Faking Hitler
Drama | Deutschland 2021 | 277 (6 Folgen) Minuten
Regie: Wolfgang Groos
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- UFA Fiction
- Regie
- Wolfgang Groos · Tobi Baumann
- Buch
- Tommy Wosch · Annika Cizek · Dominik Moser
- Kamera
- Ahmet Tan · Philipp Kirsamer
- Schnitt
- Guido Krajewski · Stefen Rocker
- Darsteller
- Lars Eidinger (STERN-Reporter Gerd Heidemann) · Moritz Bleibtreu (Konrad Kujau) · Sinje Irslinger (Elisabeth Stölzl) · Hans-Jochen Wagner (Felix Bloom) · Daniel Donskoy (Leo Gold)
- Länge
- 277 (6 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; nf
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama | Satire | Serie
Heimkino
Sechsteilige Serie um die Veröffentlichung der vermeintlichen Hitler-Tagebücher in der Zeitschrift „Stern“, die sich kurz danach als Fälschung entpuppten.
„Schtonk!“, mochte man beinahe verwundert ausrufen, als publik wurde, dass sich eine Allianz aus Bertelsmann, RTL und UFA daranmachte, den alten Fall um die gefälschten Hitlertagebücher dramaturgisch neu zu verhandeln. Der Skandal schlechthin in der deutschen Presselandschaft der 1980er-Jahre sollte zeitgemäß seriell wieder aufgerollt werden. Anscheinend wollte man die Gunst der Stunde nutzen: den unheiligen Pas-de-deux von Sensationspresse und einem Publikum, das die Produkte des Qualitätsjounalismus weitgehend nicht mehr schätzt; dazu ein gefühltes oder tatsächliches Erstarken neuer rechter Kräfte in Staat und Gesellschaft; Fake News, damals wie heute. Die Welt will betrogen sein.
Dabei hätte „Faking Hitler“ leicht zu moralischem Bildungstheater oder zur Geschichtsstunde für die Mittelstufe geraten können. Zum Glück ist die sechsteilige Doku-Fiction-Serie (Drehbuch/Showrunner: Tommy Wosch) weit mehr als das: amüsant, anspruchsvoll unterhaltsam, trotz der Länge im Vergleich zum Spielfilm durchaus dynamisch orchestriert und teilweise glänzend gespielt!
Moritz Bleibtreu als begabter Fälscher
„Stern“-Reporter Gerd Heidemann (Lars Eidinger) ist ein waschechter Investigativjournalist, der schon einige Scoops geliefert, aber auch eine fatale Faszination für Trophäen des Dritten Reichs hat. Konrad Kujau (Moritz Bleibtreu) ist ein begabter Künstler und Nonkonformist mit einer Schwäche für starke Frauen und einem notorischen Geldproblem. Beide leiden ein wenig unter moralischer Sehschwäche. Ein reicher Industrieller und Militaria-Sammler, mit dem sie windige Geschäfte machen, stellt den Kontakt her, und so nimmt das seinen Lauf, was als „die wohl größte Eulenspiegelei der Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet worden ist.
Nachdem ihm ein kurzer handschriftlicher Vermerk Hitlers auf einem gefälschten Bild (ein Akt!) staunenswert gut gelungen ist, deutet Kujau Heidemann gegenüber an, wo das war, da sei noch mehr, und tischt ihm eine abenteuerliche Geschichte von Tagebüchern in Stahlkisten aus einem abgestürzten Flugzeug auf DDR-Gebiet auf. Heidemann, ständig unter Druck, den nächsten Knüller zu liefern, beißt an, beauftragt Kujau, so viele Bände wie möglich in den Westen zu schaffen, und versorgt seinen Partner großzügig mit Geld, im Vorgriff auf die weltweite Pressesensation.
In der „Stern“-Redaktion ist man zunächst sehr skeptisch. Der Chefredakteur Michaelis (Richard Sammel) lehnt jede Verantwortung für die Story ab; es droht eine Meuterei der anderen Ressorts. Doch der kaufmännische Geschäftsführer Dreier (Spitzname „Geldsack“) (Ronald Kukulies) lässt Heidemann und seinen Kollegen Bloom (Hans-Jochen Wagner) weitermachen. Und so muss Kujau in Windeseile eine enorme Menge der inhaltlich, stilistisch und grafologisch täuschend echten Tagebücher fabrizieren, in Nachtsitzungen auf seinem Trödelhof im Schwäbischen, unterstützt, aber auch überwacht von seiner eifersüchtigen Gattin Agnes (Britta Hammelstein).
Das Schlitzohr im Biedermann
Die Art und Weise, in der Bleibtreu dieser einmaligen Figur dermaßen glaubwürdig, rund und „echt“ menschliches Leben einhaucht, das Schlitzohr im Biedermann, die treue Seele im Durchgänger hervorbringt, das ist schlicht grandios und, womöglich, die Rolle seines Lebens!
Derweil recherchiert und verhandelt Heidemann die Story seines Lebens; er trifft sich in Begleitung von Edda Göring (Jeanette Hain) mit einer Cousine Hitlers in Boston (um sich die Abdruckrechte zu sichern – Ordnung muss sein), und er reist zusammen mit Bloom sogar ins tiefste Sachsen, wo er mit der freundlichen Hilfe zweier MfS-Mitarbeiter nach weiteren Schätzen gräbt (eine der etwas weniger überzeugenden Wendungen der Serie).
Doch Heidemann scheint damals alles zu gelingen; er lebt, kurzzeitig, die Leichtigkeit des Seins, vergisst darüber aber jegliche Kontrollmechanismen guter journalistischer Praxis. Alle, die etwas zu verbergen haben in dieser Geschichte, heißen „Michael“ – oder hatten mal einen guten Freund dieses Namens. Heidemann merkt es nicht und wird schließlich von allen getäuscht – die eine tragische Figur in dem Drama. Ob und wie sehr er sich über Kujaus Fälschungswerk dann doch im Klaren war, das bleibt sinnigerweise unaufgedeckt.
Alle sind fehlbar
Es gibt bei „Faking Hitler“ einen interessanten und innovativen Nebenstrang der an sich bekannten Handlung. Die Jungjournalistin Elisabeth Stöckel (Sinje Irslinger) heuert um diese Zeit beim „Stern“ an. Sie erlebt viel zeit- und vielleicht auch branchentypische Diskriminierung als Frau („Ah, die neue Kollegin vom Ressort ‚Fick und Strick‘!“), darf aber schließlich ihr eigenes Stück recherchieren und texten. Wieder dreht es sich um unappetitlich Braunes: Es geht das Gerücht, dass der Schauspieler Horst Tappert bei der Waffen-SS gewesen sei. Stöckel geht der Sache mithilfe eines jüdischen Freundes (Daniel Donskoy) nach, doch als sie die Büchse der Pandora öffnet, erblickt sie ein allzu vertrautes Gesicht – das ihres Vaters, eines renommierten Juraprofessors (Ulrich Tukur). Obwohl der Verdacht gegen ihn, ebenfalls ein Kriegsverbrecher zu sein, sich mehr und mehr erhärtet, vergisst auch Stöckel die gute Praxis und verurteilt ihn ohne akribische Recherche – alle sind sie fehlbar in diesem Stück um Geschichte und Moral.
Flankiert von einem umfangreichen informativen Podcast-Angebot und getragen von einer Riege bestens disponierter Darstellerinnen und Darsteller, unterlegt mit einem kommentierenden Soundtrack (erst Jazz von Helmut Zerlett, dann vermehrt 1980er-Pop), verbindet die Serie das Angenehme mit dem Nützlichen: ein amüsantes Lehrstück über historische Fiktionen und biografische Korrekturen im späten Nachkriegsdeutschland, dazu pikante, anregende Häppchen von Wahr und Falsch aus einer Presselandschaft, die damals darauf und daran war, ihre professionelle wie moralische Höllenfahrt vorzubereiten (wenige Jahre vor der Berichterstattung über das Geiseldrama von Gladbeck). Lars Eidinger ist gewohnt gut, wandlungswilliger noch als sonst. Endlich ist auch ein Rätsel gelöst, das viele umgetrieben hat: „FH“ – Führers Hand? Führers Hund? Führerhauptquartier? Oh nein: Faking Hitler!