Drama | Deutschland 2023 | 135 Minuten

Regie: Claudia Rorarius

Eine stille junge Frau mit kräftigem Körperbau arbeitet als Betreuerin in einer Reha-Klinik und beginnt mit einem querschnittsgelähmten Mann eine verbotene Beziehung. Angetrieben von sexueller Neugier und der Sehnsucht nach Nähe erkunden sie gegenseitig ihre Körper und kommen sich auch seelisch näher. Doch schon bald stoßen ihre Wünsche und Bedürfnisse an Grenzen. Die im 4:3-Format und mit einem starken Farbenspiel gedrehte Studie über eine herausfordernde Intimität zwingt durch eine strikte Begrenzung des Blicks zum Hinsehen. Ein mutiger, aber auch erschütternder Film zwischen Scham und Entsetzen. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
2Pilots
Regie
Claudia Rorarius
Buch
Claudia Rorarius
Musik
Donna Regina · Nils Frahm · Federico Albanese · Tara Nome Doyle
Schnitt
Laura Lauzemis · Andreas Wodraschke
Darsteller
Isold Halldórudóttir (Maria) · Stavros Zafeiris (Alex) · Aggeliki Papoulia (Ana) · Yousef Sweid (Marc) · Maj-Britt Klenke (Nadine)
Länge
135 Minuten
Kinostart
02.05.2024
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Drama über eine mollige junge Pflegerin und einen querschnittsgelähmten Mann, die eine Beziehung eingehen und ihre Körper, Gefühle und Befindlichkeiten erforschen.

Diskussion

„Touched“ von Claudia Rorarius ist ein Film, der aufwühlt. Er verbindet Zärtlichkeit und Zorn, Sehnsucht und Verlangen, Schmerz, Trauer über Verlorenes, aber auch Erinnerungen an Dinge, die nicht mehr möglich sind. Aber auch an neue Entdeckungen, an Begehren, Annäherung und Körperlichkeit. An den Versuch und die Versuchung einer Liebe. Oder der Suche nach etwas, das zu einer Liebe heranwachsen könnte – und vielleicht scheitern muss.

Ein Zimmer in einer Reha-Klinik. Ein Bett. Ein junger Mann, Alex, vom Körperbau eher schmächtig, querschnittsgelähmt. Mit im Zimmer ist eine Schwester, die routiniert zu Werke geht. In der Garderobe derselben Klinik steht Maria. Auch sie ist jung. Sie ist von kräftigem Körperbau und zieht sich um. Wechselt ihre Straßenkleidung gegen Pflegerinnentracht. Danach betritt sie zögerlich Alex’ Zimmer. Sie soll lernen, wie man ihn pflegt, ihn vom Bett auf den Rollstuhl hebt und unter der Dusche hilft. Wie man seine Blase leert und ihm beim Essen unterstützt. Morgen, bescheidet die Schwester, müsse Maria das alleine können. Und noch einiges anderes dazu: dem Physiotherapeuten zur Hand gehen, beim täglichen Training mit Alex auf der Liege, bei den Übungen im Schwimmbecken.

Maria schaut zu und lernt

Maria schaut zu und lernt. Als Pflegerin geht alles bald schon ganz gut. Maria ist eher schweigsam, ein stilles Wasser, das tief gründet. Sie wird von der Isländerin Isold Halldórudóttir eindringlich gespielt. Über Marias persönliche Hintergründe erfährt man so gut wie nichts. Einige Szenen spielen bei der Pflegerin zu Hause. Sie scheint allein zu wohnen. Freunde oder Familie bleiben im Film außen vor. Auch ob und wie Maria Kontakte zur Belegschaft des Spitals unterhält, bleibt offen. Abgesehen vom beruflichen Umfeld sieht man sie immer allein. Auch dann, wenn sie in eine Disco geht oder in ein Karaoke-Lokal, wo sie – wehmütig-sehnsüchtig und ein bisschen verloren – ein Lied singt.

Selbst wenn sie mit einer Gruppe und später auch mit Alex zum Schwimmen an einen Waldsee fährt, sondert Maria sich ab. Fern von den anderen zwängt sie sich in ihren Badeanzug. Schwimmt allein hinaus in die Mitte des Sees. Die Kamera sucht hier, wie auch bei anderer Gelegenheit, immer mal wieder die Vogelperspektive. Sie zeigt Marias Gleiten im Wasser von vorne und von oben. Dann wirkt sie in ihrem Körper wie allein für sich zuhause, ähnlich wie in den Momenten, in denen sie tanzt.

„Touched“ ist ein Film über (menschliche) Körper und deren Inszenierung. Obwohl Maria als Außenseiterin und oft auch als auf sich selbst konzentrierte Einzelgängerin gezeigt wird, verfügt sie über ein waches Sensorium gegenüber ihrem Umfeld, insbesondere gegenüber Alex. Eine Feinfühligkeit, die sie befähigt, sich in seine Situation einzufühlen, in seine physische Versehrtheit wie seine psychische Not, obgleich sie diese auch hinterfragt. Und die sich irgendwann schleichend mit ihrem eigenen – körperlichen und sexuellen – Begehren zu vermischen beginnt. Vielleicht auch mit ihrer unausgesprochenen Sehnsucht nach einer Beziehung.

Einen Moment mehr als nötig

Im Unterschied zu Maria erfährt man über den von Stavros Zafeiris gespielten Alex einiges mehr. Etwa, dass er bei einem Kampf am Kopf getroffen wurde und seither seine Beine nicht mehr spürt. Dass er vor diesem Vorfall eine Freundin hatte, diese aber weggeschickt hat. Dass er vom Fliegen, Laufen und Rennen träumt, sich in seinen Träumen aber nie im Rollstuhl sieht. Alex hadert mit seiner Situation. Er kann sich nicht damit abfinden, dass er nicht mehr der junge, starke Kämpfer ist, der er einmal war.

Maria stellt ihm manchmal eine Frage. Sie hört aufmerksam zu, wenn er, meist zögerlich und stockend, etwas über sich und sein früheres Leben, aber auch über seine jetzige Befindlichkeit erzählt. Wie zufällig verharrt ihre Hand bei der Intimpflege eines Tages länger als nötig auf Alex’ Geschlecht; ihre pflegenden Bewegungen werden zum zarten Streicheln.

Sie habe, erklärt Regisseurin Claudia Rorarius, noch nie einen Spielfilm gesehen, der die intime Beziehung zwischen einer körperlich behinderten und der sie pflegenden Person schildere. Rorarius hat in ihrer Jugend miterlebt, wie ihr Vater zum Behinderten wurde und die Idee zu „Touched“ jahrelang mit sich herumgetragen. In der Figur von Alex, insbesondere in seinen Ängsten, seinem Zorn und seiner Wut spiegeln sich Charaktereigenschaften und Verhalten, die sie von ihrem Vater kennt. Für die Figur und die Inszenierung der Maria ließ sie sich von der Fotografin Jen Davis inspirieren, die sich in ihren Selbstporträts explizit in alltäglichen Situationen zeigt.

„Touched“ erzählt, wie Alex und Maria sich näherkommen. Wie aus erstem, zögerlichem Streicheln, aus Neugier und Entdeckerfreude allmählich eine sexuelle Beziehung entsteht. Anfänglich finden solche Begegnungen in Alex’ Zimmer und den Räumen der Klinik statt. Allmählich aber verlagern sie sich aus der Klinik nach draußen. In die freie Natur, an den See im Wald, in Marias Wohnung, ins Karaoke-Lokal, das Maria früher allein besuchte.

Hadern mit dem Schicksal

Die treibende Kraft hinter dieser Beziehung ist anfänglich Maria, die Alex etwas gibt, das ihm fehlt: eine Perspektive. Eine Ahnung davon, dass ein Leben – sein Leben – auch im Rollstuhl weitergehen könnte. Tatsächlich verbessert sich seine körperliche Befindlichkeit. Während er zu Beginn des Films noch in allem auf Handreichungen und Unterstützungen angewiesen ist, entwickelt er zunehmend eine gewisse Selbstständigkeit. Als er zum Geburtstag einen elektronischen Rollstuhl erhält, erweitert sich sein Bewegungsradius schlagartig.

Gegen seine versehrte seelische Befindlichkeit aber, gegen sein Hadern mit dem Schicksal kommt auch Maria nicht an. Obwohl sie viele originelle Einfälle hat, um ihn immer wieder neue Dinge erleben zu lassen, die zunächst unmöglich erscheinen. Doch ihre wachsende Fürsorge und Zuneigung lösen in Alex zunehmend Härte, aber auch Verzweiflung und Respektlosigkeit aus. Was anfänglich reine Zuwendung und geteiltes Begehren war, wird in wachsendem Maße von einer fatalen körperlichen Ungleichheit überlagert, da Maria immer die Stärkere ist und ihren sexuellen Begegnungen auch ein Aspekt der Übergriffigkeit innewohnt.

Rorarius hat „Touched“ im 4:3-Format und mit starkem Farbenspiel inszeniert. Ihr Blick auf die Beziehung von Maria und Alex ist auch in den Liebesszenen nüchtern. Der Grad der Nacktheit, das An- und Ausziehen, der Wechsel der Kleidung bildet einen Subtext, auf dem das Geschehen aufbaut. Die Enge des Bildes schneidet die Umgebung ab und verunmöglicht den schweifenden Blick. Diese strikte Blickführung zwingt zum genauen Hinschauen. Es rückt aber auch die eigene Position des Betrachters ins Bewusstsein. Denn während man diese Position zu Beginn als unverfänglich empfindet, wird man im Verlauf der Handlung zunehmend in die Position eines Voyeurs versetzt. Man ertappt sich sozusagen beim Gaffen, da man etwas beobachtet, das – zumindest in der westlichen Zivilisation – üblicherweise nicht öffentlich gezeigt wird. Vielleicht ist Scham das richtige Wort für das, mit dem man in „Touched“ konfrontiert wird. Der andere Begriff ist Entsetzen.

So mutig wie erschütternd

„Touched“ ist ein eigenwilliger, mutiger, aber auch erschreckend erschütternder Film, dessen Bilder und dessen Geschichte man nicht so schnell wieder loswird. Ein großes Lob gebührt dabei den beiden Hauptdarstellern Isold Halldórudóttir und Stavros Zafeiris. Sie standen beide das erste Mal vor der Kamera und wurden beim Filmfestival in Locarno 2023 für ihre schauspielerische Leistung gemeinsam mit dem „Goldenen Leoparden“ ausgezeichnet.

Kommentar verfassen

Kommentieren