Fleishman Is in Trouble
Drama | USA 2022 | 425 (8 Folgen) Minuten
Regie: Shari Springer Berman
Filmdaten
- Originaltitel
- FLEISHMAN IS IN TROUBLE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- ABC Signature/FX/Timberman-Berverly
- Regie
- Shari Springer Berman · Robert Pulcini · Jonathan Dayton · Valerie Faris · Alice Wu
- Buch
- Taffy Brodesser-Akner
- Kamera
- Tim Orr · Corey Walter
- Musik
- Caroline Shaw
- Schnitt
- Josh Beal · Jeffrey M. Werner · Jacquelyn Le
- Darsteller
- Jesse Eisenberg (Toby Fleishman) · Claire Danes (Rachel Fleishman) · Meara Mahoney Gross (Hannah Fleishman) · Maxim Swinton (Solly Fleishman) · Lizzy Caplan (Libby Epstein)
- Länge
- 425 (8 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama | Serie | Tragikomödie
Hintergründige Serie um einen Mann, der sich unversehens in der Rolle eines Single Dad wiederfindet, als seine Exfrau spurlos verschwindet und zuvor die gemeinsamen Kinder bei ihm zurücklässt.
Mitten in der Nacht hat die New Yorker Theateragentin Rachel Fleishman (Claire Danes) ihre beiden Kinder bei Exmann Toby (Jesse Eisenberg) abgeladen, ist in ein Yoga-Retreat gefahren und seither nicht mehr erreichbar. Es vergehen Tage und Wochen ohne Lebenszeichen. Ihre reichen Freundinnen von der Upper East Side haben auch nichts von ihr gehört. Toby ist in diesem schwülen New Yorker Sommer plötzlich zum alleinerziehenden Vater geworden. Wo steckt Rachel? Das ist die Ausgangsfrage der Serie „Fleishman is in Trouble“.
Ein retrospektives Ehedrama
Die Whodunit-Struktur bleibt auch erhalten, doch statt einer Kriminalhandlung entpuppt sich der Plot als retrospektives Ehedrama: Toby nämlich ist keineswegs besorgt um die Mutter seiner Kinder, sondern sieht sich in ihrem Verschwinden nur bestätigt: Wieder ziehe sie eine ihrer Ego-Touren durch, berichtet er seinen ehemaligen Uni-Freunden Seth (Adam Brody) und Libby (Lizzy Caplan). Nein, da müsse man nicht zur Polizei gehen, die Egomanin tauche sicherlich irgendwann wieder auf. Das habe sie damals kurz nach der Geburt des ersten Kindes auch schon gemacht: Eines Tages sei sie einfach aufgestanden, habe eine Theateragentur gegründet und seither sei für sie die Familie nur ein Klotz am Bein gewesen.
Aus Tobys Sicht hat Rachel ihn also über Nacht hängenlassen. Grund zur Sorge gibt es also schon, aber um ihn! Der Sommer 2016 hätte für ihn der beste seit langem werden können: Er steht kurz vor einer Beförderung zum Chefarzt und hatte sich nach 15 Jahren endlich wieder um sich selbst kümmern wollen – Dating Apps, Trinkgelage mit ehemaligen Kumpels, einfach mal chillen, um die unglückliche Ehe endlich abzuschütteln. All das hat Rachel nun zunichtegemacht.
„Wie bin ich nur hierhergekommen?“
Im Voice-over erzählt Tobys Studienfreundin Libby von dessen Ungemach und scheint seine neu gewonnene Freiheit indirekt mit auszuleben. Einst war sie eine vielversprechende Autorin, nun ist sie Hausfrau in New Jersey, die eigentlich nur noch behauptet, an einem Roman zu schreiben, um sich die eigene Unzufriedenheit nicht eingestehen zu müssen. Ihr liebevoller Ehemann und die beiden Kinder werden angesichts ihrer Teilnahmslosigkeit immer ratloser. „Wie bin ich nur hierhergekommen?“, fragt nicht nur sie immer wieder laut. Die Midlife-Crisis hat sie und Toby voll im Griff.
In der Miniserie adaptiert die New Yorker Autorin Taffy Brodesser-Akner ihren eigenen Roman aus dem Jahr 2019. Natürlich ist hier nichts, wie es scheint, denn diese Serie ist ein Trojanisches Pferd: Über die Hälfte der acht Folgen lässt sie das Publikum und Libby im Glauben, Toby sei das eindeutige Opfer dieser zerbrochenen Ehe. Doch es gibt auch noch eine andere Seite der Geschichte: die seiner Exfrau Rachel, die zu Beginn wie eine hysterische Karrierefrau wirkt, der ihre Familie immer mehr zum Ärgernis und Stolperstein wird, auf dem Weg an die Spitze der Unterhaltungsindustrie. Die Ungereimtheiten und Unebenheiten ihres Lebenslaufs sind für Toby entweder ein Beweis ihrer Stärke oder ihrer Skrupellosigkeit: der Chef, über den sie ewig nörgelte, sei eine Konkurrenz für ihn, die vielen Überstunden ein Zeichen von Rachels Gier, denn sie hätten ja mehr als genug; und ihre Weigerung, sich nach der ersten Geburt wegen einer postnatalen Depression in Behandlung zu begeben, ein Zeichen ihrer beratungsresistenten Sturheit.
Erst als Libby die verwirrte Rachel in einem New Yorker Park trifft und nach Hause bringt, erhält Tobys Perspektive ein Gegenstück: der Sexismus ihres Chefs, ihre Kindheit in ärmlichen Verhältnissen und der Wunsch, ihrer Familie alles bieten zu können, was sie selbst nie hatte, das Trauma von der Gewalt eines Arztes bei der ersten Geburt. Rachels Perspektive ist die herzzerreißende und nuancierte Geschichte einer Frau, die immer das Gefühl hat, nicht genug zu leisten, um liebenswert zu sein.
Entlarvung der „Himpathy“
Dieser Schwenk kommt zu einem Zeitpunkt in der Serie, zu dem man sich schon eingerichtet hatte im selbstgerechten und zugegeben witzigen Rachel-Bashing. Brodesser-Akner zielt jedoch auf genau diesen Effekt und bringt damit einen filmischen Beweis für ein gängiges soziales Phänomen, für das mittlerweile der Begriff „Himpathy“ erfunden wurde: die systemische Bevorzugung von Männern, die in Konfliktfällen deren Perspektiven als glaubwürdiger einstuft. Den Köder für diesen Beweis hat sie bereits zu Beginn der ersten Folge ausgelegt: Wer wird wohl in einer Serie mit dem Titel „Fleishman is in Trouble“ und in der ein Mann mit dem Namen Toby Fleishman aufwacht und feststellt, dass seine egoistische Exfrau verschwunden ist, „in trouble“ sein? Natürlich er, nicht sie. Daran zweifelt man beim Sehen erstmal keine Sekunde. Umso schamvoller der Moment, in dem klar wird, dass man der eigenen eingeimpften Doppelmoral aufgesessen ist – aber umso herrlicher der Rückblick auf all die kleinen Brüche und Hinweise in der Serie, die genau diesen Effekt vorbereitet haben, etwa die in der ganzen Stadt verteilten Wahlplakate von Hillary Clinton, deren Kampagne von Vorwürfen zerschossen wurde, mit denen ihr Gegner Donald Trump nicht nur durchkam, sondern prahlte.
Brodesser-Akner schafft es jedoch, all dies ohne Bitterkeit zu erzählen. Wie bei den meisten gescheiterten Ehen gibt es auch bei den Fleishmans keine eindeutige Schuldzuweisung, sondern zwei Verletzte, und aus dem „Whodunit“ wird die Frage: „Wie sind wir nur hierhergekommen?“ Vielmehr sind die acht Folgen ein Appell für mehr Verständnis statt gegenseitiger Anklage und der Beweis, dass genaues Hinschauen und Zuhören Ehen retten könnte.