„Take your exit pill – avoid suffering!“ Wünschen wir uns nicht alle früher oder später einmal, einfach die persönliche Exitstrategie zu wählen und alles hinter sich zu lassen? Aber muss es gleich der finale Exitus sein? „Die with dignity“, so setzt sich nämlich die im gelassenen Ton der BBC-Nachrichtensprecher verbreitete Regierungsbotschaft fort, die alle Freunde und Verwandte, die an jenem fatalen Weihnachtstag auf einem schönen englischen Landsitz versammelt sind, beständig über die sozialen Medien zugespielt bekommen. Kann man der Politik und den wissenschaftlichen Autoritäten wirklich vertrauen? Gibt es kein Entrinnen vor dem sicheren Tod? Und wie geht man um mit seinem letzten Tag auf Erden, mit alten Verletzungen, ewiger Liebe und garstigen Kindern, die unbequeme Fragen stellen?
Die Vorgeschichte: Eine große, grüne, toxische Wolke wurde entdeckt, die zunächst von den Rändern der geopolitischen Wahrnehmung, vom globalen Süden her Vergiftung und unausweichlichen Tod für Mensch und Tier bringt. Manche, wie der allzu liebe Daddy Tony (Rufus Jones) und seine Tochter Kitty (Davida McKenzie), machen „die Russen“ dafür verantwortlich. Art (Roman Griffin Davis), der intelligente Sohn der Gastgeber (Keira Knightley und Matthew Goode), circa zehnjährig, der Greta Thunberg zitiert und nur noch in Flüchen kommuniziert, nennt das ein großes „Fuck you“ an die Menschheit; die geschundene Erde gebe damit bloß allen Müll und Dreck, der ihr jahrhundertelang zugemutet wurde, eruptiv wieder von sich.
Leichen im Keller und Champagner im Glas
So weit gehen die Anteile des (Öko-)Horrors an dieser als Horrorkomödie annoncierten Produktion von Camille Griffin. Die weiteren Entwicklungen jenes Mittags und Abends folgen dann eher den Traditionen grimm-komischer britischer Friends-and-Family-Filme irgendwo zwischen „Peter’s Friends“ und „Gosford Park“. Alle haben ihre Leichen im Keller, (fast) alle finden sich gegenseitig herzlich unnötig, und doch wahrt man weitgehend die Form (keiner eleganter als Matthew Goode!) und prostet sich dauernd mit Champagner zu.
Erschreckend gut gelingt dem Film das Spiel mit Wahrnehmungen und Erwartungen der Zuschauer, die während der Exposition (Vorbereitungen im Haus und Eintreffen der Gäste) noch nichts vom Verhängnis ahnen und also irritiert gewisse seltsame Verhaltensweisen und mimische Entgleisungen (insbesondere von Keira Knightley) konstatieren. Im weiteren Verlauf kann man die zumeist hübsch in Pärchen gegliederte Gesellschaft dabei erleben, wie sie gemeinsam durch alle Phasen des Sterbens, von der Verleugnung bis zur Resignation, geht, Einzelne dabei auch die großen menschlichen und moralisch-theologischen Fragen streifend. So ist zum Beispiel Sophie (Lily-Rose Depp) schwanger und lehnt jene Exit-Pille für sich vehement ab, da sie so zur Mörderin ihres ungeborenen Kindes würde. Ihr Freund, der Klinikarzt James (Sope Dirisu), und alle anderen haben ihre liebe Not mit ihr.
„Silent Night“ zeichnet sich jedoch positiv dadurch aus, dass solche theoretisch-diskursiven Passagen (hat die Regierung einen Plan, oder hat sie längst alle ins Desaster geführt?) eher kursorisch bleiben, während die burlesk-tragikomischen Aspekte aufs Ganze gesehen überwiegen. Sehr präzise und zugleich amüsant gibt etwa Matthew Goode das Porträt des perfekten englischen Gentlemans, der bis zuletzt und immer verzweifelter versucht, die leichten Haarrisse in Putz und Fassade des Zwischenmenschlichen zu übertünchen.
Segen für eine unselige Welt
Und nicht zuletzt weist „Silent Night“ - ein Weihnachtsfilm trotz alledem - zu seinem vergiftet-nostalgischen Soundtrack voller Klassiker zur Jahreszeit auch eine eher untergründige religiöse Motivspur auf – von der Schwierigkeit, einer unseligen Welt den Segen zu geben, sowie vom Blut des Einen, der den Tod überwindet. Alles Vergängliche ist vulnerabel, verletzlich wie das Kind in der Krippe. Das Finale hält dazu eine veritable Überraschung parat, die – sieht man den Film ebenfalls mit Freunden und Familie – für viel Gesprächs- und Diskussionsstoff sorgen dürfte.