Während im Vorspann noch die Logos der Studios und Produktionsfirmen eingeblendet werden, beginnt die Geschichte von „Nope“ bereits auf der Tonspur. Die Geräusche lassen auf eine Art Feier schließen. Die Stimmung ist fröhlich. Dann aber bricht plötzlich Panik aus. Geräusche der Gewalt machen sich breit. Völlig unvermittelt sieht man einen Schimpansen, der blutverschmiert neben einem leblosen Körper sitzt und sich das Papphütchen vom Kopf reißt. Es dauert einen Moment, bis man erkennt, dass es sich bei diesem Ort des Schreckens um ein Filmset handelt. Doch der Tod und die Gewalt sind keine Illusion für die Kameras. Das hier ist real.
Dieses Ereignis markiert das tragische Produktionsende einer Sitcom. Später wird von diesem Blutbad als einem Spektakel gesprochen, das die Menschen bis heute fasziniert. Damit wäre man auch im thematischen Tiefengrund dieses allegorischen Horrorfilms angelangt, der die Aufmerksamkeitsökonomie der Gegenwart lustvoll zerlegt.
Zunächst aber entwickeln sich die Dinge ganz langsam. Nach dem mörderischen Beginn findet man sich auf einer Farm für Hollywood-Pferde irgendwo in Kalifornien wieder. Nach dem rätselhaften Tod des Vaters, der von einer vom Himmel fallenden Münze erschlagen wird, muss James (Daniel Kaluuya) die Arbeit mit den Filmpferden alleine schultern. Seine quirlige Schwester Jill (Keke Palmer), die im Unterschied zu ihm keine Probleme hat, sich vor Menschen zu präsentieren, ist dabei nur bedingt eine Hilfe. Für sie ist das Geschäft mit den Pferden eher ein Nebenjob. Viel lieber würde sie es im Showbiz ganz nach oben schaffen.
Eine bedächtige Erzählung
Dann allerdings häufen sich seltsame Phänomene. Der Strom fällt aus, die Tiere spielen verrückt und James glaubt, eine fliegende Untertasse gesehen zu haben. Davon überzeugt, mit spektakulären Aufnahmen des UFOs viel Geld verdienen zu können, werfen sich die Geschwister mit Mut und vielen Überwachungskameras in das, was sie für ein Abenteuer halten. Doch bald müssen sie schmerzlich erfahren, dass sie es mit einer sehr gefährlichen Lebensform zu tun haben.
Bevor der Horror sich zur Gänze entfaltet, nimmt sich Regisseur und Autor Jordan Peele ausreichend Zeit, das gegensätzliche Geschwisterpaar einzuführen. Trotz allen audiovisuellen Furors ist „Nope“ ein bedächtiger Film, der die Figuren ernst nimmt. Jill ist laut und unstetig. Ohne jegliches Taktgefühl drängt sie sich in den Vordergrund und will wahrgenommen werden. Mit dem, was sie hat, will sie sich aber nicht zufriedengeben, auch, weil sie mit den Gedanken bereits woanders ist. Wenn man so will, verkörpert sie das Sprunghafte der Internet-Generation, die in aufgekratzter Nervosität die ganze Welt zu einer Bühne machen will.
Die andere Seite der geschwisterlichen Gleichung erinnert durch knurrige Wortkargheit unentwegt an Clint Eastwood. Daniel Kaluuya darf in der Rolle von James den klassischen Westernhelden mittels schwarzer Popkultur dekonstruieren. Selbst angesichts apokalyptischer Bedrohung ist ihm lediglich ein trotziges „Nope“ zu entlocken. James ist anwesend; stets mit beiden Beinen im Staub des ausgetrockneten Bodens, analog altmodisch. Genau diese Charaktereigenschaft ist es, die ihn zur besten Waffe gegen die Bedrohung werden lässt.
Die Gewalt der Schaulust
Was die fliegende Untertasse und dieses Wesen genau ist, spielt keine Rolle. Fest steht, dass es den Tod bringt. An der Unterseite des unheimlichen Flugobjekts befindet sich eine Art riesiges Auge, mit dem das fliegende Raubtier seine Opfer aufspürt. Erwidert man den Blick und stellt sich in selbstbewusster Heldenhaftigkeit der Gefahr, hat man eigentlich schon verloren; man wird eingesaugt und verschlungen. Die unverdaulichen Reste der Mahlzeiten werden alsbald wieder ausgeschieden, was in einer der besten Szenen des Films in einem grausigen Blutregen gipfelt, der sich über der Farm ergießt. Ein Spektakel, um ein todbringendes Staunen zu provozieren. Dieses Ding will, dass man es anschaut und sich ihm dadurch präsentiert. Es benötigt eine Art Komplizenschaft seiner Opfer, eine Einwilligung in die eigene Schaulust.
„Nope“ handelt von der verzehrenden Sehnsucht nach (medialer) Sichtbarkeit. Menschen wollen gesehen werden. Dieses Grundbedürfnis nutzt die außerirdische Lebensform aus. Damit eignet sich das fliegende Auge als furiose Metapher für die Aufmerksamkeitsökonomie, die der Plattformkapitalismus auf die Spitze getrieben hat: alles und jeder wird in Klicks und Likes verrechnet; der Wert bemisst sich nach seiner Digitalisierbarkeit.
Dazu passt, dass sich das Ufo-Wesen in einer am Himmel stillstehenden Wolke versteckt. Eine allmächtige und tödliche Cloud giert letztlich danach, die Welt in sich aufzunehmen. Ein Schelm, der dabei an Google & Co. denkt.
Der Abgrund hinter der "Cloud"
Das Großartige an „Nope“ ist, dass der Film in seiner Kritik nicht unhistorisch ist. Er zeichnet, wie in der Nebengeschichte über den Amok laufenden Affen deutlich wird, die Spuren dieser verzehrenden Gewalt nach, die sich durch das gesamte Showbiz zieht. Was tun wir uns nicht alles an, um sichtbar zu werden? Es ist eine zerstörerische Kraft, die in der Traumfabrik Hollywood auch schon in anderen Formen gewütet hat, weil die Eitelkeit und das Spektakel die Währungen sind, mit denen der fröhliche Eskapismus bezahlt wird, bis am Ende alles nur noch Zeichen ist und die Wirklichkeit von einer Cloud verschluckt wird.