Es ist ein strategisch wichtiger Ort, über den Schüler allerlei Vermutungen anstellen, der für die meisten jedoch unzugänglich ist: das Lehrerzimmer. Hier finden die Pädagogen einen Rückzugsort. Doch hier müssen sie sich auch mit ihren Kollegen auseinandersetzen, im Guten wie im Schlechten. Wer aus der Schülerschaft wünschte sich nicht, in diesem Raum, in dem über Versetzen und Sitzenbleiben verhandelt wird, einmal Mäuschen zu spielen? Im Kino geht das, und so befasst sich Sönke Wortmann nach „Frau Müller muss weg“ in „Eingeschlossene Gesellschaft“ erneut mit dem Thema Schule. Die nicht ausbleibenden Konfrontationen inszeniert er im klaustrophobischen Ambiente des Lehrerzimmers, dessen Stimmung eher an einen Boxring erinnert. Hier sind nicht nur verbale Schläge erlaubt, sondern rhetorische Tiefschläge sogar erwünscht, und irgendwann setzt es auch physische Hiebe.
Alles beginnt nach Schulschluss an einem Freitagnachmittag mit einem ominösen Klopfen an der Tür des Lehrerzimmers. Das kommt allen sechs im Raum verbliebenen Pädagogen ungelegen, befinden sie sich doch bereits im Wochenend-Modus. Der Klopfer entpuppt sich als Manfred Prohaska (Thorsten Merten), und er kommt mit einer Bitte. Seinem Sohn Fabian fehle nur ein Punkt, um die Zulassung fürs Abitur zu erhalten. Er bittet die Lehrerschaft, insbesondere Fabians Lateinlehrer Klaus Engelhardt (Justus von Dohnanyi), die Entscheidung gegen diesen einen Punkt noch einmal zu überdenken.
Warum Handys an der Schule verboten sind
Als ihm Engelhardt und die Französischlehrerin Heidi Lohmann (Anke Engelke) jedoch überheblich und abweisend begegnen, wedelt Prohaska plötzlich mit einer Waffe vor den Paukern herum und nimmt sie in Geiselhaft. Er schließt alle Türen, befiehlt den sechs Geiseln, die Notenkonferenz noch einmal abzuhalten, und lässt sie im Raum allein. Doch wenn man glaubte, dass die Pädagogen nun eingeschüchtert oder um einen Kompromiss bemüht wären, hat man die Selbstgerechtigkeit der sechs unterschätzt. Wie sich bald zeigt, üben sie keineswegs jene Vorbildfunktion aus, die für ihren Beruf wünschenswert wäre.
Der Film beruht auf dem gleichnamigen Hörspiel von Jan Weiler, der auch Autor des Drehbuchs ist. Die fast ausschließliche Reduzierung auf einen Ort macht „Eingeschlossene Gesellschaft“ zu einem Kammerspiel, ein Genre, das Sönke Wortmann bereits in „Der Vorname“ erforscht hat. Da die sechs Protagonisten buchstäblich von der Außenwelt abgeschnitten sind, prallen in dieser Ausnahmesituation recht bald sechs Egos aufeinander. So kommt beispielsweise der Grund für das – jetzt besonders ungünstige – Handyverbot für Schüler und Lehrer an der Schule zur Sprache. Es geht auf den anwesenden Chemielehrer Bernd Vogel (Torben Kessler) zurück, bei dem Schüler während des Unterrichts Pornos auf dessen Computer entdecken. Das hielten sie auf ihren Handys fest – die in der Folge an der Schule kurzerhand untersagt wurden.
Doch auch die anderen Kollegen haben Dreck am Stecken. Die strenge, zur alten Jungfer stilisierte Paukerin Lohmann hat eine Schülerin geschlagen; der nette Sportlehrer (Florian David Fitz) unterhält eine heimliche Beziehung mit der Referendarin (Nilam Farooq), hatte davor aber auch schon Affären mit Schülerinnen, weshalb er überhaupt an dieser Schule landete. Der scheinbar besonnene Lehrer und Schüleranwalt Holger Arndt (Thomas Loibl) entpuppt sich als Denunziant, und der unübertroffene Unsympath in der Runde, der Prinzipienreiter und Lateinvirtuose Engelhardt, hat Schulgelder veruntreut. All dies stellt sich erst im Laufe der Handlung heraus, was alle anwesenden Lehrer – auch die anfänglich sympathischen – als Heuchler entlarvt.
Stimmiger Plot, fehlender Bezug zur Gegenwart
Der Plot ist stimmig und gut konstruiert und wartet im Fünfminutentakt mit neuen Wendungen auf; auch sind die Dialoge allesamt geschliffen. Was „Eingeschlossene Gesellschaft“ aber fehlt, sind ein Herz und der Bezug zum Heute. Warum soll man sich für eine Gruppe unsympathischer Pauker interessieren, die in Wort und Tat versagen und im Film kaum entlastet werden? Dass auch Lehrer fehlbar sind, ist wohl jedem klar. Hier aber werden sie als komplett holzschnittartige Figuren aufeinander losgelassen. Sie entpuppen sich nur selten als komisch und bedienen auf wohlfeile Weise Vorurteile über Lehrer, die man eigentlich überwunden glaubte.
Lehrer/innen wie Engelhardt und Lohmann, die nur auf Strenge und Prinzipien setzen, gab es in der Bundesrepublik vereinzelt vielleicht sogar noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Nicht von ungefähr stammen die Recherchen für das Hörspiel von Jan Weiler aus dem Jahr 1998. Heute müsste man wohl lange nicht ihnen suchen. Genauso unwahrscheinlich ist eine Ansammlung von Figuren, die allesamt biodeutscher Herkunft sind – schon die Ballung von Vornamen wie Klaus, Heidi, Bernd, Holger und Manfred inklusive deutschen Nachnamen (mit Ausnahme von Prohaska) erscheint wenig plausibel. Als echte Karikatur taugt diese Konstellation deshalb nicht; dazu fehlt dem Film schlicht das anarchische Potenzial. Selbst altbackene Schulfilmklassiker wie „Die Lümmel von der ersten Bank“ wirken im Vergleich dazu sympathischer und turbulenter.
Der Aufhänger von „Eingeschlossene Gesellschaft“, die Note für den Schüler Fabian, entpuppt sich damit als Vorwand für die charakterliche Dekonstruktion der Figuren, die mit griffig-gefälligen Einzeilern unterlegt wird. Glück hat Wortmann hingegen, weil er auf ein kompetentes Schauspielerensemble zurückgreifen kann, allen voran Anke Engelke und Justus von Dohnányi, das dem platten Stoff mit physischem und mimischem Einsatz ein paar gelungene Momente abgewinnt.