Unglaublich, aber wahr

Satire | Frankreich/Belgien 2021 | 69 Minuten

Regie: Quentin Dupieux

Ein Ehepaar erwirbt ein Eigenheim in der Vorstadt, in dessen Keller sich ein Zeittunnel befindet. Wer durch die Luke steigt, reist zwölf Stunden in die Zukunft und wird dabei drei Tage jünger, was insbesondere für die Frau bald zur fatalen Obsession wird. Die schräge Prämisse wird in der absurden Komödie wie selbstverständlich in den Alltag integriert und dient dazu, mit viel Geduld und Einfallsreichtum von einer Midlife-Crisis und bürgerlichen Verirrungen zu erzählen, ohne dass der groteske Humor den tragischen Kern der Geschichte überdecken würde. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
INCROYABLE MAIS VRAI
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Atelier de Production/Arte France Cinéma/Versus Prod./VOO/BE TV
Regie
Quentin Dupieux
Buch
Quentin Dupieux
Kamera
Quentin Dupieux
Musik
Jon Santo
Schnitt
Quentin Dupieux
Darsteller
Alain Chabat (Alain) · Léa Drucker (Marie) · Benoît Magimel (Gérard) · Anaïs Demoustier (Jeanne) · Stéphane Pezerat (Franck Chaise)
Länge
69 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Satire
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Absurde Komödie um ein Haus mit einen Zeittunnel, in dem Menschen drei Tage jünger werden, wenn sie ihn durchschreiten.

Diskussion

Das Haus sieht wirklich schön aus: Zwei Etagen, ein großer Garten und eine Katze, die regelmäßig zu Besuch ist. Doch das eigentliche Highlight, so verspricht es der Makler, sei der Keller. Alain (Alain Chabat) und Marie (Léa Drucker) sind ein bisschen irritiert angesichts seiner Aufforderung, doch bitte in die dort befindliche Luke hinabzusteigen. Schließlich folgen sie dem Makler und kommen über eine Leiter wieder in der oberen Etage des Hauses zum Vorschein. Der Kellerschacht ist ein Zeittunnel. Zwölf Stunden vergehen auf dem Weg. Wer am anderen Ende wieder herauskommt, ist allerdings ganze drei Tage jünger.

Das Absurde gärt langsam

Das Paar kauft das Haus, und die für das Kino von Quentin Dupieux typisch haarsträubende Prämisse nimmt ihren Lauf. Dupieux hat seine eigene, surreal-komische Nische im französischen Kino gefunden. Das Eigenheim, das Verrückte macht, reiht sich nahtlos in sein absurd-minimalistisches Kino ein, hinter Autoreifen mit Bewusstsein („Rubber“), obsessiven Hirschlederjacken-Liebhabern („Monsieur Killerstyle“) oder überdimensionalen Hausfliegen („Eine Fliege kommt selten allein“).

„Unglaublich, aber wahr“ lässt das Absurde so langsam gären, wie es auch die Vorgängerfilme tun. Tatsächlich reden die Figuren oft so lange um den heißen Brei herum, bis das Lavieren selbst zum Schauwert wird. Der Makler baut ein so gewaltiges Gebilde aus Zusatzinformationen um die noch nicht erwähnten Nebeneffekte des Zeittunnels auf, dass Marie und Alain fast vom Stuhl kippen.

Als Alains Chef Gérard (Benoît Magimel) mit seiner Freundin Jeanne (Anaïs Demoustier) zu Besuch ist, wiederholt sich dieses Muster. Hitzig wird diskutiert, ob beim Kaffee der abgesprochene Moment gekommen sei, die Bombe platzen zu lassen, oder ob man vielleicht doch lieber nichts sagen sollte. Doch Gérard ist zu eitel, um sich, oder besser gesagt: seinen Penis nicht zum Mittelpunkt des Abends zu machen. Er hat sich in Japan eine Hightech-Penisprothese implantieren lassen – voll elektrisch, ferngesteuert und passgenau auf sein fragiles Männer-Ego zugeschnitten, dem der Sportwagen und die Dauerkarte für den Schießstand nicht mehr genug sind.

An den Sollbruchstellen des Bürgerlichen

Das Schöne an „Unglaublich, aber wahr“ ist, dass er seine gesellschaftskritische Lesart unmissverständlich offenlegt, sie aber gleichzeitig nie aufdrängt. Dafür ist der Irrsinn, der es sich im gutbürgerlichen Eigenheim bequem gemacht hat, viel zu selbstverständlich. Der hat sich nämlich so gut eingenistet, dass ihm alle, insbesondere Dupieux, bereitwillig die Bühne überlassen.

Natürlich bringt diese Midlife-Crisis der besonderen Art die Sollbruchstellen der bürgerlichen Existenz und die darunter liegende Fäulnis höchst delikat zum Vorschein. Marie ist bald besessen vom Tunnel der Jugend. Nur zwölf Stunden für eine 72-stündige Verjüngungskur opfern zu müssen, wird für sie von einer kleinen Spielerei zur Neuausrichtung ihres ganzen Lebens. Bald kann sie, im Gegensatz zu Alain, spüren, wie ihre Brüste strammer werden. Das ist Motivation genug, ihr Leben im Tunnel zu verbringen und mit dem jungen Körper noch eine Modelkarriere anzustreben. Maries Schicksal und die in ihrer Abwesenheit langsam zerbröckelnde Ehe ist, entgegen aller grotesken Überzeichnung der Figuren und ihrer Lebensumstände, eine genuin tragische Geschichte.

Die Ameisen im Inneren

Die Fäulnis wird buchstäblich, als der zeitverschwendende Jungbrunnen einen verfaulten Apfel, den Marie einmal testweise mitnimmt, zwar äußerlich verjüngt, in seinem Inneren aber mit Ameisen füllt. Was die Bürgerlichen mit erstaunlicher Beharrlichkeit ausklammern, frisst sich langsam in ihr Inneres. Das Geheimnis kennt nur die Katze; die weigert sich allerdings standhaft, es Alain zu verraten.

Das Paar befragt den Hausarzt, ob sich auch menschliche Innereien mit Ameisen füllen könnten. Wieder wird lange um den heißen Brei geredet. Ohne Ergebnis. Den Wahnsinn zu beenden, scheint keine Option zu sein. Vielleicht kann wenigstens der Makler verantwortlich gemacht werden. Nur schade, dass im Vertrag alles geregelt ist: Für die Überbenutzung des Kellers wird keine Haftung übernommen.

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