Er glaubt, dass er nach den bisher nicht weiter beachteten Skizzen seines zeichnerisch begabten Sohnes die Monsterpuppe Eric bauen muss, damit Edgar zurückkommt. Doch während in „Breaking Bad“ die Besessenheit Whites sich erst relativ spät von der Ursprungsidee, seine Familie zu retten, ins Wahnsinnige verselbständigt, dreht Vincent schnell und glaubhaft durch. Oder ist doch etwas dran an seiner Idee?

Das Psychiatrische und das Ökonomische fallen dabei in eins. Es gibt nämlich kein Entrinnen aus der gemeinhin als vernünftig geltenden Marktlogik. Denn zufällig braucht auch die Puppen-Show dringend eine neue Figur. Das haben die Zielgruppenforscher herausgefunden, was wiederum Vincent mit offener Verachtung kontert. Ein hyperaktiver Maulwurf soll es richten. Der spöttischen Befragung durch Vincent bei einer Probe hält die Figur nicht lange stand: Warum er nachts und unter der Erde lebe, will Vincent wissen. „Weil man da die Sterne sieht!“ Vincent: „Unter der Erde sieht man keine Sterne.“ Der betrunkene Fantast sieht das ganz nüchtern.

Ein paar Wodkaflaschen später nimmt Monster Eric tatsächlich Gestalt an. Als Vincents (und unsere) Halluzination: ein weiß-blau gestreiftes, schwerfälliges Zwei-Meter-Fellmonster mit kleinen Hörnern, großem Maul und langem Schweif. Eric wird zu Vincents unsichtbarem Begleiter, doch er ist kein wohlwollender Freund, sondern spuckt mit dröhnender Stimme Beschimpfungen und Verächtlichkeiten aus. Die kennt Vincent von seinem Vater, einem hartherzigen Immobilienmogul. Könnte es sein, dass auch er selbst seinem Sohn gegenüber so ein Monster ist?

Das dunkle Spiegelbild der Stadt

Ganz ohne Pathos kommt die Serie nicht aus; auch der obligatorische Liebes-, Reue- und Bekenntnismoment in aller Öffentlichkeit muss natürlich sein. Doch zu den schönsten Einfällen der Macherinnen gehört, dass es zwei Versionen von Eric gibt: den nur für Vincent (und uns) sichtbaren, den der zunehmend verwahrloste Künstler vor den irritierten Blicken der Umstehenden anschreit; und das harmlose Kinderschreck-Kostüm, das nach Vincents Rausschmiss die Kollegen für die Show bauen und das lächerlich unecht aussieht. Als wäre Vincents Einbildung die echtere Künstlichkeit.

Abi Morgan und Lucy Forbes lassen diese Geschichte in einem New York spielen, das sein eigenes, dunkles Spiegelbild nicht wahrhaben will und das zugleich aufs Obszönste vom Elend profitiert; wie die gigantische Müllhalde, auf der Detective Ledroit und die Mutter eines anderen verschwundenen Kindes einmal stehen. Adepero Oduye spielt die Mutter eines 14-Jährigen, dessen Schicksal lange niemanden interessierte, offenbar, weil er schwarz war. Weil diese Stadt samt Unterwelt nicht Kulisse bleibt wie die pastellfarbenen New-York-Bilder in der Puppenshow, nimmt man der Serie auch Sätze wie den des Hausmeisters (Clarke Peters) ab: „Man muss sie im Griff haben, die Finsternis, sonst verschlingt sie einen.“

Seine ungeheure Spannung bezieht „Eric“ zum großen Teil aus den Verhältnissen der Charaktere zueinander und zu ihren jeweiligen Monstern im Keller; etwa der Frage, ob der Satz, dass jemand Kinder liebe, seine unschuldige Bedeutung für immer verloren hat. So ist „Eric“ auch ein nuanciertes Zeitporträt, das Homophobie, Rassismus und Ausgrenzung, all das Verdrängte und den Müll den Verantwortlichen der Stadt vor den Latz knallt. Erst spät wird sich die Wut des stillen, schwarzen, schwulen Ermittlers Bahn brechen, und es ist keine hysterische, sondern eine kraftvolle, zielgerichtete Wut, die alles aus den Angeln und an den richtigen Platz hebt.

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