„Jeden Morgen kommen sechs alte Fischer ins Bryggjan-Café. Sie trinken Kaffee und besprechen dabei die Probleme der Welt. Das dauert ungefähr eine Stunde. Am nächsten Tag machen sie weiter – und finden dann vielleicht eine andere Lösung.“ Wenn die beiden Brüder Alli und Krilli von ihren Stammgästen erzählen, dann in lakonischer Kürze, mit viel Humor und Verständnis. Alli und Krilli waren in ihrem früheren Leben Netzmacher: sie haben Fischnetze hergestellt. Ihre Heimatstadt Grindavik zählte nicht einmal 500 Einwohner – heute sind es sieben Mal mehr.
Früher waren fast alle Männer im Ort Fischer und es gab einen Wettbewerb der Fischerboote um den größten Fang – die Ehrentafel dazu hängt im Café. Sie beginnt 1945 und endet 1982, als es kaum noch Fische gab. Mit der Einführung der Fangquoten habe sich das Interesse der Einheimischen von den Fischerbooten auf den Fußball verlegt, sagt Krilli. Die Fischbestände haben sich zwar nicht sonderlich erholt, doch Grindavik lebt dennoch noch immer vom Fischfang.
Alli versorgt die Gäste, Krilli steht am Herd
Die Südküste Islands ist rau und stürmisch, die Atlantikwellen peitschen gegen die Kaimauern des Hafens, Schnee- und Graupelschauer gibt es zu allen Jahreszeiten. Das Wetter sei der größte Gegner der Fischer, sagt Alli. Am Strand liegen Schiffswracks; die Fischerboote im Hafen tanzen auf den Wellen, und der Vulkan um die Ecke droht auszubrechen. Doch im Café ist es warm und gemütlich, die Welt bleibt draußen. Alli sorgt für die Gäste und für gute Laune; er organisiert das Kulturprogramm, einschließlich der „Chronikabende“, an denen die Gäste von früher erzählen und die Erinnerung an die Verstorbenen aufrechterhalten.
Am Tresen steht Krilli, der sich mit seiner Frau Björk ums Essen kümmert und jeden Morgen die frische Hummersuppe kocht, mit der das „Bryggjan“ berühmt wurde. So berühmt, dass jeden Tag mehr Reisebusse vorfahren. Sie bringen Touristen in das Café. In der Nähe liegt die „Blaue Lagune“ – Bláa lónið, ein Thermal-Badesee und eine der größten isländischen Attraktionen.
Doch nicht nur Touristen, sondern auch die Investoren aus Reykjavík wurden auf das kleine Café aufmerksam. Die Versuchung ist groß. Alli und Krilli sind mit ihrem Café alt geworden, sie öffnen jeden Tag um sieben Uhr morgens und schließen um 23 Uhr. Die Sieben-Tage-Woche hat Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen. So etwas wie Urlaub kennen sie nicht; Björk möchte lieber jetzt als später zurück nach Reykjavík, wo ihre Familie lebt. Sie werden ein Angebot erhalten, das sie nicht abschlagen können. Am Ende ist das „Bryggjan“ verkauft.
Mit einer großen Gelassenheit
Die beiden spanischen Filmemacher Pepe Andreu und Rafael Molés lassen sich sehr viel Zeit. So entspannt, wie sie das Café zeigen, das eigentlich mehr eine Kneipe ist, so entspannt ist auch ihr Film „Lobster Soup“: meditativ, ruhig, gemütlich. In gemächlichem Tempo geht es los, und so bleibt es dann. Wohlige Wärme breitet sich auf der Leinwand aus und strahlt aufs Publikum. Andreu und Molés schaffen eine Atmosphäre großer Gelassenheit, die für manchen vielleicht ein bisschen zu bedächtig wirkt. Doch wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird mit einem originellen und durchaus anspruchsvollen Werk belohnt, in dem sich Kunst und Handwerk zu einer harmonischen Einheit verbinden.
Eigentlich verströmt der Film eine eher ungewohnte Abgeklärtheit, die man nicht mit Leidenschaftslosigkeit verwechseln sollte. Unterstützt wird die Wirkung von klassischer Musik, etwa Bach und Chopin, in leicht verjazzter Form und mit einfachen Rhythmen auf Instrumenten, zu denen auch die singende Säge und eine Art Klavichord zählen.
Diese Abgeklärtheit passt zu einem Film, dessen großes Thema die Vergänglichkeit ist. Die betrifft Menschen, Berufe, Musik und eben auch Cafés. „Alles hat seine Zeit“, sagt Alli. Andreu und Molés lassen vor allem die beiden Brüder sprechen und zeigen dazu Bilder aus Grindavik und der Umgebung, vom Hafen und natürlich immer wieder vom Café, innen und außen: die lustig bunten Fähnchen über den Fenstern, die im ewigen Wind klappern und flattern; das Haus, in dem sich das „Bryggjan“ befindet, ein mittelhässlicher Zweckbau, vermutlich aus den 1960er- oder 1970er-Jahren, dessen eine Hälfte – die mit dem Café – gelb angestrichen ist.
Ein Boxer und der Übersetzer von Don Quichote
Die ehemalige Halle, in der Netze hergestellt und repariert wurden, wird vor allem für Besprechungen genutzt; das Café selbst ist relativ klein. Die Kamera schweift häufig über die Inneneinrichtung, die aus vielen originellen Einzelteilen besteht, von denen vermutlich jedes eine eigene Geschichte hat. Doch im Vordergrund stehen die Menschen. Ein paar Kapitel des Films, die sorgsam und liebevoll mit Inserts in Schreibschrift vorgestellt werden, sind Stammgästen gewidmet. Dazu gehört etwa der letzte Boxer von Grindavik, ein besonders findiger Geschäftsmann, der aus allem Geld macht, sogar aus Fischköpfen oder den Daunen, mit denen die Vögel ihre Nester auspolstern; aber auch der Übersetzer von Don Quichote ins Isländische. Sie alle tragen zu einer Atmosphäre bei, die von Nostalgie und Melancholie geprägt ist, aber auch von dem knorrigen Humor der Menschen, die hier in der Abgeschiedenheit leben.
Wenn am Ende das Café verkauft ist, dann endet – für alle sichtbar – nicht nur ein Kapitel, sondern eine Ära. Die Bilder sprechen für sich. Ein alter Mann badet allein in der Lagune, eine Trauerfeier in der Kirche, einsame Fischer. Das Café scheint keine Rolle mehr zu spielen. Es ist vielleicht noch da, aber es existiert nicht mehr in der kleinen Gemeinschaft. Nur der ewige Wind fegt durch die leeren Straßen. Am Ende sieht man Alli zu Besuch im Altersheim beim alten Boxer Askell, der jetzt hier lebt. Sie erzählen sich Geschichten über Verstorbene.