Dokumentarfilm | Dänemark/Deutschland 2023 | 103 Minuten

Regie: Lukasz Konopa

Im Mai 2021 wurde der ehemalige ugandische Kindersoldat Dominic Ongwen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu 25 Jahren Haft verurteilt. Der präzise beobachtende Dokumentarfilm nutzt das Verfahren, um nach den Hintergründen der Gewalt in Uganda zu fragen, wobei auch die Verantwortung der ehemaligen Kolonialmächte ins Spiel kommt. Gerechtigkeit besteht demnach vielleicht nicht nur in der Übernahme individueller Verantwortung, sondern auch in Wegen, wie gesellschaftliche Wunden geheilt werden können. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THEATRE OF VIOLENCE
Produktionsland
Dänemark/Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Made in Copenhagen
Regie
Lukasz Konopa · Emil Langballe
Buch
Lukasz Konopa · Emil Langballe
Kamera
Kacper Czubak · Janis Mazuch · Elí Roland Sachs
Musik
Markus Aust
Schnitt
Michael Aaglund · Rasmus Stensgaard Madsen
Länge
103 Minuten
Kinostart
14.09.2023
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Präzise beobachtender Dokumentarfilm über einen Gerichtsprozess in Den Haag gegen einen vormaligen ugandischen Kindersoldaten, der ein kritisches Licht auf die Grundannahmen europäischer Rechtsprechung wirft.

Diskussion

Gespenstisch türmen sich Gewitterwolken über der afrikanischen Buschlandschaft. Während eines langsamen Kameraschwenks wandert der Blick vom entfernten Wetterleuchten zum schwelenden Feuer im Gestrüpp. Stimmen eines Kinderchors drängen leise ans Ohr, während die Flammen ausschlagen und zu einem verschlingenden Brand anwachsen. In sparsamen Einblendungen werden historische Schlaglichter gesetzt, um die Szene zu situieren. Wie viele andere Regionen im globalen Süden ist auch Uganda unter die koloniale Herrschaftspolitik des „Divide and rule“ geraten. 1885 teilten die Briten das ostafrikanische Land auf, unter völliger Missachtung gewachsener kultureller und ethnischer Trennlinien.

Ein Wissenschaftler aus Oxford erklärt diese Strategie der kalkulierten Selbstkannibalisierung mit der „Grasshopper Theory“. Wenn Heuschrecken zusammen in ein Glas eingesperrt werden, beginnen sie früher oder später, sich gegenseitig aufzufressen. In Uganda bezieht sich dieses Bild auf Verwerfungen, welche durch die Einpferchung lokaler Stämme in eine neu gegründete Nation mit künstlich gezogenen Grenzen entstanden sind. Die späte Unabhängigkeit hat nicht zur Auflösung dieser Konflikte geführt; das Spalten und Herrschen hat sich als Strategie der gewählten Regierung ebenfalls bewährt.

Im Fall von Uganda regiert Präsident Yoweri Museveni das Land seit 1986 in der Nachfolge des Diktators Idi Amin. Seine demokratische Legitimation war durch seine Miliz immer zweifelhaft, wie Wahlbeobachter berichten. Der von ihm unterdrückten Volksgruppe der Acholi ist schon ein Jahr nach seinem Amtsantritt ein Leviathan entsprungen, um sich dem Machthaber mit archaischer Gewalt entgegenzustellen. Die „Lord’s Resistance Army“ (LRA) rekrutiert sich aus Kindersoldaten, um diese mit fehlgeleiteten christlichen Heilslehren in sektiererischer Indoktrination zum Morden zu zwingen, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen.

Aus Opfern werden Täter

Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird ein Mitglied der „Lord’s Resistant Army“ für seine Verbrechen angeklagt. Der dänische Dokumentarfilmer Emil Langballe begleitet mit dem aus Polen stammenden Soziologen Lukasz Konopa diesen Prozess und überführt dabei das komplexe historische Setting in ein prägnantes Justizdrama.

Vom brennenden Busch der Eröffnungssequenz schneidet „Theatre of Violence“ nahtlos in den klinisch kühlen Gerichtssaal von Den Haag. Auf der Anklagebank sitzt der vormalige Kindersoldat Dominic Ongwen einem Ensemble von Juristen gegenüber, die ihn für über 70 verschiedene „Crimes against humanity“ zur Verantwortung ziehen wollen. In schwarzen Roben mit weißen Kragen blicken sie in die Bildschirme auf ihren Pulten, auf denen die Beweisführung in unterschiedlichen medialen Formen präsentiert wird. Das Gericht ist divers aufgestellt und wird von der gambischen Chefanklägerin Fatou Bensouda geleitet, die insbesondere auf genderbasierte Gewalt spezialisiert ist.

Als Ongwen zu Beginn brüsk auf „Nicht schuldig“ plädiert, drängen sich Erinnerungen an die Hauptkriegsverbrecher bei den Nürnberger Prozessen auf. Die genozidalen Taten, die in Den Haag im Jahr 2016 zur Verhandlung kommen, lassen sich nicht außerhalb dieses historischen Bezugsrahmens denken, aus dem die internationale Rechtsprechung seit 1945 hervorgegangen ist.

Doch dem Fall von Dominic Ongwen liegt im Gegensatz zu vielen anderen Prozessen ein Widerstreit zugrunde, dessen Unwägbarkeiten sich „Theatre of Violence“ mit kluger Zurückhaltung nähert. Wie urteilt man über Täterschaft, die selbst aus einer Situation schwerer Menschenrechtsverletzung entstanden ist? Führt die Tatsache, dass Ongwen mit neun Jahren von der LRA entführt und unter Androhung des eigenen Todes zum Töten gezwungen wurde, dazu, ihn auch als Opfer zu sehen, das mildernde Umstände geltend machen kann?

Filmische Gerechtigkeit

Anhand dieser vor Gericht kaum verhandelbaren Widersprüchlichkeit entwickelt das Regie-Duo eine ästhetische Form der Beweisaufnahme, die zugleich die Grundannahmen europäischer Rechtsvorstellungen hinterfragt. Die Regisseure begleiten Ongwens Strafverteidiger Krispus Ayena bei Treffen mit seinem Team, das eine wohlüberlegte Strategie der Verteidigung entwickelt. Dabei geht es vor allem darum, das Gericht durch ausgewählte Zeugen über die komplexen sozialen und historischen Hintergründe in Uganda aufzuklären. So entstammt der charismatische LRA-Anführer Joseph Kony einer streng katholischen Familie. In seiner Miliz vermischen sich martialische Passagen über den Heiligen Geist mit dem volkstümlichen Glauben an Besessenheit. Vor Gericht stelle sich also auch ein metaphysisches Problem, so Krispus Ayena, da die Europäer nicht in der Lage seien, die kulturelle Spezifik Ugandas zu verstehen, die sich von missionarischen Aspekten der Kolonialisierung nicht trennen lasse.

Ohne Off-Kommentar, erläuternde Einblendungen oder „Talking Heads“ gelingt allein durch eine kluge Montage und Dramaturgie eine genaue Durcharbeitung der ugandischen Konfliktlinien. Eine pädagogische Lenkung wird dabei vermieden; die Aussagen der Protagonisten stehen wie vor Gericht für sich selbst und fordern zur Urteilsbildung auf.

Eine zentrale Gegenposition zur europäischen Perspektive formuliert die ugandische Friedensaktivistin Rosalba Oywa mit dem Konzept der „Restorative Justice“. Anstatt Einzeltäter zu langen Haftstrafen zu verurteilen, setzt dieses auf Amnestie und die Wiederherstellung der lokalen Gemeinschaft. Die Täter nicht wegzusperren, sondern mit Ritualen wieder ins soziale Gewebe aufnehmen, ist angesichts der sich aus Herrschaft und Spaltung speisenden Gewalt auch eine Strategie der Dekolonialisierung.

Bedeutung und Tragweite der Strafe

Der von allen Seiten bemühte Begriff der Gerechtigkeit ist, so zeigt es der Film, keine einfache, universelle Lösung, sondern eine sich immer wieder neu zu stellende Aufgabe, die widerstreitende Anliegen in ihrer Partikularität zu durchdenken. Denn die ugandischen Frauen, die Männern wie Ongwen zum Opfer gefallen sind, erhoffen sich vom Den Haager Prozess durchaus, dass ihre Peiniger bestraft werden. „Theatre of Violence“ gibt darüber hinaus aber auch dem Täter eine Stimme, allerdings in körperloser, gespenstischer Form. Zu den immer wieder neu aufgegriffenen Bildern des brennenden Busches in der Dämmerung werden Telefonmitschnitte Ongwens eingeblendet, in denen er seine Überzeugungen und desolaten Gefühle fragmentarisch mitteilt.

An diesen Stellen erinnert der Film an einen anderen dokumentarischen Ausnahmefilm: „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer. Doch im Unterschied zu Oppenheimer führen Konopa und Langballe durch solche Sequenzen nicht ins albtraumhafte Herz der Täter, sondern hin zu einer sachlichen Analyse der Faktoren, die in Uganda zu den Heimsuchungen durch die Gewalt geführt haben.

„Theatre of Violence“ maßt sich nicht an, die Gewalt durch den Film auflösen zu können. Allerdings wendet der Film den Blick auch auf die Verantwortung der westlichen Nationen zurück, die das brutale Regime des ugandischen Präsidenten aus wirtschaftlichen Gründen stützen. Die Zweischneidigkeit der Globalisierung zeigt sich so auch anhand eines Gerichts, das als potenziell neokoloniale, eurozentristische Institution in die Kritik gerät, obwohl es auf der anderen Seite den von Gewalt Betroffenen eine international sichtbare Bühne gibt und das ethische Prinzip individueller Verantwortung hochhält.

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