Thriller | Großbritannien 2023 | 103 Minuten

Regie: Alice Troughton

Ein Nachwuchsautor arbeitet als Hauslehrer für den Sohn eines Starautors. Was harmlos beginnt, entwickelt sich zu einem Spiel aus Intrigen und Manipulation, denn der Herr des Hauses erweist sich als patriarchales Monstrum, das alle um sich herum aussaugt. Im Lehrer seines Sohnes findet er allerdings einen ebenbürtigen Gegner. Ein routinierter Thriller, der aber bereits früh die Karten auf den Tisch legt und seine Geschichte ohne Geheimnis und wirkliche Spannung vorantreibt. Die Figuren bleiben oberflächlich und ihre folgenreichen Entscheidungen oft kaum nachvollziehbar. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE LESSON
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Poison Chef/Jeva Films/Egoli Tossell/Bleecker Street/Constellation Productions
Regie
Alice Troughton
Buch
Alex MacKeith
Kamera
Anna Patarakina
Musik
Isobel Waller-Bridge
Schnitt
Paulo Pandolpho
Darsteller
Richard E. Grant (J.M. Sinclair) · Julie Delpy (Hélène Sinclair) · Daryl McCormack (Liam Somers) · Stephen McMillan (Bertie Sinclair) · Crispin Letts (Ellis)
Länge
103 Minuten
Kinostart
26.10.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Thriller
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Ein Thriller um einen jungen Autor und Hauslehrer bei einem berühmten Schriftsteller, der von seinem Idol zurückgewiesen wird und einen Racheplan entwickelt.

Diskussion

Liam (Daryl McCormack) sitzt auf der Bühne. Er ist zu Gast bei einer renommierten Gesprächsreihe zur Literatur der Gegenwart. Sein Debütroman ist soeben erschienen. Die Geschichte über einen strauchelnden Patriarchen, dem die Macht über seine von Trauer gezeichnete Familie entgleitet, wird von der Kritik regelrecht gefeiert. Das Rampenlicht gehört ganz dem Jungautor: Damit beginnt „The Lesson“, mit einem kurzen Epilog, der nicht unglücklicher hätte gewählt sein können, weil das Geheimnis dieses Thrillers, sein behauptetes Mysterium, vollständig ausgebreitet wird. Denn selbstverständlich ist der darauffolgende Sprung in die Vergangenheit die Erzählung über die Entstehung dieses Romans: Am Ende wird ein Patriarch gefallen sein.

Bevor es aber dazu kommt und Liam zum literarischen Jungstar avanciert, verdingt sich der enorm gebildete Hochschulabsolvent als Hauslehrer für die Reichen – auch, weil neben dieser Tätigkeit genug Zeit bleibt, um sich auf das Schreiben seines Romans zu konzentrieren. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, ist, in das Haus seines großen Idols, des renommierten Schriftstellers J.M. Sinclair (Richard E. Grant) eingeladen zu werden. Er soll dessen verschlossenen Sohn Bertie (Stephen McMillan) auf die Aufnahmeprüfung für die Universität vorbereiten.

Eisige Stimmung und Erwartungsdruck

Im Hause Sinclair herrscht jedoch eine eisige Stimmung, seit der ältere Sohn im See des Anwesens ertrunken ist. Seitdem ist die Beziehung zwischen J.M. und seiner Frau Hélène (Julie Delpy) mehr als angespannt, zumal der in die Jahre gekommene Schriftsteller mit seinem Arbeitsrhythmus, seinen Neurosen und Regeln alles bestimmt. Vor allem Bertie leidet unter dem enormen Erwartungsdruck, den sein Vater ihm auferlegt.

Auch Liam wird von dem herrischen Mann zunächst abgelehnt. Dann aber gelingt es dem Jungautor, sich das Vertrauen des großen Idols zu erarbeiten. Dessen Fassade hat zwar deutliche Risse abgekommen. Doch wer hat gesagt, Schriftsteller seien einfache Menschen – das Schreiben ist eine einsame und anstrengende Angelegenheit. 

Liam aber darf nun der erste Leser des neuen Romans des Meisters sein, dessen letzte Veröffentlichung bereits Jahre zurückliegt. Bald muss der gutmütige Mann mit Erschrecken feststellen, auf was er sich da eingelassen hat. Gekränkt durch das erratische Verhalten von Sinclair, der dem Hauslehrer das Talent zum Schreiben abspricht, entwickelt dieser einen Racheplan, ohne zu ahnen, dass er nur das fehlende Puzzlestück einer größeren Inszenierung ist: Jeder in dieser Familie hat seine eigene Agenda.

Figuren ohne Tiefe

Wie bereits angedeutet, macht „The Lesson“ den Fehler, weite Teile der Handlung bereits im Epilog zu verraten. Der Versuch, dennoch eine geheimnisvolle Atmosphäre aufzubauen, wirkt verkrampft: Sinclair wird stürzen, so viel ist klar. Natürlich ist er der Patriarch, von dem in den ersten Minuten die Rede ist. Leider will der Regisseurin Alice Troughton und ihrem Drehbuchautor Alex MacKeith aber auch ein fesselnd inszeniertes „Wie“ nicht wirklich gelingen. Dafür sind die Figuren zu sehr Klischee, bleiben oberflächliche Behauptungen, deren folgenreiche Entscheidungen oftmals kaum nachvollziehbar sind.

Das hat viel damit zu tun, dass sich „The Lesson“ keine Zeit nimmt, die Beziehungen zwischen den Charakteren zu entwickeln. Dabei gibt es gerade zwischen Liam und Bertie gute Ansätze, nämlich dann, wenn sich der Junge bei einer Zigarette im Garten zu öffnen beginnt. Ohnehin fühlt man sich – zumindest in diesen kleinen Momenten ­– an eine weniger sonnendurchflutete Variante von „Call Me by Your Name“ erinnert, bei dem sich Regisseur Luca Guadagnino ausgiebig Zeit nahm, um dem Verhältnis zwischen Armie Hammer und Timothée Chalamet ein eigenes Gefühl zu geben.

Bei „The Lesson“ verschwindet Bertie allerdings irgendwann nach London, während die Achse zu Sinclair in den Vordergrund rückt. Und auch der von Julie Delpy sehr unterkühlt angelegten Hélène wird ein Verhalten auferlegt, das sofort als Kalkül entlarvt werden kann. Die Figuren haben nur dem Drehbuch zu dienen, sind Funktionen der Geschichte.

Ohne Skrupel auf die Schultern der Giganten

Dabei ist der thematische Kern des Films, der im Ansatz eine Metaerzählung über das Schreiben ist, durchaus vielversprechend. Sinclair folgt der Überzeugung, dass die ganz großen Autoren der Weltliteratur Diebe seien. Diese haben sich ohne Skrupel auf die Schultern der Giganten zu stellen – und zweifellos zählt sich Sinclair mittlerweile selbst zum festen Bestandteil der Literaturgeschichte.

Troughton und MacKeith spinnen aus diesem Diebes-Bonmot, das ursprünglich dem Munde des britischen Autors T.S. Eliot entstammt, dann aber einen letztlich banalen Racheplot, in dem das Verhältnis zwischen Fiktion und Wahrheit nie ausgelotet wird. Dabei hat Sinclair weit mehr gestohlen als bloß Motive oder stilistische Eigenheiten der schreibenden Kollegen. Jeder, der sich in die Nähe dieses Patriarchen begibt, wird ausgesaugt, benutzt und anschließend weggeworfen: Er verwandelt sich das Leben an. Und eben dies kostet ihn letztlich den Kopf. Nur ist das zu diesem Zeitpunkt bereits herzlich egal.

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