Diese Nacht wird dauern. Sie wird sich eine Ewigkeit lang wiederholen. Der Tod und der sich entziehende Sinn einer unaussprechlichen Tat werden den Polizisten Yohan (Bastien Bouillon) wie Geister verfolgen, dessen ist er sich sicher. Als er vor den Eltern sitzt und die Nachricht vom Mord an ihrer Tochter überbringen will, verschlägt es ihm beim Anblick einer Kinderfotografie des Opfers die Sprache. Später wird er von einer existenziellen Leere sprechen. Es ist, als hätte sich ein schwarzes Loch aufgetan und ihn verschluckt.
Das Letzte, was Clara (Lula Cotton-Frapier) hörte, war ihr Name. Dann ist sie in Flammen aufgegangen und bei lebendigem Leib verbrannt. Die Kripo soll den Fall übernehmen. Doch alle Spuren führen ins Nichts.
„In der Nacht des 12.“ von Dominik Moll ist aber nur auf den ersten Blick als klassischer Kriminalfilm angelegt. Lediglich zu Beginn hat man das Gefühl, dass es sich um eine ausgezeichnete „Tatort“-Episode handeln könnte, doch dann beginnt sich der Film von Zeugenbefragung zu Zeugenbefragung in eine leere Bewegung zu steigern.
Ermordet, weil sie eine Frau war
Die Polizisten tun das, was man von ihnen erwarten. Sie machen weiter. Die Chancen, den Täter zu finden, schwinden. Immer wieder geht es um das Sexualleben von Clara, die offenbar mehrere Liebhaber hatte. Oder waren es doch die Männer, die ihre Ansprüche an der jungen Frau anmeldeten? Als Yohan zum wiederholten Mal die beste Freundin ermahnen muss, doch bitte alle Ex-Partner und Affären zu erwähnen, bricht diese in Tränen aus: Es erscheine ihr so, als würde man nach der Schuld des Opfers suchen, das sich nicht an die moralischen Vorstellungen gehalten habe. Clara aber sei getötet worden, weil sie eine Frau war.
Dieser Satz sitzt. Er entfaltet seine Wirkung auch deshalb, weil es dem Regisseur und seinem Co-Autor Gilles Marchand gelingt, einen warmen Realismus zu entwerfen. Die Arbeit der Polizei ist ohne Glanz, mühsam und alltäglich. Nichts muss aufgebauscht werden, um Spannung oder Thrill künstlich hochzuhalten. „In der Nacht des 12.“ rückt darüber nahe an die Seele der Wirklichkeit heran, in der sich hinter den banalsten Dingen die tiefsten Abgründe auftun. Nur vom Täter fehlt jede Spur.
Jeder Mann könnte der Täter sein
Jeder der Männer, mit denen Clara zu tun hatte, könnte der Täter sein. Gefühle aber ersetzen keine Beweise, und diese bleiben aus. Alles, was sich im Verlauf dieses bedrückenden Films aufdrängt, ist eine strukturelle Gewalt, die sogar noch nach der Toten greift. Denn die Männer bestimmen durch ihre Erzählungen, wie der Hase zu laufen hat. Allesamt stricken sie am Narrativ der nymphomanischen Schlampe. Da rappt der Ex-Freund sogar einen Song ein, in dem er droht, seine ehemalige Freundin anzuzünden: Es seien doch nur Worte. Das aber erzürnt Marceau (Bouli Lanners), den älteren Kollegen von Yohan, der zu Recht dagegenhält, dass es niemals nur bei Worten bleibt.
Am Ende bringt es die neue Kollegin der Ermittler auf den Punkt: Ist es nicht eine seltsame Welt, in der Männer Frauen ermorden und es dann ebenso mehrheitlich Männer sind, welche die Täter ermitteln sollen? It’s a man’s world. Im Film sind seit dem Mord bereits drei Jahre vergangen.
Eine erschreckende Einsicht
Mit „In der Nacht des 12.“ taucht Dominik Moll tief in das Geschlecht der Gewalt ein, ohne sich in didaktischer Belehrung zu verlieren. Er zeigt den Protagonisten als verfolgte Seele, die nicht mehr schlafen kann, weil ihn die Frage quält, wieviel von dieser missbräuchlichen Männlichkeit auch in ihm wuchert. Wie viel hat er mit den Verdächtigen gemein? Gesicht um Gesicht legt sich auf seinen Ausdruck. Dieser Film hat nicht nur einen Täter. Das ist eine erschreckende Einsicht.