„Sparta“ lautet der Titel des neuen Films von Ulrich Seidl, der ursprünglich einmal zusammen mit „Rimini“ ein Film werden sollte, was vielleicht dann selbst für Ulrich-Seidl-Verhältnisse etwas viel gewesen wäre. Jetzt sind sie zwei „Brüder“-Filme, die miteinander kommunizieren und über einen recht forcierten Subtext miteinander verbunden sind. Man kann also sagen: Ohne „Rimini“ ist „Sparta“ nicht zu haben, allerdings funktionieren beide Filme auch autonom, sofern man die damit multiplizierten Leerstellen hinnimmt.
Der eine Bruder: Ein abgehalfterter Schlagersänger
Zur Erinnerung: „Rimini“ erzählte einen Winter des abgehalfterten Schlagersängers und Gigolos Richie Bravo in der Tristesse eines verregneten Adria-Paradieses. Die schmierigen Schlager-Darbietungen für in die Jahre gekommene Bus-Touristinnen scheinen dabei nur die Vorbereitung auf den finalen Aufenthalt im Pflegeheim, den Richies dementer Vater durchlebt. Dort besteht Betreuung darin, dass eine Pflegekraft einer Gruppe von Dementen Sprichwörter wie „Eigener Herd ist Goldes wert“ oder „Morgenstund hat Gold im Mund“ in Erinnerung ruft. Wenn Richie seinen Vater besucht, ist nicht zu übersehen, dass deren Verhältnis schwierig ist. Zumal, wenn der Vater von seiner Vergangenheit eingeholt wird und die Nazi-Krümel aus seiner Erinnerung hervorfegt – und zu singen beginnt.
Doch Richie hat nicht nur einen Vater, sondern er ist auch Vater, woran ihn die überraschende Anreise seiner viele Jahre nicht vermissten Tochter Tessa und ihrer Clique erinnert. Angesichts des Freundeskreises seiner Tochter gesellt sich nun zu Schlagerschmäh und Rest-Glamour auch noch handfeste Islamophobie, zumal Tessa darauf besteht, die väterliche Abwesenheit auf Heller und Pfennig beglichen zu sehen. Überraschenderweise erkennt Richie in der Begegnung mit seiner Tochter eine Chance zur Veränderung. Am Ende öffnet er seine zum Nostalgie-Museum verkommene Villa den Geflüchteten, die er zu Beginn des Films noch barsch auf Distanz gehalten hatte. Das mag etwas konstruiert und erzwungen erscheinen, aber für Seidls Verhältnisse ergab sich doch eine erstaunliche Empathie für den alternden Protagonisten Richie Bravo. Der übrigens nicht nur Sohn und Vater war, sondern auch Bruder, wie eine kurze Begegnung mit dem sanft-zurückhaltenden Ewald zeigte.
Der andere Bruder: Ein pädophiler Ingenieur
„Sparta“ blättert nun eine weitere Seite dieses Familientableaus auf, in dessen Mittelpunkt Ewald steht. Ewald lebt in Rumänien, ist mit einer Rumänin liiert und arbeitet als Ingenieur. Während Richies mitunter störende Impotenz wohl eher der Effekt seiner ausschweifenden Lebensweise ist, hat Ewalds Impotenz andere Gründe, wie der Film auch recht schnell klarstellt. Ewald kämpft nämlich gegen seine pädophilen Neigungen. Er sucht die Nähe zu Kindern und Jugendlichen und geht immer dorthin, wo das grenzverletzende Tabu greifbar wird. Folglich ist Ewald immer zugleich risikobereit und vorsichtig, was sich in Zurückhaltung und Konfliktunfähigkeit äußert.
Dass der Film sein Publikum ohne größere Umstände zum Mitwisser macht, verschafft „Sparta“ eine ganze Reihe von Szenen, die auf unangenehme und durchaus schmerzhafte Weise an die Grenze gehen, wenn Ewald mit Kindern ringt, sich eine Schneeballschlacht liefert, nackt mit nicht nackten Kindern duscht, mit ihnen eine Art Jugendclub etabliert, der eben „Sparta“ heißt. Für Ewald ist das ganze Leben eine Art Tugendprobe, eine Herausforderung an der Grenze zum Kontrollverlust, immer auf der Hut, bloß nicht aufzufallen.
Faschistisches Potential im ländlichen Rumänien
Georg Friedrich spielt die Mischung aus Verlangen und Versagung, aus Verlorenheit und Verzweiflung mit bewundernswerter Komplexität. Eine weitere Spannung bezieht „Sparta“ nun aus dem Verhältnis von Ewalds „Jugendarbeit“, die eben einerseits pädophil, andererseits aber durchaus empathisch ist, zum sozialen Umfeld, aus dem die Jugendlichen stammen. Das ländliche Rumänien wirkt hier mit der nachgerade polemischen Mischung aus dumpfem Machismo, Alkoholismus, Bildungsferne und Gewaltbereitschaft wie ein Refugium faschistischen Potentials, was wiederum den Nazi-Vater von Richie und Ewald ins Spiel bringt. Hier scheint die Welt patriarchaler Gewalttradition, wie sie Klaus Theweleit in „Männerphantasien“ entworfen hat, noch kreatürlich intakt, während sie in mitteleuropäischen Altenheimen gerade ausklingt.
Der mit seiner Pädophilie hadernde Ewald wird gewissermaßen zum Beschützer der von den Eltern misshandelten Kinder. Wenn schließlich die rumänischen Väter den Verführer ihrer Söhne mit Mistgabeln vertreiben, erinnert die Szene tatsächlich an „Frankenstein“, wobei es weniger um den Schutz der Kinder als vielmehr um die Austreibung des Störenfrieds zu gehen scheint.
Sensible Menschlichkeit
Die Skandalisierung von „Sparta“ durch die sensationsheischende Recherche des „Spiegel“ über die Drehbedingungen, die Seidls Film um seine Weltpremiere in Toronto brachte, ist so ironischerweise im Film selbst schon angelegt. Als Schein- und Doppelmoral und Heuchelei, die der erstaunlich komplexen und für Widersprüche sensiblen Menschlichkeit des vielleicht sogar altersmilden Diptychons „Rimini“ und „Sparta“ nur oberflächliches Ressentiment und routinierte Ranküne entgegenzubringen weiß. Zum Glück nur sehr kurzfristig erfolgreich.