Drama | Niederlande 2024 | 101 Minuten

Regie: Jos Stelling

Ein kleiner Junge lebt in seiner eigenen Welt und spricht nur selten ein Wort. Als er als junger obdachloser Mann einer russischen Ex-Ballerina begegnet, scheint sich ein tröstendes Märchen zu bewahrheiten, das ihm seine Mutter immer erzählte. Gemeinsam mit ihr beginnt eine Reise mit vielen Hindernissen und wundersamen Vorkommnissen. In poetischen Schwarz-weiß-Bildern, mit wenigen Worten und viel Musik erzählt das episodische Drama eine etwas aus der Zeit gefallene Geschichte über das Wunder, die Tragik und die Absurdität des menschlichen Daseins. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DE DANS VAN NATASJA
Produktionsland
Niederlande
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
FATT Productions/Jos Stelling Films/Ma.ja.de
Regie
Jos Stelling
Buch
Jos Stelling · Bert Rijkelijkhuizen
Kamera
Goert Giltay
Schnitt
Bert Rijkelijkhuizen
Darsteller
Anastasia Weinmar (Natascha) · Willem Voogd (alter Daantje) · Bram Reurink (junger Daantje) · Hadewych Minis (Mutter von Daantje) · Gene Bervoets (Vater von Daantje)
Länge
101 Minuten
Kinostart
11.07.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Ein wundersames, in schwarz-weißen Bildern erzähltes Episodendrama über einen Sonderling und eine russische Ex-Ballerina.

Diskussion

Seit Daantje auf der Welt ist, heißt es, er sei „anders. Wirklich anders“. Schon bald reicht „anders“ nicht mehr aus. Jetzt heißt es, der Junge sei „nicht normal“. Dabei gibt es für seine Andersheit oder seine „Anormalität“ gar keinen Begriff. Auch die Ärzte wissen nicht weiter. Daantje scheint nicht der Welt anzugehören. Er bleibt für sich, spricht nur selten ein Wort und schaut hauptsächlich aus dem Fenster. Außerdem trägt er am Tag wie in der Nacht eine Mütze.

So völlig aus dem Nichts kommt seine Andersheit nun aber auch wieder nicht. Der Vater ist ein komischer Vogel, der seinen Sohn schon früh das Rauchen lehrt. Die Mutter kann sich nicht entscheiden, ob sie Daantje vor der bösen Welt beschützen oder seinem Schicksal überlassen soll. Einmal erzählt sie ihm ein Märchen von einem tanzenden Mädchen, das nur darauf wartet, von einem einsamen Jungen gefunden zu werden. Ein Versuch, das Kind zu trösten und es vielleicht doch noch zu so etwas wie einer Sozialisation zu bewegen.

Aus der Welt gefallen

Der niederländische Filmemacher Jos Stelling hat ein Faible für Sonderlinge. Seine Geschichten kreisen um Tagträumer und einsame Menschen und bemitleidenswerte Charaktere, die in gänzlich wortlosen Erzählungen auf Mimik und Körpersprache zurückgeworfen sind. Im Kino ist Stelling, der 1945 als eines von neun Geschwistern geboren wurde, selbst eine Außenseiterfigur: ein Autodidakt, der aus der Wirklichkeit hinausgewehte Filme in Schwarz-weiß dreht, meist ganz ohne Dialog und voller Situationskomik. Auch „Nataschas Tanz“ ist ein etwas aus der Welt gefallenes skurriles Märchen über das Wunder, die Tragik und die Absurdität des menschlichen Daseins. Es ist sein erster Film nach einer zehnjährigen Pause.

Die Männer im Film sind allesamt um ihre (gesprochene) Sprache gebracht. Daantje kommuniziert hauptsächlich durch sein ernstes Kindergesicht; manchmal beißt er unliebsamen Erwachsenen auch in die Hand. Der Vater hat fast immer eine Zigarre im Mund und hört ununterbrochen Opern. Und den Priestern in der Klosterschule, in die der kleine Junge schließlich abgeschoben wird, dreht Stelling einfach das Wort ab. Er übertönt sie mit lauter Musik, weshalb man nur noch ihre wild fuchtelnden Bewegungen sieht. Die Sprache gehört in „Nataschas Tanz“ den Frauen.

Als erwachsener Mann und obdachloser Waise, um den Hals ein Stoffsack mit den Erinnerungsstücken an seine Kindheit und an die verstorbene Mutter, ist Daantje im Grund noch immer das Kind von damals. Sogar dieselbe Strickmütze sitzt noch immer auf seinem Kopf. Erst die Begegnung mit Natascha, einer russischen, von vielen Männern übel behandelten Ex-Ballerina, setzt seinem solitären Dasein ein Ende. Ein bisschen wie in Chaplins „The Kid“ trottet Daantje der von einer dramatischen Aura umgebenen Gestalt hinterher, in der sich die Geschichte der Mutter zu bewahrheiten scheint. Wann immer Natascha in eine missliche Lage gerät, ist er wie vom Himmel gefallen an ihrer Seite. Und auch als sie beschließt, an den Ort ihrer glücklichen Kindheit zurückzukehren: zur Datscha ihrer Großmutter, fernab der Zivilisation. Daantje schließt sich ihr ungefragt einfach an.

Tragische und komische Begebenheiten

Erzählt wird diese Geschichte als eine Verkettung von traurigen und komischen Begebenheiten, Hindernissen, Aufgaben und Lösungen. Ein Stationendrama mit expressiver Gestik und viel Musik: Chopin, Puccini, Tschaikowski, Rachmaninow, Satie. Die Schwarz-weiß-Bilder sind elegant, in ihrem Kunstwillen aber fast ein wenig klassisch. Nichts drängt sich auf.

„Nataschas Tanz“ könnte leicht Gefahr laufen, Daantje zum „Anderen“ der Gesellschaft zu machen, zum Antagonisten der Disziplinarmacht, der männlichen Gewalt oder überhaupt allem Schlechten in der Welt. Doch sowohl die Figur als auch der Film entziehen sich immer wieder dem Zugriff und der Projektion. Stelling bewegt sich ganz abseits von Diskursen, Trends und (Arthouse-)Moden; sein Stil ist gleichzeitig zeitlos wie auch ein wenig „altmeisterlich“. Alles ist von einer ausgestellten Dramatik und gleichzeitig leicht und nicht wirklich ernst. Und auch die „Liebesgeschichte“ zwischen dem jungen Mann und Natascha ist auf keinen Begriff zu bringen. Am Ende des Films weiß man immer noch nicht, wer oder was dieser Daantje eigentlich ist.

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