Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 108 Minuten

Regie: Sara Summa

Ein Geschwisterpaar begibt sich mit einem zweijährigen Kind im Auto des verstorbenen Vaters auf einen Roadtrip von Berlin nach Paris und weiter nach Südtirol. Zwischen Geplänkel und Gezänk bleibt dabei reichlich Zeit für Essenspausen. Andere Abwechslungen sind die Begegnung mit einer Anhalterin, eine Auseinandersetzung mit der Polizei und eine Party. Das verspielte Road Movie trägt autofiktionale Züge und kontrastiert die räumliche Begrenzung im Auto wie auch die familiäre Enge mit einer Fülle gegenläufiger Erfahrungen und Momente. Turbulente, eskalierende Szenen existieren dabei im Zusammenspiel mit alltäglichen Passagen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
DFFB
Regie
Sara Summa
Buch
Sara Summa
Kamera
Faraz Fesharaki
Schnitt
Sara Summa
Darsteller
Robin Summa (Arthur) · Sara Summa (Diana) · Lupo Piero Summa (Lupo ) · Livia Antonelli (Zora ) · Claire Loiseau (Betty )
Länge
108 Minuten
Kinostart
26.09.2024
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Drama | Road Movie
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Autofiktionales Road Movie um einen Bruder und seine Schwester, die zusammen mit einem kleinen Kind im Auto von Berlin nach Paris und weiter nach Südtirol fahren.

Diskussion

An dem ollen, rostigen hellgelben Auto, einem Renault Espace, hängt mehr als die Erneuerung einer längst abgelaufenen Zulassung. Die Geschwister Arthur und Diana plus ihr kleiner Sohn Lupo im Kindersitz auf der Rückbank sind noch nicht lange unterwegs, und schon wandern Dianas Gedanken in die eigene Kindheit. Sicher habe sie sich hinten gefühlt „mit den Kissen und dem ganzen Zeug“, aber eben auch bereit für Abenteuer. In dem autofiktionalen Road Movie von Sara Summa geht es also nicht nur im Sinne des Genres um Bewegung. Das Auto, so erfährt man später, gehörte dem mittlerweile verstorbenen Vater.

„Arthur & Diana“ ist Summas zweiter Film nach ihrem Debüt „Die Letzten, die sie lebend sahen“. Die französisch-italienische Regisseurin und ihr Bruder Robin spielen das Geschwisterpaar als leicht übersteuerte, in die Fiktion (und Komödie) weitergesponnene Versionen ihrer selbst, Lupo ist auch im realen Leben Summas Sohn.

Ein Film des Innenraums

Der Roadtrip führt von Berlin nach Paris und weiter nach Südtirol. Nur selten gehen die Blicke nach draußen, ins Offene und Weite. „Arthur & Diana“ ist eher ein Film des Innenraums. Summa hat sichtbar Freude daran, die räumliche Enge mit Fülle, Überfluss und Verschwendung zu kontrastieren. Praktisch unaufhörlich wird geredet, meist Französisch, dazwischen ein paar Sätze Deutsch, später auch Italienisch. Auch das Auto wird zugestopft: mit einem Haufen Junkfood und anderem Geraffel, bis irgendwann der Buggy nicht mehr reinpasst und die Fahrt mit offenem Kofferraum fortgesetzt werden muss. Außerdem schiebt sich Diana, die meist irgendwelche Ringe und Klunker an den Ohren hängen hat, ständig etwas in den Mund: Chips, Bonbons, Spaghetti, Wackelpudding oder Parmesanstücke, die sie sich mit einem Messer von einem riesigen Käselaib herunterschneidet.

Der eigentliche Ballast aber sind nicht die Taschen und Tüten oder Dianas überdimensionaler Sonnenhut und die sperrige Landkarte, die sie auf ihrem Schoß ausgebreitet hat. Sondern die zwischen den Geschwistern schwelenden und sich teils heftig entladenden Spannungen. Es braucht nur Kleinigkeiten, um sie zu entfachen; ein kritischer Kommentar zum Fahrstil, eine andere Position in weltanschaulichen Fragen: digital oder analog? Sind Polizisten auch Menschen oder Komplizen systemischer Gewalt?

Konflikte & Projektionen

Zum Vorschein kommen auch weit zurückliegende, mehr angedeutete als ausgespielte Konflikte und falsche Projektionen auf das vermeintlich freiere, abenteuerlichere und viel schönere Leben des anderen. Die eigene Wirklichkeit reibt sich aber nicht nur am Gegenüber, sondern auch an den Bildern der eigenen Kindheit, in der man sich die Zukunft noch in den schillerndsten Farben ausmalte.

„Arthur & Diana“ ist ein Film mit bunten, stark gesetzten Gelb- und Rottönen, deren sommerliche Wärme stets an der Kippe zum Schrillen steht. Summa und ihr Kameramann Faraz Fesharaki, haben mit Videokameras aus den 1990er-Jahren und auf 16mm gedreht, am Ende wurden die Formate gemischt und auf 16mm kopiert.

Es gibt viel Bewegung im Bild, die Kamera ist nahe an kauenden Mündern, vor Wut blitzenden Augen und im Gesicht verschmierter Wimperntusche. Bei aller Nähe zur Bildsprache und Ästhetik von Cinéma vérité und des Home Movie wirkt dennoch nichts zufällig. Einige Male gibt es lange statische Einstellungen oder Schnittfolgen, in denen der Blick ganz dem Außenraum gilt. Die Figuren sind aus dem Bild verschwunden, aber sie reden weiter; ihr Dialog ist lediglich ins Off verschoben.

Stationen auf der Reise sind Raststätten, an denen noch mehr schlechtes Essen konsumiert und eine Anhalterin aufgegabelt wird, ein See oder ein Waldstück, wo man im Zelt die Nacht verbringt, und ein etwas märchenhafter Geocoaching-Spot. Neben einer ausschweifenden Party und einer Autopanne erwartet die Geschwister außerdem eine aufgedrehte Mutter; nun wundert man sich nicht mehr, wo die aufbrausenden Temperamente und die Kultur des Unfriedens herkommen.

Zwischen Ruhe und Reizen

Die turbulenten, eskalierenden Szenen existieren dabei stets im Zusammenspiel mit alltäglichen Passagen, in denen einfach nur ein bisschen geplaudert, gegessen und mit dem Kind gespielt wird. Arthur und Diana sind bei aller Dysfunktionalität eben auch ein gutes, vertraut miteinander umgehendes Team. Von absoluter Gereiztheit können beide mühelos in das gemeinsame Schmettern eines französischen Chansons umschalten.

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