Was der Junge neben ihm „Macho“ nennt, hat der alte Cowboy längst hinter sich gelassen. Ein Zeitungsausschnitt, der für wenige Sekunden zum Leben erwacht, erinnert noch an seine Tage beim Rodeo. Das Familienfoto daneben an das Ende dieser und anderer schöner Tage. Den Schmerz über den Verlust von Frau und Sohn konnte Mike (Clint Eastwood) weder wegtrinken noch mit den Schmerzmitteln und Pillen hinunterschlucken. Heute versteckt er ihn unter seiner Hutkrempe. Nicht gut genug, um seinen Job als Pferdetrainer zu behalten. Aber gut genug, um noch auf der Ranch seines ehemaligen Chefs Howard (Dwight Yoakam) geduldet zu werden.
Mit Tieren kann Mike noch immer, Menschen aber tauchen in seinem Leben kaum mehr auf. Bis Howard eben den Gefallen einfordert, den ihm Mike für die vielen Jahre auf der Ranch schuldet. Der alte Cowboy soll seinen entfremdeten Sohn aus Mexiko entführen oder, wie er es nennt: „nach Hause bringen“. Der 13-jährige Rafo (Eduardo Minett) lebt eigentlich bei seiner Mutter, meist aber auf der Straße, wo er mit seinem Gockel „Macho“ an illegalen Hahnenkämpfen teilnimmt. „All the bad stuff happens at home“, sagt er zu Mike, als dieser ihn fast ohne Probleme ausfindig macht und mitnimmt.
Keine Zeit für Schönheitskorrekturen
Eastwood hakt all das als Regisseur in einer grob zusammengestutzten Exposition ab, so wie er überhaupt all das abhakt, was andere Filmemacher wohl ausgeweitet, geschliffen und abgerundet hätten. Die Suche nach dem verlorenen Sohn gelingt beim ersten Anlauf. Der als schwierig und unnahbar angekündigte Straßenjunge ist weit zutraulicher als der alte Mann, der ihn nach Hause eskortieren soll. Seine Mutter Leta (Fernanda Urrejola), die ohnehin eine rätselhaft artifizielle Figur im Gefüge des Films bleibt, ist schnell vergessen, und die Schergen, die sie dem Duo auf den Hals hetzt, sind genauso schnell abgehängt wie die mexikanische Bundespolizei. Als Mike und Rafo einmal ihr Auto wieder einräumen, das besagte Bundespolizei gerade entleert und vom Handschuhfach bis ins Polster durchsucht hat, bleibt ein Stück Decke aus dem Kofferraum hängen. Mike sieht es, winkt aber nur genervt ab – er hat andere Sorgen.
Eine Reaktion, die emblematisch für diesen Film ist, der keine Zeit mit Schönheitskorrekturen verbringt. Wenn Rafo und Mike von den Schergen Letas oder der Polizei gestellt werden, gibt es keine Verfolgungsjagden, kein mit Suspense inszeniertes Ringen um einen Ausweg und keine wirklichen Handgreiflichkeiten. Wenn doch, übernimmt Rafos Gockel „Macho“ den Part, der eigentlich prädestiniert dazu wäre, ihn mit der Faust oder dem Revolver auszufechten. Meist reichen dazu einfache Gesten, die wie eine Absage an Suspense und Action wirken. Als das Duo nach einer Panne im Restaurant einer Kleinstadt untertaucht, vertreibt die Besitzerin Marta (Natalia Traven) die neugierige Polizei, indem sie das Ladenschild auf „geschlossen“ umdreht. „Cry Macho“ hat die Ruhe weg. So sehr, dass Eastwood/Mike sich nach dem Essen noch Zeit für eine Siesta nimmt. Der Film macht das gleiche, legt eine lange Pause in der mexikanischen Kleinstadt und im Jahr 1979 ein. Rafo lernt das Reiten auf den Pferden, die Mike für den örtlichen Züchter trainiert, wenn er mal nicht den örtlichen Tierarzt mimt, mit Marta Tortillas backt oder mit ihr wieder das Tanzen lernt.
Eine sanfte Erlösungsgeschichte
Eastwoods Vision ist eine sanfte Erlösungsgeschichte, eine Wohltat für einen alten Cowboy, der selten gnädig war und vom Leben selten Gnade erfahren hat. Ob er noch an Gott glaube, wisse er nicht, sagt er einmal. Wahrscheinlich schon. Ein Rest von Misstrauen, den man wahlweise Eastwood oder seiner Hauptfigur zuschreiben kann, ist ebenso geblieben wie der Schmerz des Verlusts. Eine neue Familie zu finden, denn genau das ist es, was Mike und Rafo in Mexiko tun, heißt für den greisen Cowboy auch, sich wieder diesem Schmerz zu öffnen. Ein einziges Mal wird dieser unter dem Cowboyhut sichtbar, als die Tränen aus dessen Schatten über Mikes Gesicht laufen. Eine Szene, die das ganze Gewicht verdeutlicht, das Eastwood mit seinen 91 Jahren hinter jede Geste zu bringen vermag, ohne dafür brillantes Schauspiel, dramatische Zuspitzung oder gar einen besonderen Feinschliff zu brauchen. Es gelingt allein mit der den Film durchdringenden Beharrlichkeit, die man eigentlich Sturheit nennen müsste, wenn sie nicht so sanft und gütig daherkäme.
Auch wenn er schlichtweg zu alt ist, um diese Hauptfigur zu spielen, die noch immer auf dem Rücken eines wilden Pferdes herumturnt und allen Frauen zwischen 30 und 60 Jahren die Knie weich werden lässt, wird Eastwood doch getragen von dieser, seiner hartnäckig sanften Vision. Lukas Foerster hat das Spätwerk Eastwoods einmal ein „nachgeholtes Frühwerk“ genannt. Mit der Eigenwilligkeit eines solchen Frühwerks und der unerschütterlichen Ruhe des Altmeisters findet Eastwood in „Cry Macho“, einem weiteren Abschiedsfilm, der vielleicht doch noch kein Abschiedsfilm ist, eine in seinem Werk seltene Sentimentalität, die jede Idee von „Macho“ für ein Idyll hinter sich lässt, das für jeden Konflikt eine solidarische und gütige Lösung in Aussicht stellt – nach der Siesta.