Visit, or Memories and Confessions
Dokumentarfilm | Portugal 1982 | 73 Minuten
Regie: Manoel de Oliveira
Filmdaten
- Originaltitel
- VISITA OU MEMÓRIAS E CONFISSÕES
- Produktionsland
- Portugal
- Produktionsjahr
- 1982
- Produktionsfirma
- Instituto Português de Cinema
- Regie
- Manoel de Oliveira
- Buch
- Manoel de Oliveira
- Kamera
- Elso Roque
- Schnitt
- Manoel de Oliveira · Ana Luísa Guimarães
- Länge
- 73 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Essayistischer Dokumentarfilm, in dem sich der portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira mit der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzt.
Der portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira (1908-2015) war ein Monolith, als Mensch und Künstler ein Geheimnis. Um diese Aura und den Versuch, die Vergangenheit für die Zukunft, das Leben nach dem Tode (auch in christlicher Deutung) festzuhalten, kreiste sein Filmschaffen. Die vor 40 Jahren realisierte autobiografische Dokumentation „Visita ou Memórias e Confissões“, international unter dem Titel „Visit, or Memories and Confessions“ bekannt, verstand Oliveira als Vermächtnis.
Entstanden ist der Film 1981/82, in aller Stille, nach dem Liebesdrama „Francisca“, dem Abschluss der Tetralogie der frustrierten Lieben. Die von Teresa Madruga und Diogo Dória gesprochenen Texte stammen von der Autorin Agustina Bessa-Luís. Gedreht wurde in Oliveiras Haus in Porto, das er Anfang der 1980er-Jahre im Nachgang der Nelkenrevolution, nach dem Verlust der väterlichen Textilfabrik, wegen finanzieller Engpässe veräußern musste. „Visita ou Memórias e Confissões“ sollte bis zu seinem Tod unter Verschluss bleiben. Nur eine Ausnahme gestattete der Erblasser: im Oktober 1993 anlässlich einer Retrospektive in der Lissabonner Kinemathek, im engsten Kreis mit persönlicher Einladung. 2015, nach de Oliveiras Tod, fanden dann Aufführungen in seiner Heimatstadt und beim Festival in Cannes statt.
Geschichtsschreibung & Gewissensforschung
Der 73-jährige Filmemacher erzählt die Geschichte seines Lebens, seiner künstlerischen Arbeit. Wie ein Philosoph stellt er eine Meditation über die portugiesische Geschichte, eine Gewissenserforschung im religiösen Sinn an. Aus der Familienchronik entsteht das Porträt der katholischen Oberschicht des Landes – seiner Großgrundbesitzer, Unternehmer und der Bohème. Dieser unsentimentale Abschied von einer Epoche dokumentiert das Verschwinden der Dinge, vermittelt eine Botschaft (eine „mensagem“, wie sie sein Landsmann, der Dichter Fernando Pessoa 1934 unter anderen Vorzeichen verfasste). Im Zeichen der zweimal blühenden Magnolie, die vor dem Haus steht, beinhaltet die Liebeserklärung an seine Frau Maria Isabel eine Reflexion über Glück und Trauer.
Der zeitliche Rahmen des Essays reicht vom Morgen bis zum Abend. Das Haus fungiert als Inspirations- und Arbeitsstätte, in die sich de Oliveira wie in eine Mönchszelle zurückzog. Mit dem Hausverkauf droht der Verlust der Heimat, die Entwurzelung. Trotzdem intoniert der Filmemacher eine Hymne auf das Leben und die Kunst, auf das Kino. Fiktion ist für ihn die einzige Realität und Wahrheit im Kino. Seine „metaphysische“ Reise dauert 68 Minuten und ist ein Bekenntnis seiner Überzeugungen, der Erinnerungen an Portugals bescheidene Filmindustrie, an die persönliche Erfahrung mit der Salazar-Diktatur.
„Das ‚Ich‘ ist ein anderer, der vor mir steht“
Das Epitaph über die Bürde und Würde der menschlichen Existenz räsoniert auch über die vielzitierte „Saudade“, diese spezifisch portugiesische Krankheit vom Verlust der inneren Balance, vom Niedergang der großen Nation, der Großmachtfantasien, die Welt zu beherrschen. „Ich spreche nie von mir. Nicht einmal in meinem Film VISITA – MEMÓRIAS E CONFISSÕES spreche ich von mir. ‚Ich‘ ist ein anderer, der vor mir steht. Ich spreche von einer anderen Person. Das ist eine Verdopplung, um sich selbst wie in einem Spiegel zu sehen“, formulierte es Oliveira einmal.
Der Film gibt zwei Blickrichtungen vor. Zum einen die der unsichtbaren Hausbesucher, zum anderen die des Eigentümers, de Oliveira, der sich direkt an den Zuschauer wendet. Die Kamera fährt an Bäumen vorbei auf ein altes, architektonisch ansprechendes Haus zu. Als die Türe aufgeht, sieht man im Gang nach innen das Wohnzimmer. Das Fenster bietet einen Blick auf den Garten, will eine Öffnung in die Ewigkeit sein. Ein Schiffsmodell, Symbol für Land und Meer, und ein Sessel repräsentieren die Seele des Hauses. Wir tragen alles in uns, seit der Kindheit, heißt es. Dazu passt auch der sparsame Einsatz von Musik, das Konzert für Klavier Nr. 4 von Ludwig van Beethoven.
Passion Kino
Der Regisseur sitzt an einer mechanischen Schreibmaschine und sagt: „Ich bin Manoel de Oliveira, schreibe an einem Drehbuch. Das Kino ist meine Passion, die Herkunft von Landwirtschaft und Architektur.“ Das 1942, nach der Hochzeit bezogene Haus hat zwei Generationen gesehen und steckt voller Erinnerungen aus 40 Jahren. Mit einem Filmprojektor zeigt de Oliveira Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Kindern, Familienbilder, später auch in Farbe. Der gesellschaftlich aufschlussreiche Rückblick reicht von den Eltern, vom Bruder Francesco, von den Schwiegereltern bis zur republikanische Zeit. Er und seine Frau hätten so die längste Reise angetreten.
Frau Maria Isabel schneidet liebevoll Blumen im Garten. Kino bedeutet für sie Abwechslung; Mann und Künstler seien nicht voneinander zu trennen. “Leiden lässt das Leben wertvoller erscheinen, der Tod ist nicht abstrakt“, sagt Oliveira. Er liebt das Leben, die Liebe, die Reinheit, die Idee von Gott, den Zustand der Gnade. Die Frau ist für ihn Symbol der Tugend.
Frauen nehmen in seinen Filmen eine mythische Funktion ein. Seinem Frauenbild folgend geht es um die Suche nach der Ursache für den Drang, den Zwang des Mannes zur Zerstörung. Die Tetralogie der frustrierten Liebe versteht Oliveira als Anklang der Jungfräulichkeit, als „Heiligkeit“ und Chance zur Verbesserung des (männlichen) Selbst. Eine hochkomplexe, irritierende Perspektive, die er nach Fertigstellung des filmischen Testaments zumindest relativierte.
Gegen Ende arbeitet Oliveira am Buch für nächsten Film: am 1990 aufgeführten, extrem stilisierten Historienfilm „Non oder Der vergängliche Ruhm der Herrschaft”. Obwohl er sich seit der Schule für Geschichte interessiert, sei er nur im historischen Sinne ein politischer Mensch. Ausgehend von der Reflexion über den großen Umbruch durch die Nelkenrevolution, liege Portugals Reichtum auch im literarischen Schaffen eines Luís de Camões‘, Fernando Pessoas, José Régios. Ein kleines Land, das sich für das Schicksal der Welt verantwortlich fühlt, an Liebe und Frustration, Ruhm und Tod, Vergangenheit und Zukunft leidet, verloren in Zeit und Raum.