37 Sekunden
Drama | Deutschland 2022 | (6 Folgen) Minuten
Regie: Bettina Oberli
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Odeon Fiction GmbH
- Regie
- Bettina Oberli
- Buch
- Julia Penner · David Sandreuter
- Kamera
- Armin Dierolf
- Musik
- Paul Eisenach · Jonas Hofer
- Schnitt
- Hubert Schmelzer · Cecile Welter · Mike Schaerer
- Darsteller
- Emily Cox (Clara Andersen) · Jens Albinus (Carsten Andersen) · Paula Kober (Leonie Novak) · Marie-Lou Sellem (Maren Andersen) · Valentin Mirow (Jonas Andersen)
- Länge
- (6 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Serie
Eine junge Frau klagt einen deutlich älteren, verheirateten Musiker, mit dem sie eine Affäre hatte, wegen Vergewaltigung an. Eine komplexe (Gerichts-)Dramaserie.
„Ist ’n bisschen unscharf alles“, sagt Leonie, als sie ihrer besten Freundin Clara von einem sexuellen Übergriff in der vergangenen Nacht erzählt. Eben diese Unschärfe – man könnte sie auch Ambivalenz nennen – ist es, die „37 Sekunden“ so besonders macht. Die sechsteilige Mini-Serie erzählt eine vielschichtige Story über komplexe Charaktere und Beziehungen. Eindeutig ist hier wenig – dazu ist die von Julia Penner und David Sandreuter geschriebene Geschichte viel zu nah dran am Leben, das ja bekanntlich ebenfalls selten übersichtlich ist.
Manches ist trotzdem klar: Carsten hat Leonie vergewaltigt. Sie hat „Nein“ gesagt – was er überhört hat, womöglich bewusst. Carsten (Jens Albinus) und Leonie (Paula Kober) hatten zuvor eine Affäre, die der verheiratete, deutlich ältere und erfolgreiche Musiker kurz vor dem Übergriff beendet hatte. Eine leidenschaftliche, sehr körperliche Beziehung, bei der auch Gefühle im Spiel waren – die beiden kannten und mochten sich. Denn Carsten ist der Vater von Leonies allerengster Freundin Clara (Emily Cox), die mittlerweile als Anwältin arbeitet. Schon früh war der alleinerziehende Vater der „Held“ der beiden Mädchen; Leonie hatte auch seinetwegen eine Laufbahn als Sängerin eingeschlagen.
Zum körperlichen Übergriff kommt der Vertrauensbruch
Es geht also nicht allein um einen körperlichen Übergriff – sondern auch um einen Vertrauensbruch. Und der findet hier auf zahlreichen Ebenen statt. Denn als Clara erfährt, wer der Vergewaltiger ihrer Freundin ist, wirft sie Stück für Stück all ihre moralischen Überzeugungen über Bord. Die Mission der eigentlich so idealistischen Juristin lautet nun: den Vater und die Familie, zu der auch Carstens zweite Frau Maren (Marie-Lou Sellem) und der Halbbruder Jonas (Valentin Mirow) gehören, zu „retten“ – koste es, was es wolle.
Carsten wird also geschützt von einem Netz aus Angehörigen, Fans und Vertrauten: Die zähen patriarchalen Strukturen, aber auch der „Genie-Kult“ lassen grüßen. Leonie hingegen ist fast ganz allein. Vor allem, nachdem sie sich, Tage nach dem Übergriff, zu einer Anzeige gegen Carsten entschließt.
Die Serie erzählt also ein Vergewaltigungs-, aber auch ein Familien-Drama, das schließlich in ein hochspannendes Gerichtsdrama mündet. Die Autoren entwerfen ein so komplexes wie stimmiges Figuren- und Beziehungsgeflecht (einzig eine Affäre zwischen Clara und dem Carsten vertretenden Anwalt erscheint überflüssig), das sich immer selbstzerstörerischer ineinander zu verknoten scheint, je näher es dem Finale rückt.
Starke Darsteller:innen für vielschichtige Figuren
So erschütternd es ist, den einsamen Weg der toughen, spröde-verletzlichen Leonie in Richtung Gerichtsverhandlung mitzuverfolgen, so atemraubend ist es, parallel dazu die zunehmende Skrupellosigkeit der zunächst noch von Zweifeln zerquälten, später dann gnadenlos agierenden Clara zu beobachten. Hauptfiguren sind sie beide. Und Paula Kober und Emily Cox spielen diese einst so innig verbundenen, durch die Tat eines Mannes für immer entzweiten Frauen fulminant und vielschichtig.
Aber auch Jens Albinus als männliche Hauptrolle legt eine äußerst überzeugende Leistung hin: Sein Carsten ist alles andere als ein Fiesling, sondern ein charismatischer, durchaus reflektierter Mann. Dabei aber egozentrisch, verantwortungslos und gewohnt, zu bekommen, was er möchte. Bis in kleinste Nebenrollen hinein ist die übrigens auch auf musikalischer Ebene sehr überzeugende Serie hervorragend besetzt. Regisseurin Bettina Oberli weiß ihr Ensemble zu führen und beweist zudem ein ziemlich gutes Gespür für Rhythmus, Atmosphäre, flirrende Situationen – das umso intensiver zum Tragen kommt, je weiter die Serie fortschreitet.
Ablesen lässt sich das an diversen packend in Szene gesetzten Sequenzen, besonders überzeugend etwa an jener, die der Produktion ihren Namen gibt: den „37 Sekunden“, die der Übergriff andauerte. Diese Szene ist ein kleines Meisterwerk geworden, da in ihr so viel an widersprüchlichem, auch missverständlichem menschlichen Verhalten steckt – und sich am Ende dennoch sagen lässt: Das war eine Vergewaltigung.