„Zimt?!“ Eigentlich ist Manceron ein Koch von eher ruhigem Gemüt. Wenn er in seiner eigenen Ecke an zeitaufwändigen Gerichten arbeitet, kann er den Trubel in der Küche gut ausblenden. Doch der schwergewichtige Mann hat auch Temperament; ein Küchenjunge bekommt das zu spüren, als er das Fleisch mit dem exotischen Gewürz bestreut und damit jeden Geschmack erstickt, wie der Koch erzürnt registriert.
Allerdings überrascht diese Unsitte Manceron nicht wirklich; schließlich sind die französischen Adligen des späten 18. Jahrhunderts auch nicht weniger gepudert als das Stück Fleisch. Nach dem Essen an die Tafel seines Herrn, des Herzogs von Chamfort, gerufen, erwartet ihn eine Ansammlung von Prachtexemplaren der privilegierten Klasse, deren liebster Zeitvertreib neben dem Luxus und den edlen Speisen im Austausch von Bonmots besteht. In schönster Tradition von Patrice Lecontes „Ridicule“ fliegen auch zu Beginn von „À la Carte!“ die gewitzten Sprüche als Lob der Kochkunst hin und her, bis ein Tischgast Mancerons ganzen Stolz, ein eigens kreiertes Dessert, dem Gespött preisgibt.
Da sich die Stimmung gegen den Koch und damit auch gegen den Herzog kehrt, fordert dieser eine Entschuldigung von Manceron, der aber stolz bleibt und schweigt – und damit prompt seine Stelle verloren hat; zusammen mit seinem Sohn muss er in seine Heimat zurück.
Gehorsam vs. Selbstbestimmung
Die vorrevolutionäre Epoche bietet mit ihrer schwelgerischen Dekadenz für filmische Rekonstruktionen eine dankbare Vorlage. Regisseur Éric Besnard weicht in seiner historischen Komödie allerdings schnell von der Richtung ab, die Vorbilder wie „Vatel“ von Roland Joffe eingeschlagen haben. Es geht Besnard um den Konflikt zwischen Gehorsam und Selbstbestimmung, der sich im Mancerons Dilemma manifestiert. Dieser ist kein Revolutionär avant la lettre, der den Adel von der Spitze des Staates fegen will; seine Integrität als Koch begehrt jedoch gegen zwei Prinzipien auf: immer nur dieselben Gerichte zuzubereiten und dabei außerdem fremdländische Zutaten zu bevorzugen. Mancerons Herz schlägt hingegen für die heimische Küche, für Variation und Kreativität.
Doch auch ein Koch muss sich sein Essen verdienen. Außer reichen Schlossbesitzern kann Manceron sich keine anderen zahlenden Gäste vorstellen. Zurück in der heimatlichen Auvergne eröffnet er die Poststation seines Vaters wieder und will dort ausharren, bis der Herzog einlenkt und ihn zurückberuft. Von dem, was sein Sohn Benjamin gelegentlich über Rousseau, den freien Willen und bevorstehende Volksaufstände von sich gibt, will er demonstrativ nichts wissen.
Auch beim Kochen will er vorläufig pausieren. Doch die Poststation liegt zu günstig am Weg und sein Berufsethos ist zu hoch. Bald gibt es doch wieder mehr als Suppe und Wasser, das Manceron den Reisenden vorsetzt, die eine anständige Verpflegung wünschen. Unterstützt von Benjamin und einer Frau namens Louise, die eines Tages auftaucht und sich als Lehrling hartnäckig aufdrängt, schafft der Koch unbeabsichtigt die Voraussetzungen, um auch ohne die Gunst eines adligen Herrn seine Kunst ausüben zu können.
Das erste französische Restaurant
Mit der einschränkenden Erwartung, immer das gleiche produzieren zu sollen, dürfte sich auch Éric Besnard gut auskennen. Bislang wurde er als Regisseur und Drehbuchautor (auch für andere Filmemacher) vor allem mit Actionthrillern wie „Cash Truck“ und leicht gestimmten Komödien wie dem Kassenerfolg „Birnenkuchen mit Lavendel“ assoziiert. Das historische Sujet bei „À la carte!“ ist an sich schon eine Überraschung. Aber noch mehr verblüfft, wie konsequent und sorgsam Besnard die (fiktive) Entstehungsgeschichte des ersten französischen Restaurants als kultivierte Unterhaltung angelegt hat. Zwar nutzt er auch die Möglichkeiten, die Opulenz der adligen Tafeln vorzuführen, doch auch die vergleichsweise einfachen Gerichte im ländlichen Ambiente bildet die Kamera von Jean-Marie Dreujou nicht weniger einprägsam ab, sodass sich fast impressionistische Stillleben von Kaninchen, Äpfeln und Brot ergeben.
Auch bei den Figuren strebt Besnard kein umfassendes Sittengemälde an, sondern entfaltet die Handlung vor allem über intime Szenen mit wenigen, präzise geformten Charakteren. Vor allem die Beziehung zwischen Manceron und der mysteriösen Louise, die unbedingt bei ihm kochen will und ihm unwahrscheinliche Geschichten als Erklärung auftischt, verläuft über sinnliche Momente des gemeinsamen Werkelns in der Küche, in denen sich die Faszination anspruchsvoll gestalteter Mahlzeiten unmittelbar offenbart. Ähnlich eindringlich gelingt dem Film auch die Wiederbegegnung zwischen Koch und Herzog, ein melancholisches Tête-à-Tête zwischen zwei Männern, die gleichermaßen für exquisites Essen leben, die aber der Stand trennt und ihre Eitelkeit entzweit hat.
Raum für Überraschungen
Der selbstmitleidige Edelmann ist eine Steilvorlage für den Schauspieler Benjamin Lavernhe, der sich seit seinem filmischen Durchbruch mit „Birnenkuchen mit Lavendel“ im Kino auf komisch gebrochene Egozentriker spezialisiert hat, hier aber durch die Unfähigkeit seiner Figur, ihren Dünkel abzustreifen, von einer gewissen Tragik umflort ist. Ähnliches gilt für Manceron, den Grégory Gadebois als gemütvollen, aber verletzlichen Menschen spielt, der oft still bleibt, auch wenn die Demütigungen ihn innerlich brodeln lassen. Dankbar ist auch die Rolle der Louise mit ihrem introvertierten Erscheinungsbild, hinter dem sie ihre wahre Motivation verbirgt, für Isabelle Carré; zudem erlaubt es diese Figur Besnard und seinem Co-Autor Nicolas Boukhrief, den Plot mehrfach in neue Richtungen zu treiben. Denn wie bei einem gelungenen Menü sind die Zutaten von „À la Carte!“ nicht nur gut ausgewählt und fein aufeinander abgestimmt; sie lassen auch Raum für geschmackvolle Überraschungen.