Pale Flower
Film noir | Japan 1964 | 96 Minuten
Regie: Masahiro Shinoda
Filmdaten
- Originaltitel
- KAWAITA HANA
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 1964
- Produktionsfirma
- Bungei Production Ninjin Club/Shochiku
- Regie
- Masahiro Shinoda
- Buch
- Masaru Baba · Masahiro Shinoda
- Kamera
- Masao Kosugi
- Musik
- Yûji Takahashi · Toru Takemitsu
- Schnitt
- Yoshi Sugihara
- Darsteller
- Ryo Ikebe (Muraki) · Mariko Kaga (Saeko) · Takashi Fujiki (Yoh) · Naoki Sugiura (Aikawa) · Shinichiro Mikami (Reiji)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- 18.05.2023
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Film noir | Gangsterfilm | Krimi | Literaturverfilmung | Sozialdrama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Formvollendeter japanischer Film noir über einen alternden Yakuza-Gangster, der sich in eine obsessive Spielerin verliebt, die ihrerseits einem Junkie verfallen ist.
Ein Mensch stirbt und nichts ist anders. Die tumben Massen marschieren weiter, fahren zur Arbeit, und die Sonne scheint gleichgültig wie eh und je. So erlebt es der alternde Yakuza Muraki, der drei Jahren für einen Mord im Gefängnis war und wieder unter die Menschen geworfen wird. Masahiro Shinodas düsterer Thriller „Pale Flower“ erzählt die tragische Geschichte eines Mannes, der nicht mehr zur Welt gehört, vielleicht nie zu ihr gehört hat.
Die Ordnung hinter Gittern ergibt für ihn mehr Sinn als das Chaos draußen. Die Welt der Yakuza wird eigentlich von strengen Gesetzen und Kodizes strukturiert, doch selbst dieses Fundament zerfällt. Muraki hatte ein Mitglied einer verfeindeten Gang getötet. Nur sechs Monate später hat sich seine Organisation jedoch mit dieser verbündet, weil eine weitere Bande aus Osaka eine noch größere Gefahr darstellte. Seine Rolle in diesem neuen kriminellen Partnerunternehmen ist ungewiss.
Licht wird zur Ausnahme
„Pale Flower“ ist ein Film noir in Reinkultur. Der Thriller enthält so viel Schatten, dass Licht zur Ausnahme wird. Auch in moralischer Hinsicht. Die Schwarz-weiß-Bilder sind wie Scherenschnitte. Jede Szene bei Tageslicht ist eine Überraschung. Paranoider Pessimismus herrscht vor, eine Trotz-Reaktion auf die immer schnelleren Veränderungen der Nachkriegszeit. Muraki (Ryo Ikebe) ist nicht mehr der Jüngste, aber der große Ernst seines Ausdrucks verleiht ihm eine zeitlose Eleganz. Kälte wird Coolness, Toru Takemitsus Jazz-Soundtrack tut sein Übriges.
Natürlich tritt bald auch die Femme Fatale ins Bild. Bei illegalen Kartenspielen entdeckt Muraki die junge Saeko (Mariko Kaga). Eine ungewöhnliche Besetzung für den Figurentypus, weil sie unentwegt zwischen Transparenz und Undurchlässigkeit changiert. Noch die kleinste Regung ist Teil ihrer Maskerade, ihre Identität bleibt unbekannt. Ihre innere Motivation ist jedoch überdeutlich: Sie liebt Gefahr und Tod, jagt ewig der intensivsten Erfahrung nach. Die Welt ist für sie erst interessant, wenn sie in Flammen steht. Sie fordert genau jenen neuen Rhythmus, der Muraki überfordert, und umarmt die Moderne, die er misstrauisch beäugt. Alles muss anders werden.
Damit ist sie fast schon berechenbar. Als bei den Kartenspielen ein Fremder auftaucht, der in den Schatten hockt wie ein trauriger Geist, ist klar, dass sie sich in ihn verlieben wird. Der stille Halbchinese Yoh (Takashi Fujiki) aus Hongkong ist noch einsamer und verlorener als Muraki. Er nimmt Heroin und starrt entrückt ins Nichts. Sogar aus der Distanz zur Welt wird ein Wettbewerb. Muraki will Saeko, sie will den Junkie. Selbst wer sich verweigert, gerät in die zwischenmenschliche Kampfzone.
Gewinnen kann nur, wer errät, was andere verbergen
Die weiße Tehonbiki-Spielfläche filmt Shinoda so oft von oben, bis sie als Leinwand erkennbar wird. Das Yakuza-Kartenspiel spiegelt die Welt im Kleinen. Gewinnen kann nur, wer errät, was andere verbergen. Die Menschen, die sich in schummrigen Hinterzimmern versammeln, sind süchtig nach dem Spiel. Ungeduldig mischen sie ihre Karten in den schwitzigen Händen. Das Laster wird im Film universell gesetzt – eine unschuldige Figur ist weit und breit nicht zu finden.
Regisseur Masahiro Shinoda begann seine Karriere als Assistent von Yasujirō Ozu. Stilistisch ist er jedoch eher zwischen Zeitgenossen wie Seijun Suzuki oder Nagisa Ōshima zu verorten. Wie andere Filmemacher der japanischen neuen Welle blickt er nach Frankreich und nennt Charles Baudelaires Gedichtband „Les Fleurs du Mal“ als wichtige Inspirationsquelle. Die Blumen des Bösen prangen hier auf den Hanafuda-Karten, die über Glück und Unglück entscheiden. Wie beim französischen Dandy-Poeten herrschen die Schönheit des Schreckens und der Weltekel vor. Shinodas selbstzerstörerische Figuren der Nacht werden zu so etwas wie Helden, weil sie aus ihrer existenziellen Verzweiflung Würde und Anmut gewinnen.
Paul Schrader schrieb in seinen „Notizen zum Film noir“, das Genre sei vor allem ein Stil, der seine Konflikte visuell und nicht thematisch verarbeite. „Künstlerische Lösungen für soziologische Probleme“, wie er argumentiert. „Pale Flower“, der die Nachkriegsordnung in eine traumwandlerische Schattenwelt verwandelt, ist ein perfektes Beispiel dafür. Clan-Bosse schmieden in Konferenzsälen und Séparées Pläne, für alle unter ihnen bleibt nur Finsternis. Die menschlichen Beziehungen sind flüchtig, auch die Liebe macht keine Ausnahme.
Verfolgungsjagd mit unsichtbarem Angreifer
Der Film ist ganz bei sich, wo Shinodas Stil am stärksten zum Ausdruck kommt, er die Räume mit Bewegung füllen kann: Die lange Parade mutloser Gesichter bei den Kartenspielen. Ein spontanes Autorennen durch die menschenleere Nacht von Tokio. Eine Verfolgungsjagd mit einem unsichtbaren Angreifer, der ein Trugbild sein könnte – würden nicht ein Wurfmesser in der Wand neben Muraki stecken und Schritte in der Ferne verschwinden. Selbst Baudelaires lyrische Phantasmagorien klingen in einer Traumsequenz an: Muraki flieht in Zeitlupe durch eine ungreifbare Zwischenwelt, stößt Tor um Tor auf, und landet zuletzt bei Yoh und Saeko. Er kann schreien und gestikulieren, wie er will, erreichen kann er sie nicht.
„Pale Flower“ ist erzählt wie dieser Traum: unzusammenhängend, fast schicksalshaft. Den Figuren, eingeschlossen zwischen Bildern von Freiheit und Gefangenschaft, bleibt oft nur noch, sich in der ewigen Bedrängnis einzurichten. Einmal sehnt sich Muraki mit nostalgischem Blick nach den Wildgänsen seiner Kindheit. Er klingt wie Pier Paolo Pasolini, der knapp zehn Jahre später wehmütig in einem Aufsatz „Von den Glühwürmchen“ und ihrem Verschwinden schreibt. Die Vergangenheit und ihr Potential als Fluchtpunkt, während im Film Rennpferde, Züge und Sportwagen gnadenlos Richtung Übermorgen donnern. Was lässt uns der Fortschritt? Das große Thema des japanischen Kinos, hier angereichert mit eisiger Lässigkeit, die nur mühsam die unter allem brodelnde Wut abkühlen kann.