Oussekine
Drama | Frankreich 2022 | 239 (4 Folgen) Minuten
Regie: Antoine Chevrollier
Filmdaten
- Originaltitel
- OUSSEKINE
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Itineraire Productions
- Regie
- Antoine Chevrollier
- Buch
- Antoine Chevrollier · Cédric Ido · Faïza Guène · Julien Lilti
- Kamera
- Benjamin Roux
- Musik
- Evgueni Galperine · Sacha Galperine
- Schnitt
- Camille Toubkis
- Darsteller
- Sayyid El Alami (Malik Oussekine) · Hiam Abbas (Aicha Oussekine) · Malek Lamraoui (Ben Amar Oussekine) · Tewfik Jallab (Mohammed Oussekine) · Slimane Dazi (Miloud Ossekine)
- Länge
- 239 (4 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Serie
Dramaserie um den Tod von Malik Oussekine (1964-1986), einem algerisch-französischen Studenten, der 1986 bei Studentenprotesten durch Polizeigewalt ums Leben kam.
Der 22-jährige Malik (Sayyid El Alami) genießt das Studentenleben. Während es am 4. Dezember 1986 in Paris zu wütenden Studentenprotesten mit fast einer Million Demonstranten und vielen Verletzten gegen ein neues Hochschulgesetz der Regierung Chirac kommt, interessiert sich Malik nicht für Politik. Einen Abend später geht er auf ein Jazzkonzert. Auf dem Heimweg begegnen ihm junge Frauen und Männer, die vor einer mit Knüppeln bewaffneten Motorradstaffel der Polizei fliehen. Die Beamten sitzen zu zweit auf dem Motorrad; der vordere Kollege fährt, der Hintere hält einen 65 Zentimeter langen Holzknüppel in der Hand. Ihre Aufgabe ist, sogenannte Randalierer einzuschüchtern. Die Beamten prügeln wahllos auf Passanten ein, handeln sogar gegen ihren Einsatzbefehl, wenn sie auch zu Fuß Demonstranten verfolgen und verprügeln. Malik Oussekine wird als Unbeteiligter in einem Hausflur so geschlagen, dass er seinen Verletzungen erliegt.
Seine Familie informiert man nicht, sie erfährt von Maliks Tod erst durch die Medien. Mit schon krimineller Energie versuchen führende Polizeibeamte, gedeckt durch den zynischen Minister für Sicherheit Pandraud (Olivier Gourmet), den Fall zu vertuschen. Besonders perfide ist zum Beispiel, wenn ein Fotograf bei der Obduktion der Leiche Aufnahmen in schwarz-weiß macht, weil er angeblich keinen Farbfilm mehr hat. Auch mit solchen Tricks versucht man, die Polizeigewalt zu verharmlosen oder gar völlig abzustreiten.
Mehr als ein engagiertes Polit-Drama
Die Studenten regieren auf den Tod von Malik mit viel Wut und dem Willen, jetzt erst recht weiter zu demonstrieren. Immer wieder rufen sie: „Malik ist tot! Er wurde ermordet!“ In dieser aufgeheizten Atmosphäre wenden sich die Geschwister Maliks an die Justiz. Der älteste Bruder Mohammed (Tewfik Jallab), ein Geschäftsmann, kommt aus Italien zurück und erfährt erst im Taxi von seinem Rechtsanwalt, dass für den Tod seines Bruders Polizisten verantwortlich sind.
Den Machern der Serie um den 1982 geborenen Serienschöpfer Antoine Chevrollier gelingt es von Beginn an packend, die 1980er-Jahre visuell und historisch wieder aufleben zu lassen und aus „Oussekine“ mehr zu machen als nur ein engagiertes Politdrama. Dabei können sie sich auf ein hervorragend aufspielendes Schauspielensemble, u.a. mit Hiam Abbass, verlassen; in Nebenrollen treten Stars wie Kad Merad und Laurent Stocker als engagierte Anwälte oder Olivier Gourmet als eiskalter Minister Pandraud auf. In kurzen Rückblenden erfährt man in exemplarischen wie subtilen Vignetten viel aus dem Leben dieser Einwandererfamilie. Dabei werden die algerische Revolution und das Massaker an algerischen Einwanderern in Paris am 17. Oktober 1961 ebenso angesprochen wie heiterere Ereignisse, wenn die Mutter im Französischen Fehler macht oder der kleine Malik kaum noch Arabisch spricht und sich laufend verhaspelt.
Porträt der zweiten Generation einer Einwandererfamilie
In weiteren Rückblenden wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Maliks Eltern beide Analphabeten waren, während ihre Kinder teilweise sogar studierten und sich in Frankreich so gut integrierten, wie sie nur konnten. Der Schock der Familie, plötzlich auch zur Zielscheibe von rechtsradikalen Rassisten zu werden, die vor Gewalt nicht zurückschrecken, sitzt tief. Auch die Dissonanzen innerhalb der Familie werden deutlich angesprochen. Vor allem Maliks Schwester Sarah will sich von ihren Brüdern nichts mehr vorschreiben lassen, kritisiert sie deutlich. Damit thematisieren die Macher auch die Rolle einer emanzipierten Frau der in Frankreich geborenen zweiten Generation einer Einwandererfamilie und hinterfragen patriarchalische Strukturen.
Insgesamt greift „Oussekine“ die Qualitäten jüngster französischer Politserien wie „Baron noir“ oder „Büro der Legenden“ auf, die sich äußerst kritisch mit Demokratiedefiziten und hierarchischen Strukturen auseinandersetzen, dabei jedoch hervorragend unterhalten. Schockierend in „Oussekine“ ist vor allem auch der Justizskandal, der die letzte Episode ausfüllt, die im Stil eines klassischen „Courtroom Dramas“ inszeniert ist. Nach Malik Oussekines Tod dauerte es noch drei Jahre und brauchte einen Regierungswechsel, bevor es endlich zur Anklage gegen die beteiligten Polizisten kam.
Alle vier Folgen der Miniserie gehen unter die Haut, berühren, wühlen den Betrachter auf und machen wütend. Erschütternd und erschreckend ist dabei nicht nur die Polizeigewalt, sondern auch, wie schwer es in Frankreich fällt, sie mit Mitteln der Justiz zu bekämpfen. Insofern hinterfragt diese Miniserie nicht nur ein historisches Ereignis, sondern auch die französische und westliche Demokratie und ihre Institutionen. Bezeichnend auch, dass es ein amerikanischer Streaming-Gigant ist, der diese Mini-Serie produziert hat und nicht etwa ein französischer TV-Sender.