Die vielen Gesichter des Peter O'Toole
Dokumentarisches Porträt | Irland 2022 | 88 Minuten
Regie: Jim Sheridan
Filmdaten
- Originaltitel
- PETER O'TOOLE: ALONG THE SKY ROAD TO AQABA
- Produktionsland
- Irland
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Abacus Media Rights/Matter of Fact Films
- Regie
- Jim Sheridan
- Buch
- Catriona Rogan
- Kamera
- Kevin Cantrell · Anthony Brown
- Musik
- Hugh Drumm
- Schnitt
- Tom O'Flaherty
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarisches Porträt | Künstlerporträt
- Externe Links
- IMDb
Vielschichtige Dokumentation über das Leben und das künstlerische Werk des britischen Schauspielers Peter O’Toole.
Ein Haus in der irischen Einöde zu besitzen, ergibt für einen Künstler durchaus Sinn. Doch dem Regisseur John Hampton in der Erzählung „Banshee“ von Ray Bradbury geht es nicht um Ruhe oder eine Rückkehr zu seinen irischen Wurzeln. Er genießt es vielmehr, wie sehr ihm Besucher in der Abgeschiedenheit ausgeliefert sind. So erlebt es ein junger Autor, den Hampton eingeladen hat, um sich auf seine Kosten zu amüsieren. Nonchalant und unnachgiebig verspottet er den Schriftsteller – bis der gedemütigte Autor den Regisseur in die Arme der titelgebenden Todesfee treibt.
Es ist kein Geheimnis, dass Bradbury mit der Figur des Regisseurs auf John Huston abzielte, doch ebenso leicht lassen sich in John Hampton reale Züge des Schauspielers finden, der die Rolle in der Verfilmung für die Fernsehserie „Bradburys Gruselkabinett“ (1986) übernahm. Peter O’Toole nimmt den Auftritt zum Anlass für eine von Schalk und Sadismus sprühende Darstellung eines Despoten, der um seine Theatralität nur allzu sehr weiß und sie in Wort wie Gestik großspurig auswalzt.
Ein unberechenbarer Schauspieler
Es ist eine Darbietung so recht nach dem schauspielerischen Selbstverständnis des Mimen, wie in dem dokumentarischen Porträt „Die vielen Gesichter des Peter O’Toole“ von verschiedenen Seiten bezeugt wird. In dem ein Jahrzehnt nach O’Tooles Tod entstandenen Film beschreibt etwa Kenneth Branagh seine Wahrnehmung des berühmten Kollegen: „Wenn O’Toole spielte, musste man mit allem rechnen.“ Und Brian Cox benennt in O’Tooles „konsequenter Inkonsequenz“ einen Unruhefaktor, der zugleich eine besondere Qualität ausmachte: „Er war unberechenbar.“
In seinem ersten Dokumentarfilm legt es der irische Regisseur Jim Sheridan, von dem Filme wie „Mein linker Fuß“ und „Im Namen des Vaters“ stammen, auf ein möglichst umfassendes Persönlichkeitsbild von Peter O’Toole an. Der Rückgriff auf Gewährsfrauen und -männer, durch deren Aussagen die Persönlichkeit Gestalt annimmt, entspricht zwar den Konventionen des Dokumentarfilmgenres, doch bemüht sich Sheridan um ein kluges Arrangement der Wortbeiträge.
Widersprüche greift er dabei dankbar auf, angefangen beim Irland-Aspekt. Bis zu seinem Tod bekräftigte Peter O’Toole höchstpersönlich die Legende seines irischen Geburtsortes, während seine Eltern in Wahrheit schon nach England ausgewandert waren, als er 1932 in Leeds zur Welt kam. Bei seinem Eintritt in die Royal Academy of Dramatic Art in den 1950er-Jahren verfügte er noch über einen kräftigen Yorkshire-Akzent.
O’Toole selbst bediente sich in seiner Autobiografie eines hochironischen Tonfalls, um seine Anfänge zu beschreiben, und Sheridan nutzt einige Passagen daraus, um den Porträtierten auch selbst zu Wort kommen zu lassen. Den überwiegenden Teil des Films gestaltet er jedoch mittels der Perspektiven von Weggefährtinnen und -gefährten des Schauspielers, ergänzt um Fotos, Film- sowie Theaterausschnitte. Zwar soll wohl auch die Legende gestreift werden, doch Sheridan wagt sich an die durchaus schwierige Aufgabe heran, sich dem „wahren“ Künstler anzunähern.
Die Unwägbarkeiten der Existenz
Dazu dienen zunächst die unbestreitbaren Fakten: ein rascher Aufstieg am Theater mit gefeierten Auftritten in klassischen wie modernen Stücken von „Hamlet“ bis „Look Back in Anger“. Die ersten Schritte im Film, der frühe Traumpart als „Lawrence von Arabien“, der Peter O’Toole Weltruhm beschert. Weitere Kino- und Theatererfolge in rascher Fortsetzung. Daneben stehen aber auch berufliche Rückschläge, die der Film nicht ausklammert, etwa ein Karriereknick unmittelbar vor „Lawrence“ oder auch ein völlig missglückter „Macbeth“, bei dessen Aufführung O’Toole unübersehbar schwer angetrunken war.
Das langjährige Alkoholproblem des Schauspielers spielt in viele der Wortbeiträge hinein, erscheint bei Sheridan aber facettenreich. Neben der launigen Anekdote, wie O’Toole und sein Trinkkumpan Peter Finch eines Nachts einen Pub kurzerhand kauften, um nicht vor die Tür gesetzt zu werden, stehen Beobachtungen von Filmpartnern, dass der Schauspieler sich bei Dreharbeiten Nüchternheit verordnen konnte, aber auch die negativen Effekte regelmäßiger Trunkenheit, wie sie Ehefrau und Kinder aus erster Hand erlebten.
O’Tooles Ex-Frau Sian Phillips steuert einiges zum Bild eines wenig sensiblen Ehemanns bei, angefangen bei den Umständen ihrer Trennung nach zwanzig Ehejahren. Phillips geht es aber nicht um eine späte Abrechnung, da sie zugleich ihre Zuneigung bekräftigt. Woran nicht einmal sein erratisches Benehmen bei den Dreharbeiten von „Goodbye, Mr. Chips“ etwas geändert hat, bei dem er mit seiner Frau nicht gemeinsam vor der Kamera agieren wollte – eine Form von Konkurrenzneid, die für O’Toole keineswegs bestimmend gewesen zu sein scheint. So schildert seine zweite Partnerin aus „Goodbye, Mr. Chips“, Petula Clark, die Zusammenarbeit als hocherfreulich. Ähnlich äußern sich Anthony Hopkins und Jane Merrow über die darstellerischen Erfahrungen bei „Der Löwe im Winter“, bei denen beide O’Toole als hilfsbereiten Mentor erlebten. Über diese Informationen rundet sich Sheridans Porträt mehr und mehr zu dem eines Schauspielers mit sicheren Instinkten und hohen Ansprüchen, zu denen auch gehörte, aus seinen Spielpartnern das Beste herausholen zu wollen – sofern seine Schwächen und menschlichen Defizite ihm und den anderen keinen Strich durch die Rechnung machten.
Analyse geht vor Anekdoten
„Die vielen Gesichter des Peter O’Toole“ ist als dokumentarische Annäherung an einen schillernden Vertreter der Schauspielkunst angemessen vielschichtig, zumal Sheridan der Analyse (meist) den Vorzug vor der Anekdotenhaftigkeit gibt. Filmschauspielerischen Meilensteinen wie der strahlenden Aura von T.E. Lawrence, den Fürsten in „Becket“ und „Der Löwe im Winter“ oder auch dem übergeschnappten Adligen in „The Ruling Class“ räumt der Dokumentarfilm ausführlichen Platz ein, wie auch den Theatertriumphen, trotz der naturgemäß schlechteren Ausgangslage beim Archivmaterial.
Alle interessanten Aspekte eines Lebens in 90 Minuten zu packen, gelingt aber auch Sheridan nicht. So ergeben sich durchaus Leerstellen bei bestimmten Rollengruppen – Peter O’Tooles komisches Talent oder seine Abstecher ins Musicalgenre werden beispielsweise nur sehr knapp gestreift – oder fast allen späteren Filmauftritten, die von „Der lange Tod des Stuntman Cameron“ bis „Venus“ durchaus erinnerungsträchtig ausfallen konnten. Auch vermisst man eine Betrachtung, die über die Rückschau von O’Tooles Zeitgenossen hinausgeht. Etwa wie das Urteil heutiger Darsteller über die Kunst und die Eigenarten ihres berühmten Kollegen ausfallen.
Was der Film aber erreicht, soll nicht heruntergespielt werden. Aus den zahlreichen Fäden, die Sheridan in die Hand nimmt, entsteht ein dichtes Gewebe; das Persönlichkeitsbild von Peter O’Toole steht am Ende auf einem sicheren Fundament. Und die neue Gewissheit über das Überraschungselement seines Spiels drängt einen frischen Blick auf seine Auftritte geradezu auf. Wer sagt denn, dass es mit dem Regisseur in „Banshee“ unbedingt ein übles Ende genommen hat? Vielleicht ist O’Tooles Figur dem Kuss der Todesfee ja entgangen, hat sie mit ihrem Charme bezirzt und ist mit ihr in die irische Nacht hineingetanzt? So vielfältig der Schauspieler, so unbegrenzt die Möglichkeiten.